Der erste Walzer. Dietmar Grieser
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Ostern in Wien – das verlangt dem »spätberufenen« Giovanni Braschi, der ursprünglich Jus studiert und erst mit 41 die Priesterweihe empfangen hat, das Äußerste an Kraftanstrengung ab. Am Gründonnerstag nimmt er in der sogenannten Antekamera der Hofburg an zwölf Greisen die traditionelle Fußwaschung vor, am Karfreitag besucht er zu Fuß die Heiligen Gräber in den Kirchen der Minoriten und der Schotten, in St. Peter, in St. Michael und Am Hof; am Ostersonntag zelebriert er im Stephansdom das Hochamt (dem Kaiser Josef II. fernbleiben muß, weil sich sein Augenleiden verschlimmert hat und die Ärzte Breiumschläge und Bandagen sowie strikte Bettruhe im abgedunkelten Schlafzimmer verordnet haben).
Auch die letzten Tage seines Wien-Aufenthaltes sind randvoll mit Terminen gefüllt. Beim öffentlichen Konsistorium im Rittersaal der Hofburg tauscht man – ungeachtet des unbefriedigenden Verlaufes der Geheimverhandlungen zwischen Kaiserthron und Heiligem Stuhl – überschwengliche Komplimente aus, die insbesondere die Gastfreundschaft des Monarchen, seine Leutseligkeit, seine »außerordentlichen Geistesgaben« und seinen »unbeschreiblichen Fleiß in der Führung der Geschäfte« hervorheben, was in krassem Gegensatz zu dem vor acht Tagen ausgebrochenen Streit steht, in dessen Verlauf Pius VI. seinen Widersacher unverhohlen der offenen Häresie bezichtigt hat.
Hinter vorgehaltener Hand machen unter den wenigen Eingeweihten Spekulationen die Runde, von Rechts wegen hätte der Papst in dieser zugespitzten Situation dem Kaiser den Empfang der Sakramente verweigern, ja seine Exkommunikation in die Wege leiten müssen. Sogar ein jäher Abbruch der Gespräche und eine vorzeitige Abreise aus Wien liegen vorübergehend in der Luft. Für weitere Verstimmung sorgt die offene Brüskierung des Heiligen Vaters durch den aufsässigen Fürsten Kaunitz, der dem hohen Gast bei dessen Besuch in der Gemäldegalerie des Staatskanzlers sowohl Kniefall wie Handkuß verweigert, ja nicht einmal den Hut abnimmt.
Da ist es immerhin ein Trost, daß wenigstens die weiblichen Mitglieder der österreichischen Hocharistokratie sich darum reißen, an den Papst heranzukommen und ihm die Füße zu küssen. Um ihres Ansturms Herr zu werden, muß man sich dazu entschließen, einen der beiden seidenen Pantoffeln des Heiligen Vaters in die diversen Adelshäuser zu schicken – ein Vorgang, den der Schriftsteller Johann Pezzl mit den Worten beschreiben wird: »Auf einem silbernen Tablett ruhend, ward das Heiligtum von der Dienerschaft von Haus zu Haus getragen und dort von den also ausgezeichneten Damen ehrerbietig betrachtet und geküßt.«
Am 22. April gegen 7 Uhr früh verläßt der Papst Wien. Kaiser Josef II. gibt ihm das Geleit bis Mariabrunn, dem westlich von Wien gelegenen Kloster der Unbeschuhten Augustiner, von wo Pius VI. via St. Pölten, Melk und St. Florian die Weiterreise nach Bayern antritt. Obwohl er das eigentliche Ziel seiner Mission, den Kaiser zur Rücknahme seiner säkularen Reformschritte zu bewegen, verfehlt hat, siegt auch in der Stunde des Abschieds die Diplomatie über die Realität. »Der Monarch«, so lesen wir in der wenige Monate darauf veröffentlichten »Ausführlichen Geschichte der Reise des Pabstes Pius VI. von Rom nach Wien«, »wurde von dem Heiligen Vater aufs zärtlichste umarmet, geküsset und gesegnet, und viele der Anwesenden waren davon so gerühret, daß sie sich der Tränen nicht enthalten konnten.«
Taler, Daalder, Dollar
Im Gegensatz zum Schilling, der seine Wurzeln in Deutschland hat, geht der Dollar auf eine altösterreichische Erfindung zurück – jedenfalls, was seinen Namen betrifft. Joachimsthal heißt der Geburtsort des anno 1792 in den Vereinigten Staaten von Amerika inaugurierten Zahlungsmittels, und das kam so:
Mit 18 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Böhmens (nach Prag), ist das 17 Kilometer nordöstlich von Karlsbad gelegene Joachimsthal im 16. Jahrhundert dank seiner örtlichen Silbererzvorkommen eine bedeutende Bergbausiedlung. Herr über die erzhaltigen Ländereien sind die auf Schloß Freudenstein residierenden Reichsgrafen Schlick, deren berühmtester Sproß, der 1396 in Eger geborene Kaspar von Schlick, es bis zum Kanzler am Wiener Hof bringt. Einer seiner Nachkommen mag sich jedoch nicht mehr mit dem bloßen Schürfen und Verhütten des auf seinen Gründen schlummernden Edelmetalls begnügen, sondern steigt 1519 ins lukrative Geschäft der Münzprägung ein.
