Das späte Glück. Dietmar Grieser
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Nach der Seelenmesse in der Universitätskirche, bei der Sohn Franz Xaver Wolfgang alle, die dabei sind, mit Mozarts Requiem zu Tränen rührt, geht Constanze daran, ihr ferneres Leben zu ordnen. So traurig es ist, daß am selben Tag wie sie auch Sophie, ihre jüngste Schwester, den Mann verloren hat – für die beiden Witwen ist es wie ein Fingerzeig von oben, ihren künftigen Lebensweg gemeinsam zu beschreiten: Constanze holt Sophie zu sich ins Haus. Die jüngere werkt in der Küche, die ältere am Sekretär. Sechzehn Jahre hat Constanze noch vor sich: Am 6. März 1842, zwei Monate nach ihrem achtzigsten Geburtstag, stirbt sie an Lungenlähmung und wird im Mozart-Weberischen Familiengrab an der Seite ihres zweiten Mannes beigesetzt.
»Für dich erblühend in Wonne …«
Richard Wagner und Carrie Pringle
Die Affäre mit Mathilde Wesendonk liegt beinahe zwanzig Jahre zurück; jetzt ist auch des Meisters Leidenschaft für Judith Gautier am Verglimmen. Zwei Musen unterschiedlichen Typs: Hat die deutsche Industriellengattin mit ihrer leidenschaftlichen Hinwendung zu Richard Wagner vor allem dessen Werk befruchtet und nicht nur an den Wesendonk-Liedern, sondern am Entstehen des »Tristan« starken Anteil, so ist die Beziehung zu der französischen Schriftstellerin eine auch in erotischer Hinsicht voll ausgelebte Romanze. Nicht umsonst haben ihr die Pariser Freunde den Spitznamen »Orkan« verliehen: Wie im Sturm erobert die blühende junge Frau Herz und Sinne des siebenunddreißig Jahre Älteren, der sich seinerseits, um seine Virilität zu beweisen, zum Gockel macht und vor den Augen der Angebeteten auf die Bäume im Park von Wahnfried klettert, ja sogar an der Fassade des Hauses herumturnt.
Ausdrücklich nimmt der Dreiundsechzigjährige das Recht auf »Kindereien« für sich in Anspruch, und weilt Judith, mit der er sich in ihrem Bayreuther Versteck vergnügt, außer Landes, so überschüttet er sie nicht nur mit glühenden Liebesbriefen, sondern auch mit den absonderlichsten Wünschen. Einmal soll sie ihm aus Paris Riechkissen schicken, die er sich zwischen die Leibwäsche legen will, um von ihrem Duft inspiriert zu werden, dann wiederum verlangt er nach einer geblümten Decke für seine Chaiselongue, der er den Namen »Judith« gibt.
Beide Liebenden sind verheiratet: sie mit dem Schriftsteller Catulle Mendès, er seit 1870 mit der vierundzwanzig Jahre jüngeren Cosima von Bülow. Die Briefe, die man miteinander wechselt, gehen also über einen Vertrauensmann. Erst, als die Beziehung der beiden Ehebrecher abkühlt, wird Cosima in die »amour fou« eingeweiht und schließlich sogar selber mit der Fortführung der Korrespondenz betraut.
In die Rolle der stillen Dulderin, die die Affären ihres exzentrischen Mannes wortlos hinnimmt und den Kummer über dessen Seitensprünge in sich hineinfrißt, muß Frau Wagner freilich erst hineinwachsen. »Ich leide, und ich verschwinde, um mein Leiden zu verbergen!« schreibt sie in ihr Tagebuch. Was ihr dabei hilft, ist ihr eigenes schlechtes Gewissen: Als streng erzogene Katholikin erblickt Cosima in ihren Seelenqualen die gerechte Strafe dafür, daß sie selber ein Kind der Sünde und auch ihre Beziehung zu Wagner anfänglich bigamistischer Natur ist.
