Das späte Glück. Dietmar Grieser

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Das späte Glück - Dietmar Grieser

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Wagners Ende beschleunigt. Psychische Aufregungen – damit kann nur jene von Tochter Isolde bezeugte Auseinandersetzung ihrer Eltern gemeint sein, die ihren Grund in Carrie Pringles bevorstehendem Besuch in Venedig gehabt hat. Sie selber, das verführerische Blumenmädchen aus dem »Parsifal«, wird ihr Leben lang dazu schweigen.

      Die lieblichste der lieblichsten Gestalten

       Johann Wolfgang von Goethe und Ulrike von Levetzow

      Weder Wien noch Prag beehrt er mit seinem Besuch, auch Paris bekommt er sein ganzes Leben lang nicht zu Gesicht. Dafür kommt er sechzehn Mal nach Karlsbad: Hier ist Goethe in seinem Element. Man hat es penibel zusammengezählt: Volle drei Jahre hält sich Deutschlands Dichterfürst in den böhmischen Kurbädern auf.

      Jetzt, im Sommer 1820, den er wie gewohnt in Karlsbad zubringt, dringt immer häufiger der Name Marienbad an sein Ohr. Vierzig Kilometer westlich, dicht vor Eger, wo es bis vor kurzem nichts als sumpfige Wildnis gegeben hat und undurchdringliche Wälder, ist ein neuer Kurort im Entstehen. Der Siebzigjährige weist seinen Diener Stadelmann an, alles für einen Tagesausflug Nötige zu veranlassen, besteigt sein »Fahrhäuschen« und schaut sich diesen Ort, von dem man so tolle Dinge hört, aus der Nähe an. Die Berichte scheinen nicht übertrieben, Goethe schreibt an Sohn August nach Weimar:

      »Mir war es, als befände ich mich in eine amerikanische Einsamkeit versetzt, wo man Wälder rodet, um in drei Jahren eine Stadt zu bauen.« Und er fährt fort: »Der Plan ist glücklich, die Ausführung streng, die Handwerker tätig, die Aufseher einsichtig und wach. Nicht leicht hab ich etwas Erfreulicheres gesehen.«

      Im Jahr darauf kehrt er wieder. Und bleibt. Vom 29. Juli bis zum 25. August bezieht Goethe im sogenannten Klebelsbergschen Hause Quartier. Das von dem späteren österreichischen Finanzminister Graf Franz von Klebelsberg für dessen Freund Friedrich Leberecht von Brösigke, einen ehemaligen preußischen Offizier, an einem der bewaldeten Hänge von Marienbad errichtete Palais ist nicht nur seiner fabelhaften Aussicht wegen das mit Abstand erste Haus am Platze. Durch die hinteren Fenster dringt der Duft der Fichten in die Gemächer, durch die vorderen – je nach Jahreszeit – der Duft frischgeschnittenen Grases oder frischgewendeten Heus.

      Was Goethe an seinem neuen Logis jedoch besonders gefällt, sind die Wirtsleute, die ihn umsorgen: Brösigkes Tochter ist eine Frau von Levetzow, deren Bekanntschaft er bereits vor fünfzehn Jahren gemacht und die er unter dem Stichwort »Pandora« auch in seinem Tagebuch verewigt hat. Amalie von Levetzow ist, obwohl erst vierunddreißig, Witwe, lebt jetzt mit dem steinreichen Grafen Klebelsberg zusammen und richtet im übrigen ihr ganzes Augenmerk auf das Wohl der drei heranwachsenden Töchter, die sich in ihrem Gefolge befinden. Bertha, die jüngste, verspricht eine Schönheit zu werden, Amalie, die mittlere, ist ein Wildfang, Ulrike, die älteste, ist von ernstem Wesen und ebenfalls nicht ohne Reize. Die schmale Gestalt der jetzt Siebzehnjährigen, ihre großen blauen Augen mit dem noch kindhaften Blick, ihr schönes blondes Haar, das sie in dichtem Geflecht um den Kopf trägt, und ihr voller Mund üben auf den Hausgast, der seit fünf Jahren Witwer ist, eine Anziehungskraft aus, die alles, was der Erotiker Goethe in letzter Zeit an Gefühlen bekundet hat, übersteigt.

      Nichts ist leichter für ihn, als mit der fünfundfünfzig Jahre Jüngeren Kontakte zu knüpfen: Man trifft einander bei den gemeinsamen Mahlzeiten an der Table d’hôte, bei ausgelassenen Pfänderspielen auf der Terrasse vorm Haus, bei den Promenaden am Heilbrunnen. Doch bei allem nicht zu übersehenden Eifer, mit dem der Dichter Ulrikes Nähe sucht, bleibt der Umgang der beiden in diesem ersten gemeinsamen Sommer streng im Rahmen des Konventionellen. Eine von Ulrikes Freundinnen fertigt eine Bleistiftzeichnung von Goethe an, sie macht sie ihr zum Geschenk. Die Widmung, die er ihr selber in ein Exemplar seines soeben erschienenen Romans »Wilhelm Meisters Wanderjahre« schreibt, könnte förmlicher nicht sein: »Frl. Ulrike von Levetzow zu freundlichem Andenken des Augusts 1821.«

