Das späte Glück. Dietmar Grieser

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Das späte Glück - Dietmar Grieser

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Vertonungen von Goethe-Versen der Meister höher schätzt als diejenigen Beethovens und Spohrs, wird die weitere Zusammenarbeit besprochen; und die Diskurse mit dem Slawisten Josef Dobrovsky, die Goethes altes Interesse für die Geschichte Böhmens neu anfachen, haben zur Folge, daß er ein deutschtschechisches Vokabelheft für den eigenen Gebrauch anlegt. Natürlich ist Goethe auch wieder auf Mineraliensuche: Das Prager Nationalmuseum, der Prämonstratenser-Konvent im nahen Tepl sowie Kurarzt Dr. Heidler werden von ihm mit kleinen Kollektionen bedacht. Eine Expedition zum Krater von Kammerbrühl soll ihm neue Erkenntnisse über den Ursprung der Vulkane liefern; Abt Carl Caspar Reitenberger, der eigentliche Promotor des Marienbader Kurbetriebs, lädt Goethe in sein Stift ein; Fürst Metternich öffnet den Gästen die Tore seines Schlosses im nahen Königswart.

      In Marienbad selbst stürzt sich der knapp Vierundsiebzig-jährige mit staunenswertem Elan ins Gesellschaftstreiben, läßt keine der Assembleen, keine der Redouten aus, freut sich, daß ihm beim Tanzen die schönsten Partnerinnen zugeführt werden. »Alles regt sich nun wieder, sowohl der Körper als der Geist!« schreibt er an Freund Karl Ludwig von Knebel. Sucht er Entspannung von all dem Trubel, so tut Frau Schildbach, die Wirtin der »Goldenen Traube«, alles, ihrem Gast unliebsame Störungen vom Leibe zu halten: »Durch ein sonderbares Glück«, schreibt er in einem seiner Briefe aus jenen Tagen, »wohnen in meinem Haus nur Frauenzimmer, die still und verträglich sind.«

      Still und verträglich – das ist vor allem eine, und ihr gilt noch mehr als in den beiden vorangegangenen Sommern sein ganzes Interesse: Ulrike Theodore Sophie von Levetzow. Wenn er sie auf der Tanzfläche an sich vorüberschweben, auf der Terrasse ihr neues, der herrschenden Walter-Scott-Mode angepaßtes Schottenkleid ausführen oder am Brunnen das frische Heilwasser schlürfen sieht, wird ihm warm ums Herz, und das steigert sich noch, wenn er an das »liebe Kind« das Wort richten und ihrer Stimme lauschen darf: »Sie ist heiter, aber nicht lustig.« Auf gemeinsamen Spaziergängen tut sie ihm sogar den Gefallen, sich zu bücken und ein paar der am Wege liegenden Steinchen aufzulesen: Goethe ist entzückt und schreibt es in aller Unbefangenheit nieder – in einem Billett an Ulrikes Mutter: »Zu den hundert Stellungen, in denen ich sie mir vor mir sehe, wieder ein neuer Gewinn.« Frau von Levetzow geht darauf nicht weiter ein, erspart sowohl dem Briefschreiber wie sich selbst jegliche kritische Beurteilung des ungestümen Verhaltens des großen Mannes, der der Vater, ja der Großvater ihrer Erstgeborenen sein könnte.

      Doch Goethe läßt nicht locker: Um zu klären, ob ihm bei seinem fortgeschrittenen Alter eine Heirat mit einer so jungen Frau schaden könnte, sucht er den Arzt auf. Der beruhigt ihn. Wie Dr. Fidelius Scheu wirklich über die Absichten seines Patienten denkt, behält er für sich. Weniger schonungsvoll äußert sich Großherzog Carl August, den Goethe als nächsten ins Vertrauen zieht: »Alter, immer noch Mädchen!« lacht ihn der neun Jahre Jüngere ungeniert aus.

      Ja, immer noch Mädchen. Oder genauer gesagt: diese eine. Goethe kann den alten Freund tatsächlich dazu überreden, sich bei Frau von Levetzow zum Besuch anmelden zu lassen und ihr an seiner Statt den Heiratsantrag für Ulrike zu überbringen. Der Herzog, in großer Montur samt Stern und Orden anrückend, läßt es, um der Werbung Nachdruck zu verleihen, auch nicht an eigener Initiative fehlen: Er verspricht der »Brautmutter« eine herausragende Stellung an seinem Hofe und der »Braut« für den Fall des Ablebens des »Bräutigams« eine jährliche Pension von satten zehntausend Talern.

      Es wird ein schwieriges Gespräch, das die zwei da miteinander zu führen haben: Amalie von Levetzow erkennt, daß der Antrag ernst gemeint ist, daß sie ihn nicht als Scherz abtun kann. Also flüchtet sie sich in die Aufzählung der seitens Goethes Familie zu erwartenden Widerstände: Was würden Sohn August und dessen Gemahlin Ottilie dazu sagen, daß ihnen der Vater eine Stiefmutter ins Haus bringt, die um vieles jünger ist als sie und ihnen womöglich gar ihr Erbe streitig macht? Auch auf diesen Einwand ist der Herzog vorbereitet: Dem »jungen Paar« stünde in Weimar ein eigenes Haus zur Verfügung, dem herrschaftlichen Schloß näher als dem Besitz auf dem Frauenplan. Nur auf Frau von Levet-zows vorsichtig vorgebrachten Hinweis auf den gewaltigen Altersunterschied weiß auch Carl August keine Antwort. Mit dem hinhaltenden Bescheid, man müsse schließlich auch die Meinung Ulrikes einholen, die bisher keinerlei Lust zum Heiraten, ja überhaupt wenig Interesse für die Männerwelt gezeigt habe, geht man auseinander.