Jetzt, wo der Meister die Arbeit an seinem »Welt-Abschiedswerk«, an der Partitur des Bühnenweihfestspiels »Parsifal« aufgenommen hat, kann Cosima Wagner hoffen, daß es mit den außerehelichen Eskapaden ihres Herzallerliebsten vielleicht doch ein Ende hat. Man verbringt glückliche Tage miteinander, die glücklichsten seit Jahren, und kein Mensch kann ahnen, daß ausgerechnet die Fabel vom »reinen Toren« Parsifal, der sich den Versuchungen der »Frauenminne« mit allen Mitteln widersetzt, bei Wagner neue amouröse Verstrickungen auslöst. Verstrickungen, die sogar sein nahes Ende beschleunigen werden …
Parsifal, zweiter Aufzug. Wagners Bühnenheld betritt Klingsors Zaubergarten, lustvoll erwartet von einer Schar verführerischer Blumenmädchen. Von allen Seiten stürzen sie herbei; vom Waffenlärm aufgeschreckt, erwachen sie aus ihrem Schlaf und sehen sich von ihren zur Verteidigung des Schlosses ausrückenden Geliebten verlassen. Da ist ihnen der schöne Jüngling, der da in ihr Reich eindringt, eine willkommene Beute: »Dir zu Wonn’ und Labe gilt mein minniges Mühen!« Halbnackt, nur mit rasch übergeworfenen Gewändern, umschmeicheln und umwerben sie ihn. Doch der für weibliche Verführungskünste Unempfängliche wehrt ihre Zudringlichkeiten ab und setzt, als alles Widerstreben nichts hilft, zur Flucht an …
Fast vier Jahre nimmt die Arbeit am »Parsifal« in Anspruch: Am 13. Januar 1881 legt Wagner den Federhalter aus der Hand, die Partitur der Letztfassung ist abgeschlossen. Jetzt geht es um die Besetzung der einzelnen Rollen; für 26. Juli 1882 ist die Uraufführung vorgesehen.
Auch von den Blumenmädchen aus dem zweiten Akt hat er eine klare Vorstellung: »Ich verlange nicht weniger als sechs Sängerinnen ersten Ranges. Sie müssen von gleicher Stimme und Stimmlage sein – und dazu hübsche, schlankgewachsene Frauenzimmer.«
Wagner selber trifft die Auswahl, eine nach der anderen finden sich die Bewerberinnen in Bayreuth zum Vorstellungstermin ein. Am 5. August ist eine gewisse Carrie Pringle an der Reihe; sie ist für eine der drei »Solo-Blumen« der ersten Gruppe vorgesehen. Frl. Pringle ist eine Engländerin von Mitte zwanzig, die ihr Gesangsstudium in Italien absolviert hat. Fürs Vorsingen hat sie Webers »Freischütz« gewählt; Frau Cosima, die den Auftritt im Musiksalon von Haus Wahnfried mitverfolgt und auch in ihrem Tagebuch festhalten wird, bescheinigt der Kandidatin, sie habe die Arie der Agathe »recht erträglich« gesungen.
Ganz anderer Ansicht ist Wagner: Er zeigt sich von der Stimme und nicht minder von der bezaubernden Erscheinung der gertenschlanken Person mit dem Schwanenhals, dem brünetten Wuschelkopf und der kecken Stupsnase hingerissen, und seine Begeisterung steigert sich noch, als sie im Jahr darauf nach Bayreuth wiederkehrt und bei den am 2. Juli 1882 einsetzenden Proben mit der fertig einstudierten Partie auf der Bühne steht.
Doch noch ist es nicht soweit: Eine Reihe anderer Ereignisse zieht vorübergehend Wagners Interesse auf sich, und so manches davon geht ihm gleichfalls unter die Haut. Da ist zum Beispiel der Ausflug, der ihn samt Familie – man weilt wieder einmal im geliebten Italien – von Amalfi ins nahe Ravello führt, wo die Besichtigung des berühmten Palazzo Rufolo auf dem Programm steht. Im Eselskarren legt man das letzte Stück Wegstrecke zu dem halbverfallenen, im maurischen Stil des zwölften Jahrhunderts erbauten Schloß zurück; von dort geht’s über eine marmorne Treppe zu einem kleinen Rosengarten. Der Anblick der Blütenpracht, der romantischen Hecken, Nischen und Sitzbänke sowie der von Zypressen umstellten Pavillons versetzt die Reisegesellschaft in helles Entzücken, und Wagner, mit allen Gedanken beim zweiten Akt des »Parsifal«, schreibt ins Gästebuch: »Klingsors Zaubergarten ist gefunden!« Fehlen nur noch die Blumenmädchen …
Weniger bedeutet dem Meister die Begegnung mit dem Maler Auguste Renoir, der ihm während eines Sizilien-Aufenthaltes im palermitaner »Hôtel des Palmes« seine Aufwartung macht: Die erbetene Porträtsitzung wird gnädig gewährt. Wagner ist in einen Samtrock gehüllt, dessen breite Ärmel mit schwerem Atlas gefüttert sind. Man unterhält sich in einem kuriosen Gemisch aus Französisch und Deutsch, springt von einem Thema zum andern – Wagner hat keine Ahnung, mit welcher Berühmtheit er es zu tun hat. Und auch vom künstlerischen Ergebnis des fünfunddreißigminütigen Rencontre zeigt er sich wenig angetan: Wie der »Embryo eines Engels« komme er sich vor …
Große Probleme erwarten