Der erste Walzer. Dietmar Grieser
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Das gute Stück, aus einer Legierung von acht Zehnteln Silber und zwei Zehnteln Kupfer geprägt, hatte einen Durchmesser von 26 Millimeter und ein Gewicht von sieben Gramm; die Vorderseite zeigte neben der Aufschrift »Republik Österreich« und der Jahreszahl der Ausmünzung eine stilisierte Ansicht vom Mitteltrakt des Parlamentsgebäudes und eine Roßbändigergruppe; für die Rückseite wählte man einen Ölbaumzweig mit dem Brustschild aus dem österreichischen Staatswappen sowie die Aufschrift »Ein Schilling«. Uneinigkeit bestand lediglich bezüglich der Unterteilung in die kleineren Werte: Der ursprünglich vorgesehene »Stüber« mußte dem »Groschen« weichen.
Um die allgemeine Verwirrung, die die Währungsreform sowohl in der öffentlichen wie in der privaten Buchhaltung zur Folge hatte, einigermaßen in Grenzen zu halten, ließ man sich bei der Umstellung Zeit: Erst per 31. Dezember 1926 mußte sie abgeschlossen sein. Und auch erst dann, nämlich ab 1927, kam beim Druck der Banknoten das seit langem geplante neue Design zum Zuge, das erstmals Landschafts- und Architekturmotive einschloß.
Worüber in der Bevölkerung Unklarheit bestand, war die Frage nach der Herkunft der neuen Währungsbezeichnung. Zwar kannte man bereits seit dem Mittelalter den in mehreren europäischen Ländern gebräuchlichen »Schilling«, doch wovon er sich etymologisch ableitete, darüber gingen die Meinungen der Experten auseinander. Die einen verwiesen auf das altdeutsche Wort »scellon«, das so viel wie »schallen« bedeutete und somit auf die traditionelle Praxis der Geldprüfer anspielte, die betreffende Münze zu Boden fallen zu lassen und aus dem Klang des Aufpralls auf deren Echtheit zu schließen. Andere leiteten die Bezeichnung »Schilling« vom lateinischen »solidus«, also vom Attribut des Soliden und Wertbeständigen ab. Dem sogenannten kleinen Mann von der Straße waren derlei Spitzfindigkeiten freilich herzlich egal: Ihm kam es nur darauf an, daß er von dem neuen Zahlungsmittel möglichst viel in der Tasche hatte und daß es möglichst wenig von seinem Wert verlor.
Tatsächlich wurde der Schilling populär – und zwar so sehr, daß man sich nach dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands, das der »Ostmark« für die Dauer von sieben Jahren die deutsche Reichsmark aufgezwungen hatte, ohne alle Diskussionen einig war, auf der Stelle zur alten Währung zurückzukehren. Noch im Mai 1945 gaben die Besatzungsmächte sogenannte Militärschilling-Noten aus, denen sieben Monate später die ersten »eigenen« folgten. Auch mit dem, was man in seinem Geldbörsel bei sich trug, erhielt Österreich also einen Teil seiner Souveränität zurück, ja einen Teil seiner Identität. Die Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik konnte ihren Anfang nehmen.
»Einlagsbuch« Nr. 1
Daß ich schon als Gymnasiast – was in jenen fernen Nachkriegsjahren eher ungewöhnlich war – über ein eigenes Bankkonto verfügt hatte, wurde mir erst wieder bewußt, als ich Jahrzehnte später, nun schon lange in Wien ansässig, eines Tages überraschende Post aus meiner Kindheitsstadt Zweibrücken erhielt. Man sei, so teilte mir das betreffende Bankinstitut in aller Form mit, im Zuge einer Generalrevision »ruhender« Einlagen auch auf die meine gestoßen, habe festgestellt, daß es auf dem bewußten Konto in all den Jahren keinerlei Bewegung gegeben habe, und lade mich ein, es doch mit einer frischen Einzahlung zu reaktivieren.
Ebenso gerührt wie amüsiert, folgte ich dem freundlichen Appell und stockte bei nächster Gelegenheit das angegraute 12-Mark-Guthaben von anno dazumal mit einer kräftigen Geldspritze auf, die mir zwar nicht den ganz großen Vermögenszuwachs verhieß, wohl aber eine willkommene Auffrischung meiner über die Jahre und Jahrzehnte abhanden gekommenen Kindheitserinnerungen. Ein Akt der Nostalgie, nichts sonst.
