Ein Wagnis aus Liebe. Susan Anne Mason

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Ein Wagnis aus Liebe - Susan Anne Mason

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sollte er einschlagen?

      Noch vor ein paar Wochen war alles so klar erschienen. Er würde mit seinem Vater im Hotel arbeiten und eines fernen Tages, sobald sein Vater sich zur Ruhe setzte, selbst die Verantwortung übernehmen. Zurzeit erfreute sich sein Vater aber bester Gesundheit. Außerdem würde er sich ohnehin erst aus dem Unternehmen zurückziehen, wenn Andrew geordnete Verhältnisse geschaffen hätte, das heißt seine eigene Familie.

      Doch dann kam die Nachricht von Roses Ableben und hatte alles aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie kämpften noch mit der Trauer um Franks Schicksal, und schon erfuhren sie vom nächsten tragischen Tod. Was blieb ihnen denn anderes übrig, als das verwaiste Kind bei sich aufzunehmen?

      Außerdem hatte Andrew nicht damit gerechnet, dass seine Vormundschaft über Christian irgendwelche Auswirkungen auf ihn und Celia haben würde. Sie aber machte bald klar, wie sehr ihr das plötzliche Auftauchen des kleinen Jungen missfiel. Ein weiterer Grund, weshalb ihre Beziehung gerade etwas abgekühlt war. Auf der anderen Seite hatte der kleine Christian Andrews Herz in Windeseile erobert, sodass er es sich nicht mehr vorstellen konnte, dass sich jemand anderes um den Kleinen kümmerte. Außer vielleicht seine Schwester Virginia, sollte sich diese Möglichkeit doch noch ergeben. Wenn Celia weiterhin an einer Familie mit Andrew festhielt, musste sie sich daran gewöhnen, dass Christian nun ein Teil davon war. Insgeheim hoffte Andrew, dass sie nur ein wenig Zeit bräuchte.

      Gedankenversunken bog Andrew in eine einsame Seitenstraße ein und betrachtete den Abendhimmel. Eine Vielzahl von Sternen strahlte ihn an. Er hielt kurz inne und staunte über Gottes herrliche Schöpfung – das hatte er schon lange nicht mehr getan. Lebhafte Erinnerungen aus seiner Kindheit kamen ihm nun in den Sinn: wie er im Garten auf der Wiese gelegen und versucht hatte, die einzelnen Sternkonstellationen auswendig zu lernen. In Momenten der Ruhe und des Friedens hatte Andrew sich Gott immer am nächsten gefühlt.

      Jetzt aber schlichen sich Reue und Schuldgefühle bei ihm ein. Er musste es schaffen, zu diesen simplen Freuden des Alltags zurückzukehren. Und er musste sich wieder mehr um seine Beziehung zu Gott kümmern. Lange schon hatte er nicht mehr gebetet, nach Gottes Führung für sein Leben gefragt. Als Vater würde er diese Hilfe noch mehr brauchen als zuvor.

      Tief in Gedanken versunken spazierte er weiter, ohne seine Umgebung wahrzunehmen. Beinahe hätte Andrew die junge Frau gar nicht bemerkt; erst ein lautes Schluchzen machte ihn auf sie aufmerksam. Als er stehen blieb, entdeckte er sie voller Erstaunen auf der anderen Straßenseite. In ihren Händen hielt sie eine Tasche und neben ihr lag ein einzelner Schuh im Gras. Ihre Hutkrempe verdeckte ihr Gesicht, nicht aber ihr Weinen. Auf der Stelle eilte Andrew zu ihr. „Entschuldigen Sie, Miss, kann ich Ihnen vielleicht helfen?“

      Mit ihrem Handschuh wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht, bevor sie zu ihm hochsah. „Oh, hallo. Ich fürchte, ich habe mir gerade den Fuß verstaucht.“

      Ihren Worten war eindeutig ein britischer Akzent zu entnehmen.

      Andrew beugte sich über ihren Fuß. „Darf ich?“

      Die junge Frau sah ihn fragend an. „Sind Sie Arzt?“

      „Nein, das nicht. Aber als Junge habe ich jede Menge Erfahrung mit Verstauchungen gesammelt. In der Schule war ich ein schrecklicher Sportler, habe mehr Zeit verletzt auf der Bank verbracht als auf dem Spielfeld“, sagte er scherzhaft, während er vorsichtig seine Finger über ihren Knöchel führte. Eine spürbare Schwellung. „Darf ich fragen, was Sie ganz allein hier draußen machen?“

