Die ganz Großen. Georg Markus

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Die ganz Großen - Georg Markus

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der begeisterte Hobbygärtner jede Menge Orchideen, Obst, Gemüse und Salate gepflanzt hatte.

      Irgendwann fragte ich ihn, warum er sich denn ausgerechnet in dem kleinen Städtchen, hundert Kilometer westlich von Wien, angesiedelt hätte. Weder der Ort noch das schmucklose Haus in einer Arbeitersiedlung entsprachen den Vorstellungen des Publikums, wie ein Filmstar zu wohnen hat.

      »Ja, das ist so eine Geschichte«, lachte er. »Ich hab’ einmal in der Gegend gedreht, da lud mich der Verwalter eines benachbarten Schlosses ein, ich könnte auf dem an der Erlauf gelegenen Gut jederzeit fischen. Es war ein Paradies für Petrijünger, und so kaufte ich das kleine Grundstück hier im nahen Wieselburg und baute das Haus drauf. Ein paarmal habe ich dann auf dem herrschaftlichen Gut den Fischereihimmel auf Erden erlebt. Aber das Glück hielt nicht lange an. Mein Sohn Thommy hatte damals ein Tanzlokal in der Wiener Innenstadt, in dem eines Abends ein Betrunkener randalierte. Thommy wies ihn aus dem Lokal. Was soll ich dir sagen – der Randalierer war ausgerechnet der Sohn des Verwalters vom Schloss. Seither sitz ich in Wieselburg, aber zum Fischen bin ich nicht mehr gekommen.«

      Paul Hörbiger setzte seine Karriere nach dem Krieg fort. Spielte wieder am Burgtheater – von dem aus er jeden Abend per Bahn ins entlegene Wieselburg fuhr – drehte Filme, vor allem und am liebsten mit seinem kongenialen Partner Hans Moser, der, wie er sagte, »ein einmaliger Glücksfall für mich gewesen ist«. Hofrat Geiger, Hallo Dienstmann, Ober zahlen, Hallo Taxi … zeugen davon.

      Zwei Volksschauspieler, die auch außerhalb des Studios der Typ Wiener waren, den sie im Film verkörperten. Moser blieb, auch als reicher und berühmter Mann, der raunzende Kleinbürger. Hörbiger war immer Lebemann. Und wie sie lebten, so sind sie auch gestorben. Moser, der Sparsame, als Millionär. Hörbiger, der Bonvivant, hatte die Gagen seiner Filme aufgebraucht. Er hatte, im wahrsten Sinne des Wortes, gelebt.

      Es bereitete Paul Hörbiger sichtliches Vergnügen, in den vielen Gesprächen, die wir miteinander führten, einmal noch sein langes, reiches Leben Revue passieren zu lassen. Seine Töchter Christl und Monica sagten mir nach seinem Tod, das Erinnern und der anschließende Erfolg des Buches, das wir Ich hab’ für euch gespielt nannten, hätten ihm ein Jahr voller Freude geschenkt.

      Als wir, wie erwähnt, seine Memoiren, nach Erscheinen des Buches, an den Stätten seiner Karriere verfilmten, fuhren wir auch nach Berlin, Reichenberg und Prag. Im Prager Restaurant Opera Grill hatten wir nach Drehschluss, beim Abendessen, ein berührendes Erlebnis. Wie so oft, wenn der große Mann mit dem schlohweißen Haar ein Lokal betrat, applaudierten die Gäste spontan. Der Pianist unterbrach seine Musik, spielte eine andere Melodie, und Hörbiger rannen plötzlich – wie auch damals schon, in seiner Zelle – dicke Tränen über beide Wangen. Als das Lied verklungen war, stand er auf und umarmte den Klavierspieler.

      Was war geschehen? Der Musiker Arnos Vrana hat jenes tschechische Volkslied »Pisnička Česka« intoniert, das 1940 Anlass für Hörbigers Verhaftung durch die Gestapo gewesen war, nachdem es die Nazis verboten hatten. Und jetzt, vierzig Jahre später, spielte derselbe Pianist, als er Hörbiger erkannte, dieses Lied noch einmal. Und beide lagen einander weinend in den Armen.

