Der erste Walzer. Dietmar Grieser
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der erste Walzer - Dietmar Grieser страница 12
Am 20. Juni 1946 sticht der Frachtdampfer »Antinous« mit den ersten 3200 für Österreich bestimmten CARE-Paketen von New York aus in See. Am 1. Juli trifft die Ladung in Antwerpen ein, setzt die Reise per Güterzug fort und wird an der Schweizer Grenzstation Buchs den Österreichern übergeben. In Wien wird unterdessen eine feierliche Zeremonie vorbereitet, bei der General Clark, der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Österreich, Bundespräsident Karl Renner das erste der von Präsident Truman persönlich gespendeten hundert Pakete übergibt. Auch Bundeskanzler Figl und die meisten seiner Minister, Bürgermeister Körner sowie Mitglieder des Wiener Gemeinderats wohnen dem symbolträchtigen Akt bei.
Anschließend beginnt die Verteilung der Hilfssendungen an die glücklichen Empfänger. In der Strudlhofgasse im 9. Bezirk hat CARE Austria sein Büro, am Schottenring sein Lager. Auch in den Bundesländern werden Filialen eröffnet: zunächst in Salzburg, Graz, Linz, Klagenfurt und Innsbruck, bald auch in Rankweil, Leibnitz und Leoben. Die Adressaten werden per Postkarte aufgefordert, ihr Paket zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuholen. Der mit den örtlichen Behörden ausgehandelte Vertrag sieht vor, daß die Sendungen weder verzollt noch besteuert werden dürfen; die Zwischenlager an den Verteilerstellen werden unter besonderen Polizeischutz gestellt. Dreißig Angestellte sorgen für die reibungslose Abwicklung der Aktion.
Dennoch treten Probleme auf: Wegen akuten Kohlenmangels muß im strengen Winter 1946/47 wieder und wieder der Strom abgeschaltet werden, und das bedeutet: Die Wiener CARE-Mission muß vorübergehend bei Kerzenlicht arbeiten, und da es im notleidenden Österreich auch hieran mangelt, werden aus den USA eigene Kerzenlieferungen angefordert. Die bei dieser Gelegenheit mitgelieferten Zigaretten sind als »good will«-Spenden für einheimische Arbeitskräfte bestimmt, auf deren Mithilfe – etwa bei anfallenden Autoreparaturen – auch die CARE-Leute angewiesen sind.
Gleichzeitig versorgt die Wiener Außenstelle ihre New Yorker Zentrale mit Berichten, die für die amerikanische Presse bestimmt sind, um die allgemeine Spendebereitschaft weiter anzuheizen. So kann man in der »Saturday Evening Post« eines Tages lesen, daß Filmstar Joseph Cotten, der sich gerade zu den Dreharbeiten für den »Dritten Mann« in Wien aufhält, bei einer der Verteilaktionen eigenhändig mithilft, und auch die Nachricht, daß die Wiener Verkehrspolizisten auf Weisung von »oben« vor jedem CARE-Fahrzeug salutieren, läßt sich vortrefflich für Public-relations-Zwecke ausschlachten. Den Vogel schießt ein Musikclub aus dem US-Bundesstaat Maryland ab, dessen Vorstandsmitglieder es sich in den Kopf gesetzt haben, Franz Schubert mit einer CARE-Paketsendung zu huldigen: Man holt Erkundigungen ein, ob es in Österreich Nachkommen ihres Lieblingskomponisten gebe, und schaltet zu diesem Zweck sogar das Außenministerium ein. Resultat: Ur-Ur-Großneffe Walter Schubert, seines Zeichens Museumswärter in Wien, wird eines schönen Tages mit der Nachricht überrascht, er möge sich am Schottenring »sein« CARE-Paket abholen …
Zwar können die milden Gaben aus Amerika nicht mehr sein als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein, doch sie bringen immerhin einen Hauch von Luxus in manche der kalorienarmen Haushalte. Bei anderen, die nicht zum Zug kommen, erwecken sie freilich auch Neid. Doch allemal größer ist der Dank, und so wird CARE mehr und mehr zum Synonym für Völkerverständigung und tätige Nächstenliebe. Manche der glücklichen Empfänger heben die Schachtel, deren Inhalt sie in Verzückung versetzt hat, jahrelang als Souvenir auf; noch 2005 wird man von einer Wienerin erfahren, die in der Verlassenschaft ihrer verstorbenen Mutter auf einen Zeitungsartikel von 1946 gestoßen ist, der in bewegten Worten die Verteilung der ersten CARE-Pakete schildert. Unvergessen auch die Dankesgeste der Hietzinger Bezirksvorstehung, einen ihrer Kindergärten auf den Namen CARE zu taufen; und als am 1. Februar 1949 der Österreichische Ministerrat zu einer seiner Routinesitzungen zusammentritt, setzt Bundeskanzler Figl einen Antrag auf die Tagesordnung, das Organisationskomitee von CARE für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen.
Die letzten CARE-Pakete erreichen Österreich im Sommer 1954: Es sind Wolldeckenspenden für die Opfer der Hochwasserkatastrophe, die das Land heimgesucht hat. Zugleich wird den Empfängern von einst, die es inzwischen selber zu Wohlstand gebracht haben, die Möglichkeit zum Rollentausch eröffnet: Jetzt können auch sie ihre entbehrlichen Schillinge für den Versand von CARE-Paketen in notleidende Länder einsetzen, und im Juni 1955 wird das für Österreich bestimmte Hilfsprogramm von CARE endgültig eingestellt.
Schon 1953 wird das E im Namen CARE einem Bedeutungswandel unterzogen: Es steht von Stund an nicht mehr für »Europe«, sondern für »Everywhere«. Und in diesem, den neuen Bedürftigkeiten angepaßten Sinne ist auch die 1986 gegründete Nachfolgeorganisation »CARE Österreich« tätig: Unter der Devise »Hilfe zur Selbsthilfe« greift sie den unter Armut, medizinischer Unterversorgung und Bildungsrückstand leidenden Entwicklungsländern unter die Arme und betreut eine Vielzahl humanitärer Projekte in Afrika, Mittelamerika, Osteuropa und Asien.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.