      „Ich war spazieren und habe mich verlaufen. Es kam mir vor, als liefe ich im Kreis, ich fand den Weg einfach nicht mehr. Dann wollte ich auf die andere Straßenseite und bin umgeknickt. Ich habe versucht weiterzugehen, aber ich kann nicht mehr auftreten.“ Dann zuckte sie zusammen, als er das Schmerzzentrum gefunden hatte. „Glauben Sie, er ist gebrochen?“

      „Ich denke nicht. Aber das sollte besser ein Arzt beurteilen.“ Nachdenklich strich sich Andrew über den Bart. „Ich wohne nicht weit von hier. Ich könnte schnell mein Auto holen und Sie nach Hause fahren.“

      „O nein, nicht doch. Das wäre viel zu viel Umstand. Wenn Sie mir ein Taxi rufen würden, wäre ich Ihnen schon sehr dankbar“, sagte sie und zitterte etwas, sodass sie ihre Arme enger um sich schlang.

      „Ich glaube nicht, dass Sie um diese Uhrzeit ein Taxi bekommen. Die stehen meist alle an der Union Station. Bis hier eines vorbeikommt, können Jahre vergehen“, erklärte er. „Außerdem würde mein Gewissen das niemals zulassen.“ Dann stand er auf, zog sein Jackett aus und legte es ihr über die Schultern. „Sie rühren sich nicht von der Stelle. Ich bin gleich wieder da.“

      Kapitel 5

Liebe Grace, 15. Mai 1914

      ich habe einen ganz wundervollen Mann getroffen! Sein Name ist Frank. Er sieht gut aus, ist witzig und total in mich vernarrt! Wir sind schon ein paarmal aus gewesen, aber ich habe ihn nie mit zu mir genommen. Männerbesuch ist bei Mrs Chamberlain nicht gestattet. Obwohl ich mir sicher bin, dass selbst sie von Frank entzückt wäre. Er gibt den perfekten Schwiegersohn ab, wie Mutter sagen würde.

      Grace bemühte sich, das Pochen in ihrem Knöchel zu ignorieren, und suchte verzweifelt nach einer anderen Lösung für dieses Dilemma. Eine, bei der sie sich am besten nicht zu einem äußerst attraktiven, unbekannten Mann in den Wagen setzen musste. Wäre sie in ihrer Heimat, würde sie sein Angebot ohne zu zögern annehmen. In diesem Labyrinth jedoch, in dem sie nicht einmal den Norden vom Süden unterscheiden konnte, war das vielleicht nicht die beste Idee.

      Aber hatte sie überhaupt eine Wahl? Ihr Fuß schmerzte so sehr, dass sie keinen Schritt mehr gehen konnte. Und in den letzten dreißig Minuten war nicht eine Menschenseele hier vorbeigekommen! Abgesehen von diesem Gentleman.

      Und ein Gentleman war er wirklich – er hatte ihr sogar seine Jacke dagelassen, die nun warm um ihre Schultern lag und ein wenig nach Wald roch. Jemand so Nettes konnte sicherlich nichts Schlechtes im Sinn haben, oder?

      Grace ließ den Kopf in die Hände sinken. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, mitten in der Nacht allein spazieren zu gehen? Mrs Chamberlain hatte noch versucht, sie davon abzuhalten, aber zum wiederholten Male setzte sich ihre Sturheit durch. „Mir wird schon nichts passieren“, hatte Grace ihr versichert. „Ich schaue mich nur ein wenig um.“ Und suche derweil das Haus der Eastons.

      Sie wollte wenigstens sehen, wo Christian lebte. Vielleicht, so hoffte sie, konnte sie sogar durch eines der Fenster einen Blick auf den Kleinen erhaschen.

      Tatsächlich aber kam sie nicht einmal in seine Nähe. Das Haus war von hohen Mauern umgeben, und in die lange Auffahrt hatte Grace sich nicht getraut.

      Nach geschlagenen zwanzig Minuten, die sie vor den gewaltigen Eisentoren verbracht und darauf gewartet hatte, dass jemand ein oder aus ging, gab sie auf und wollte in die Pension zurückkehren. Bis sie schließlich die Orientierung verlor und sich zu guter Letzt auch noch den Fuß verletzte.

      In diesem Moment bog ein Wagen um die Ecke und kam genau auf sie zu. Sie schluckte und schickte schnell ein Stoßgebet gen Himmel.

      Das Auto blieb vor ihr stehen. Der Fahrer stieg aus, eilte um den Wagen und bot Grace seine Hand an. „Hier, kommen Sie, ich stütze Sie.“

      Kurz zögerte sie, doch dann nahm sie seine Hand an und kam so auf einem Bein zum Stehen. Bis er sie mit einer Hand an ihrer Taille stützte, wackelte sie ganz schön. Einen Augenblick später saßen sie beide

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