      Daß Goethe ein Dichter ist, erfährt Ulrike erst jetzt: Nicht eine einzige Zeile von ihm hat sie bisher gelesen, und da ist der »Wilhelm Meister« für ein adeliges Landpomeranzchen wie sie nicht gerade ein leichter Einstieg. Umso mehr schmeichelt es ihr, daß der »große Gelehrte«, wie sie den alten Herrn zu nennen pflegt, so viel Interesse für sie aufbringt. Wenn er, seinen naturkundlichen Neigungen folgend, bei den täglichen Exkursionen in und um Marienbad Wolkenflug und Wetterstand beobachtet und, das Geologenhämmerchen im Handgepäck, seltene Mineralienfunde macht, hat sie Mühe, seinen Erläuterungen zu folgen, und so greift Goethe zu einer List, sie vielleicht doch für »quarzreiche Granite« und »lose Zwillingskristalle« zu interessieren: Er mischt eine Tafel »feinste Wiener Chocolade« unter die ihr präsentierten Steine, oder er geht überhaupt, was seine Mitbringsel für sie betrifft, zu Blumen über, die sie dann sogleich ihrem Herbarium einverleibt. Ergiebigeren Gesprächsstoff bilden ihre Erinnerungen an Straßburg, wo Ulrike kurz zuvor das Mädchenpensionat besucht hat: Goethe fragt seine Begleiterin nach ihren Erfahrungen mit der Stadt aus, an deren Universität er selber vor einem halben Jahrhundert studiert und die »Lizenz der Rechte« erworben hat.

      Auch den folgenden Sommer verbringt Goethe in Marienbad, das um diese Zeit eine rein deutsche Siedlung im Königreich Böhmen ist. Als er am 19. Juni 1822, von Weimar via Jena, Pößneck, Hof und Eger anreisend, am Ziel eintrifft, sind die Levetzows längst zur Stelle, und wieder ist Tag für Tag Ulrike um ihn – diesmal gar volle zwei Monate. Das Bukett, das er ihr zum Empfang zusteckt, wird getrocknet, gepreßt und unter Glas gerahmt; dankbar hält sie auf einem beigefügten Zettelchen den Namen des Spenders fest. Und in den gerade erschienenen fünften Band seiner Autobiographie »Dichtung und Wahrheit«, der die »Campagne in Frankreich« zum Gegenstand hat, schreibt er ihr ein Widmungsgedicht, das bereits einiges von seinen Empfindungen für Ulrike erahnen läßt:

      Wie schlimm es einem Freund ergangen,

       davon gibt dieses Buch Bericht;

       nun ist sein tröstendes Verlangen:

       Zur guten Zeit vergiß ihn nicht!

      Doch die Ereignisse, die zum offenen Gefühlsausbruch, zur schicksalsschweren Entscheidung, ja schließlich geradewegs in die Katastrophe führen werden, stehen erst noch bevor: Goethes Werben um Ulrike von Levetzow, ihre Zurückweisung und der daraus resultierende Kraftakt dichterischer Sublimierung zu dem Jahrhundertgedicht »Elegie«, den Stefan Zweig über hundert Jahre später in den Rang einer »Sternstunde der Menschheit« erheben wird, fallen in den Sommer des folgenden Jahres: 1823.

      Diesmal, so will es von Anfang an scheinen, ist alles anders als sonst. Die Suite im Klebelsbergschen Palais, an deren Komfort sich Goethe schon so sehr gewöhnt hat, steht ihm bei seinem dritten Marienbad-Aufenthalt nicht zur Verfügung: Die Räume werden für Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach benötigt, der gleichfalls zur Kur angereist ist – und zwar mit großem Gefolge. Goethes Ausweichquartier ist der benachbarte Gasthof Zur goldenen Traube. Seine zwei Zimmer befinden sich im Obergeschoß, unmittelbar angrenzend die Kammern für Sekretär Dr. Johann John und Diener Carl Stadelmann. Das Mobiliar ist einfach, Teppiche und Schränke fehlen zur Gänze, die porzellanene Waschschüssel wird aus einem hölzernen Wasserfaß gefüllt, dessen Inhalt täglich von der Quelle im Talgrund herbeigeschafft wird.

      »Meine Lebensweise ist sehr einfach«, berichtet Goethe nach Weimar, »ich trinke morgens im Bette, bade den dritten Tag, trinke abends am Brunnen, speise mittags in Gesellschaft, und so geht es denn hin.«

      Apropos Gesellschaft: Der Landesherr von Weimar ist keineswegs der einzige illustre Gast, auch der Exkönig von Holland und Napoleons Stiefsohn Eugen sind zugegen, desgleichen Caroline von Humboldt, die Grafen Nostitz und Bülow und viele andere mehr. Der »russische van Dyck«, Orest Adamowitsch Kiprenskij, und der deutsche Maler Wilhelm Hensel fertigen Porträts des Dichterfürsten an; die

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