Diese Episode fiel mir jetzt wieder ein, als ich – für das vorliegende Buch – daranging, ein Kapitel über das allererste jemals auf österreichischem Boden ausgestellte Sparbuch zu schreiben. Denn auch dieses, obwohl 188 Jahre älter als mein wiederentdecktes Bankkonto von 1950, ist erhalten geblieben: Es ruht in einem der Tresore des Sparkasseninstituts Erste Bank, weist einen Kontostand von 5 Gulden und 33 Kreuzer auf und lautet auf den Namen Marie Schwarz.
Das gute Stück, am 4. Oktober 1819 ausgefertigt, ist ein dünnes, in marmorierten Karton eingeschlagenes und mit einem zarten blauen Bindfaden zusammengehaltenes Büchlein, dessen kaum noch leserliche Rubriken in rötlicher Farbe gedruckt und dessen handschriftliche Eintragungen mit schwarzer Tinte ausgeführt sind. »Inhaberin« Marie Schwarz war zu jener Zeit, da ihr das »Einlagsbuch Nr. 1« in die Hand gedrückt wurde, ein Wiener Waisenkind von schätzungsweise zwölf Jahren, ihr »Startkapital« betrug zehn Gulden, und der Wohltäter, dem sie ihr unverhofftes Glück zu verdanken hatte, war niemand geringerer als Seine Majestät der Kaiser.
Es ist die Zeit des frühen Biedermeier. Im Gasthof Zum Römischen Kaiser findet die erste öffentliche Aufführung eines Schubert-Werkes, im Burgtheater die erste Grillparzer-Premiere statt; am Donaukanal wird der Grundstein für die Ferdinandsbrücke gelegt; Primarius Dr. Bruno Görgen erhält die Bewilligung zur Errichtung einer »Privatirrenanstalt«; die Wiener Hausbesitzerin Elisabeth Rudolf stiftet eine »Versorgungsanstalt« für Dienstboten. Wer in diesen wirtschaftlich trüben Zeiten ans Sparen denkt, versteckt seinen Notgroschen in Wäschetruhen oder Strümpfen, manche nähen ihre wenigen entbehrlichen Münzen gar in Kleidungsstücke ein. Sparkassen, wie es sie, von dortigen Bürgersleuten gegründet, in England, Frankreich und Deutschland gibt, sind in Wien noch unbekannt.
Zwar liegt seit dem 19. Juli 1817 eine Kabinettsorder vor, mit der Kaiser Franz I. zu klären wünscht, ob es nicht, aufgeschreckt von einer Reihe schlechter Ernten und den dadurch in die Höhe geschnellten Getreidepreisen, »an der Zeit wäre, eine Voranstalt für künftige Fehljahre einzurichten, um in ähnlichen Notfällen schnell und wirksam helfen zu können«. Doch der von Kanzler Graf Saurau an eine Reihe betuchter Wiener Bürger weitergegebene Appell, etwas für die Sparwilligen aus den »armen Klassen« zu tun, nimmt erst zwei Jahre später Gestalt an, als Johann Baptist Weber, der Pfarrer von St. Leopold (im heutigen II. Wiener Gemeindebezirk), die Idee aufgreift, einen »Verein von Menschenfreunden« gründet und mit einer Werbeschrift unter dem Titel »Errichtet Spar-Cassen!« alle »Ältern, Seelsorger, Schullehrer, Fabriks-, Gewerbs- und Dienst-Herren« zum Geldspenden aufruft.
Pfarrer Weber hat eine klare Vorstellung davon, wie der zu schaffende Fonds aussehen und wie mit den solcherart lukrierten Geldern umgegangen werden soll:
»Jeder kann in diese Casse auf seinen oder auf fremden Namen, auf den Namen eines Kindes oder auch auf einen erdichteten Namen einlegen. Die Casse ist wohlverwahrt; reiche, angesehene und rechtschaffene Männer führen dabei unentgeltlich die Aufsicht.«
An Argumenten, die für die neue Errungenschaft sprechen, ist kein Mangel:
»Es ist eine bekannte Erfahrung, daß der Kreuzer im Sack schneller verausgabt wird als der, der im Kasten ruht.«
Aber auch im Kasten ist er alles andere als sicher:
»Er könnte den braven Leuten gestohlen, von Speculanten durch Aussicht auf höhere Zinsen abgeschwätzt oder durch andere Zufälle entzogen werden.«
Johann Baptist Weber ist ein Mann der Praxis; detailliert erläutert er, wozu das ihm vorschwebende Projekt gut sein kann:
»Mit diesem Gelde können die Erleger ein Kind versorgen, eine Tochter ausheiraten, dem Sohn ein Gewerbe schaffen, einen ergrauten Vater unterstützen, eine alte Mutter ernähren, sich selbst ein sorgenfreies Alter schaffen.«
Auch den höheren Mächten, allen voran dem Herrgott, räumt