      Und wie reagiert Ulrike? Ihr Erschrecken ist wohl noch größer als das der Mutter. Gewiß, auch sie habe den alten Herrn lieb, aber doch nur »wie einen Vater«. Und vielleicht wäre sie sogar bereit, einzuwilligen, um ihm – wie sie es ausdrückt – »nützlich« zu sein. Doch zwei Dinge seien es, die sie letztlich daran hinderten, »ja« zu sagen: die Furcht vor dem Gedanken, sich von den eigenen Leuten, von Mutter und Geschwistern trennen zu müssen, und die Rücksicht auf Goethes Familie.

      Tatsächlich ist in Weimar die Hölle los. Kaum sind die ersten Gerüchte von Goethes Heiratsabsichten in das kleine Fürstentum gedrungen, droht Sohn August mit dem Wegzug nach Berlin: Der große Bruch bahnt sich an. Erst, als die Nachricht von Ulrikes Zurückweisung des Brautwerbers durchsickert, kehren im Haus am Frauenplan wieder Ruhe und Frieden ein: »Ich fange an, zu hoffen, daß alles gut gehen und sich die ganze Geschichte wie ein Traumbild auflösen werde!« schreibt Sohn August an Gattin Ottilie.

      Goethe selber hat indes noch keineswegs aufgegeben. Als Amalie von Levetzow mit ihren drei Töchtern überstürzt abreist, um in Karlsbad unterzutauchen, folgt ihnen der Dichter nur wenige Tage später nach. Das so sehr geliebte Marienbad ist ihm nach dieser bitteren Abfuhr »zur vollkommenen Wüste geworden«. Unbedingt muß er Ulrike wiedersehen, zwischen ihr und ihm ist es ja noch immer zu keinerlei Aussprache gekommen. Statt dessen schickt er ihr einige ihr gewidmete Gedichte an den neuen Aufenthaltsort. »Treulich wie immer, diesmal ungeduldig« kritzelt er auf das beigeheftete Billett.

      Als Goethe kurz darauf in Karlsbad eintrifft, zögert er nicht, dasselbe Quartier zu beziehen, in dem auch die Levetzows untergebracht sind: eine Etage über ihnen, im zweiten Stock des Gasthofs Zum goldenen Strauß. Mit Anstand kommt man über die nächsten zwölf Tage hinweg, bringt, als wäre nichts geschehen, fast die ganze Zeit miteinander zu, feiert auch Goethes Geburtstag in gewohnter Manier. Diener Stadelmann hat einen Tagesausflug organisiert, Frau von Levetzow tischt Rheinwein und Kuchen auf, die Töchter überreichen dem Jubilar einen geschliffenen Becher mit dem berühmten Datum und den Initialen ihrer Vornamen. Daß außer dem U auch ein B und ein A in das Glas eingraviert sind und bei der Gratulationscour alle drei Mädchen gleichrangig zum Zug kommen, zeugt für Frau von Levet-zows kluge Regie.

      Der Tag der Heimreise naht. »Allgemeiner, etwas tumultuarischer Abschied«, notiert Goethe über jenen 5. September 1823. Als erste brechen die Levetzows auf, Ulrike läuft hinauf ins Obergeschoß – zum Abschiedskuß. Aufgewühlt, ja tiefverstört besteigt Goethe die Kutsche, die abfahrbereit vorm Gasthof wartet.

      Die Reise führt ihn zunächst nach Eger, am 13. September trifft er in Jena, am 17. in Weimar ein. Noch unterwegs wird ihm ein für allemal klar, wie es um ihn und das »geliebte Töchterchen« steht: Man wird einander wohl kaum je wiedersehen. Doch wo dem Mann Entsagung auferlegt ist, wächst dem Dichter neue Kraft zu: Goethe nimmt den Schreibkalender, den er für seine Reiseaufzeichnungen verwendet, zur Hand, löst den Bleistift aus der an dem Büchlein befestigten Lasche und geht daran, seiner Niederlage ein neues Werk, ja ein Stück Weltliteratur abzugewinnen: die Marienbader Elegie. So oft der Wagen auf der zwölf Tage langen Strecke anhält und vor allem in jedem der Nachtquartiere überträgt er die eilig hingekritzelte Urfassung des dreiundzwanzigstrophigen Gedichtes Zug um Zug in Reinschrift; bei der Ankunft in Weimar liegen die fünf Folioblätter fertig vor. Er wird sie eigenhändig einbinden – in einen Umschlag aus blauem Karton, dem Blau seines Familienwappens. Und noch etwas: Goethe hütet das Manuskript wie sein intimstes Geheimnis, überläßt es entgegen seiner sonstigen Gewohnheit keiner seiner Hilfskräfte zur Abschrift, gibt es lange nicht aus der Hand.

      Sich selbst zitierend, hat er an den Anfang des Werkes das berühmte Tasso-Wort gestellt: »Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt / Gab mir ein Gott

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