Das späte Glück. Dietmar Grieser

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Das späte Glück - Dietmar Grieser

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lieblichsten Gestalten« oder »So klar beweglich bleibt das Bild der Lieben / Mit Flammenschrift ins treue Herz geschrieben« werden sich tausende und abertausende nicht etwa nur unglücklich Liebender zu eigen machen, werden sie wieder und wieder in ihre Poesiealben eintragen.

      Auch Goethe selber dient die »Elegie«, obwohl er sie (mit der Anrufung der Götter, die ihn »zugrunde richten«) so düster enden läßt, als eine Art Medizin: Immer wieder bittet er Freund Carl Friedrich Zelter, sie ihm vorzulesen. Tatsächlich wirkt die Katastrophe von Marienbad lange in ihm nach: »Drei Monate habe ich mich glücklich gefühlt«, gesteht er einem weiteren seiner Vertrauten, »fast wie ein Ball hin und her geschaukelt, aber nun ruht der Ball wieder in der Ecke, und ich muß mich den Winter durch in meine Dachshöhle vergraben und zusehn, wie ich mich durchflicke.« Im November 1823 erkrankt der Dichter, die Ärzte fürchten um sein Leben. In den acht Jahren, die ihm noch verbleiben, wird es zu keinen größeren Reisen mehr kommen, er wird nie mehr Thüringen verlassen – und schon gar nicht in Richtung Marienbad.

      Und wie geht es mit Ulrike weiter? Auch sie löst sich von dem Ort, dem sie zwar so manche glückliche Stunde verdankt, der aber auch ungeheure Verwirrung in ihr Leben gebracht hat: Das Klebelsbergsche Palais, das zum Gedenken an Großherzog Carl Augusts Aufenthalt nunmehr »Haus Weimar« heißt und das in ihren Besitz übergegangen ist, stößt sie ab; statt dessen zieht sie sich in das nordböhmische Dorf Trziblitz zurück. Im Schloß ihres nunmehrigen Stiefvaters – Mutter Amalie hat sich in zweiter Ehe mit dem Grafen Klebelsberg vermählt – lebt sie das einsame Leben eines Stiftsfräuleins »Zum heiligen Grabe«, das alle Anträge heiratswilliger Männer ausschlägt, neben der Pflege ihrer Liebhabereien eine Spinnschule gründet und ansonsten ganz im Dienst für ihre verwitwete Schwester Bertha und deren Kinder aufgeht. Goethe erfährt von ihrem Verbleib nur aus einem Brief ihrer Mutter. Das »Töchterchen« ist inzwischen fünfundzwanzig, Amalie von Levetzow berichtet nach Weimar:

       »Ulrike ist, wie sie war, gut, sanft, häuslich. Ihre immer gleichbleibende Laune, ihr gefälliges anspruchsloses Wesen macht ihr fast alles aus Bekannten Freunde, was ja als ein Glück anzusehen ist.«

      Lästig sind ihr lediglich die vielen Anfragen und Besuche von Goethe-Verehrern, die aus ihrem Mund Aufschluß über die Ereignisse vom Sommer 1823 erhoffen. Ihr auch durch seine sprachliche Unbeholfenheit berühmt werdendes Diktum »Keine Liebschaft war es nicht!«, mit dem sie als Neunzigjährige Bilanz ziehen wird über die Tage mit »Göthe« (wie sie zu schreiben beliebt), scheint die Bestätigung dafür zu sein, daß sie in ihm wohl am ehesten eine Art Ersatzvater gesehen hat. Im Herbst 1899, also sechsundsiebzig Jahre nach den Geschehnissen von Marienbad, stirbt Baronesse Ulrike von Levetzow in ihrem Altjungfernstübchen auf Schloß Trziblitz bei Leitmeritz; in einem offenen Miniaturtempel im spätklassizistischen Stil wird die Fünfundneunzigjährige beigesetzt.

      Anmerkung für den Literaturtouristen, der gewillt ist, den »Akteuren« der »Marienbader Elegie« an Ort und Stelle nachzuspüren: Aus Schloß Trziblitz (heutiger Ortsname: Trebívlice) wird in späterer Zeit eine Schule und aus Ulrikes Sterbezimmer deren Konferenzraum; das ehemalige Klebelsbergsche Palais in Marienbad, unter wechselnden Namen (Haus Weimar, Hotel King of England, Hotel Kaukasus) als Luxusherberge genutzt, ist heute eine Ruine, wohingegen der Gasthof Zur goldenen Traube, Goethes Logis im »entscheidenden« Jahr 1823, als intaktes Museum eine Vielzahl originaler Erinnerungsstücke birgt, darunter Gesteinsproben von seinen mineralogischen Expeditionen, eine Marienbad-Zeichnung von des Dichters Hand sowie einiges an Proben aus Ulrikes Herbarium.

      Auch an Denkmälern, die die Erinnerung an die Geschehnisse vom Sommer 1823 wachzuhalten versuchen, ist im heutigen Marienbad (Mariánské Lázne) kein Mangel: Das alte Bronzestandbild, das 1932 mit einer Festrede des Prager Schriftstellers Johann Urzidil auf dem Platz vor Goethes letztem Marienbader Quartier enthüllt und nach Meinung der einen während des Zweiten Weltkrieges für Rüstungszwecke eingeschmolzen, nach einer anderen Version jedoch erst nach 1945 »entfernt« worden ist, hat 1993 einen Nachfolger gefunden, in dem sich, von einem heimischen Künstler angefertigt und von einem Vertriebenenverband finanziert, der Versöhnungswille der Sudetendeutschen Landsmannschaft und der neuen Republik Tschechien ausdrücken soll. Auch das 1974 im Auftrag der Roten Armee vom damaligen »Bruderstaat« DDR gestiftete Goethe-Denkmal, das den Dichter zusammen mit Ulrike darstellt, hat sich erhalten, nur hat man es von seinem ursprünglichen Standort in einen einige Gehminuten entfernten Waldwinkel transferiert, und auch über diese, von den einen als Politikum gedeutete und von den anderen als Kuriosum belächelte »Aktion« kursieren die unterschiedlichsten Ansichten: Während die Zeitgeschichtler, nach dem Grund der »Verbannung« befragt, darauf verweisen, daß Marienbad 1945 gar nicht von den Sowjets, sondern von den Amerikanern befreit worden ist, erklären die Heimatforscher die Unbeliebtheit des Doppelstandbildes mit dem in der Tat nicht wegzuleugnenden Umstand, daß der betreffende Bildhauer bei der Gestalt der Ulrike tüchtig danebengegriffen und der in Wahrheit Gertenschlanken die Statur eines Pummelchens verpaßt hat.

      Was macht man mit so einem verkorksten Objekt? Man entpersönlicht es, man tauft es um. Und so stehen denn nicht Goethe und Ulrike in ihrem einsamen Waldversteck, sondern – so die offizielle heutige Bezeichnung des umstrittenen Kunstwerks – »Goethe und die Muse«.

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