»Joachimsthaler« nennt man die silbernen Guldengroschen nach dem bald weithin berühmten Fundort; auf der Vorderseite sind sie mit dem böhmischen Löwen, dem Wappen der Herren von Schlick, versehen, während auf der Rückseite das Bild des heiligen Joachim prangt. Nachdem sie 1522 auf der Leipziger Messe erstmals als Zahlungsmittel kursiert sind, gewinnen die Schlick’schen Silbermünzen mit der Zeit solche Popularität, daß der Volksmund ihren Namen von »Joachimsthaler« zu »Thaler« verkürzt: Es ist die Geburtsstunde der späteren Weltmünze »Taler« und in weiterer Folge ihrer je nach Land »Daler«, »Daalder«, »Talero« oder »Dollar« genannten Varianten.
Heute gehört der gute alte Taler der Vergangenheit an, geblieben ist der Dollar. Und geblieben ist auch die Erinnerung an die große Zeit der »Königlichen Münze von Joachimsthal«. Die ehemaligen Prägewerkstätten im heutigen Jáchymov sind in ein Museum umgewandelt, das den Tschechien-Touristen, die sich im nordwestlichen Böhmen umtun, die Geschichte des Geldwesens von anno dazumal anschaulich vor Augen führt.
Daß sie in so großer Zahl nach Jáchymov kommen, hat einen besonderen Grund. Zwar waren schon im späten 17. Jahrhundert die Erzlagerstätten der Grafen Schlick so gut wie ausgebeutet und um 1800 der gesamte Silberbergbau eingestellt, doch dafür erlebte Joachimsthal ab 1898 eine neue Blüte, und das ist dem französischen Forscherehepaar Marie und Pierre Curie zu verdanken, die im Zuge ihrer chemisch-physikalischen Experimente in den Pechblendenrückständen des Joachimsthaler Silberbergbaues die Elemente Polonium und Radium entdecken und damit die Grundlage für das erste Radium-Heilbad der Welt schaffen. Die radioaktiven Thermalquellen von Jáchymov haben inzwischen sogar dem nahen Karlsbad in mancher Hinsicht den Rang abgelaufen.
Woran man sich in dem unter Denkmalschutz stehenden Kurbad an den Ausläufern des Erzgebirges weniger gern erinnert, sind die Jahre zwischen 1948 und 1967, da die neuen Herren der Tschechoslowakei, die Sowjets, ihre politischen Häftlinge zwecks Ausbeutung der reichen Uranerzlager als Zwangsarbeiter in die »Hölle von Jáchymov« schickten.
Die Geburtsstunde des Schillings
Es dürfte nur wenige österreichische Haushalte geben, in denen nicht irgendwo in einem stillen Winkel eine SchillingMünze aufbewahrt wird (oder auch mehr). Die per 1. Jänner 1998 in Kraft gesetzte Währungsumstellung gab dem scheidenden Alpendollar noch einmal einen letzten kräftigen Popularitätsschub, und selbst heute, beinah zehn Jahre nach der Einführung des Euro, sind es nicht wenige, die beim täglichen Geldverkehr nach wie vor auf der Basis des guten alten Schillings »umrechnen«. Da ist es nur recht und billig, der Geburtsstunde dieses identitätsstiftenden Zahlungsmittels zu gedenken, das, nur durch die Reichsmark-Ära 1938–1945 unterbrochen, 67 Jahre lang Herrn und Frau Österreicher vorzügliche Dienste geleistet hat.
Schon der Abschied von Krone und Heller anno 1924 war vielen Bürgern der Ersten Republik nicht leicht gefallen, obwohl sich in der damit einhergehenden Inauguration des Schillings das allseits herbeigesehnte Ende der Nachkriegsinflation ausdrückte. Es war das dritte Regierungsjahr des christlich-sozialen Bundeskanzlers Ignaz Seipel, überschattet nicht nur von der katastrophal abgefallenen alten Währung, die im europäischen Vergleich auf dem unrühmlichen letzten Platz gelandet war, sondern auch von dem am 1. Juni 1924 auf den Regierungschef verübten Attentat. Immerhin hatte Seipel, bevor er schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde, alles Nötige unternommen, um die Stabilisierung der zerrütteten Staatsfinanzen einzuleiten, und noch