      Paul Hörbiger stand bis zuletzt auf der Bühne des Wiener Burgtheaters. Er starb am 5. März 1981 im Lainzer Krankenhaus in Wien. Wo ich ihn wenige Tage vor seinem Tod ein letztes Mal besucht hatte. Fast 87 Jahre alt und gezeichnet von der Schwäche seines Herzens, war er auch im Angesicht des Todes der Alte geblieben, hatte seinen Humor nicht verloren. Als ich ihm am Krankenbett erzählte, dass dem beliebten Schauspieler Alfred Böhm – seinem Nachbarn in Wieselburg – als Nächstem die Goldene Kamera überreicht würde, sagte Paul, dem sie vier Jahre zuvor verliehen worden war: »Jetzt ist Wieselburg die Stadt mit den meisten Goldenen Kameras pro Kopf der Bevölkerung.«

      Mit den Worten »Ihr werdet’s net so lang um mich weinen, wie ihr über mich g’lacht habt’s«, ließ Paul Hörbiger seine Memoiren ausklingen. Wenn wir heute einen seiner Filme sehen, sind wir glücklich, über ihn lachen zu können. Und traurig, dass es ihn nicht mehr gibt.

DIE TRAGÖDIE EINES KOMÖDIANTEN

      Wir können sein komödiantisches Talent nur erahnen, kaum jemand der heute Lebenden wird Alexander Girardi noch auf einer Bühne gesehen haben. Und wir können seine Zeitgenossen zu Rate ziehen. Felix Salten etwa, der »Schauspieler wie Girardi als Naturereignisse« bezeichnete, »die auch wie diese mit unwiderstehlicher Macht wirken. Erscheinungen wie er gehen neben der Kunst einher, gehen, wenn man will, manchmal hoch über die Kunst hinaus. Man muss sie hinnehmen, wie man ein Wunder hinnimmt, muss sie als Wunder staunend genießen.«

      Alexander Girardi, so wird erzählt, hätte einmal den alten Kaiser bei einem Spaziergang durch Bad Ischl begleitet, da drehten sich die Leute um und fragten: »Wer ist denn der alte Herr neben dem Girardi?« Es wird schon nicht ganz so gewesen sein, aber die Episode zeigt, wie populär der Volksschauspieler war. Jeder Wiener, der auf sich hielt, trug einen Girardihut, stützte sich auf einen Girardistock, sprach und bewegte sich wie Girardi. Johann Strauß hatte einige seiner schönsten Melodien für ihn geschrieben, kurzum: Österreich war im Girardi-Fieber.

      1850 in Graz geboren, musste der junge »Xandl« vorerst gegen seinen Willen das Schlosserhandwerk erlernen. Erst nach dem Tod des strengen, aus Cortina d’Ampezzo eingewanderten Vaters konnte er zum Theater gehen. Ohne Schauspielausbildung debütierte er 19-jährig in Nestroys Tritsch-Tratsch am Sommertheater von Rokitsch-Sauerbrunn. Nach mehreren Provinzengagements ging Girardi ans Strampfertheater auf der Wiener Tuchlauben. Bald holte ihn das Theater an der Wien, an dem er das Lied »Nur für Natur« in der Strauß-Operette Der lustige Krieg so unvergleichlich interpretierte, dass er über Nacht berühmt wurde. Mehr als zwanzig Jahre blieb er an diesem Theater, an dem er in den komischen Rollen fast aller Strauß-Operetten wahre Triumphe feiern sollte. So kreierte er den Frosch in der Fledermaus und den Zsupan im Zigeunerbaron. Er war in seiner Glanzzeit so populär, dass er es sich leisten konnte, den wohl kuriosesten Vertrag der Theatergeschichte abzuschließen. Da er mit der Eigentümerin und Direktorin des Theaters an der Wien verfeindet war, lautete eine Passage seines Kontrakts: »Wenn Herr Girardi die Bühne betritt, hat Fräulein von Schönerer dieselbe augenblicklich zu verlassen.«

      1885 hob er das Fiakerlied von Gustav Pick bei einem Praterfest der Fürstin Pauline Metternich aus der Taufe, später – nach seinem Abgang als »Dritter-Akt-Komiker« am Theater an der Wien – gastierte er auf allen großen Bühnen der Stadt, zeigte seine unübertroffene Komödiantik vor allem in den großen Raimund-Rollen.

      Seine Karriere hätte keinen besseren Verlauf nehmen können – doch sein Privatleben entwickelte sich zur Katastrophe. Von Millionen geliebt, bewundert, verehrt, lernte Girardi – just auf dem Höhepunkt seiner Popularität – die Hölle auf Erden kennen.

      Schuld an der Tragödie, die im Leben und nicht auf einer Bühne zur Aufführung kam, war die Liebe zu seiner Frau, der ebenso populären wie schönen Helene Odilon. Die Schauspielerin des Wiener Volkstheaters galt als verführerischste Frau ihrer Zeit, mit ihrem schmiegsamen Körper und der ihr eigenen sinnlichen Sprechweise betörte sie Wiens Männerwelt. Und »sie hatte den gesunden Appetit eines jungen Raubtieres«, wie ein Chronist sie beschrieb.

      Ausgerechnet diesem »Raubtier« war Alexander Girardi, der ehemalige Schlosserbub, mit Haut und Haaren verfallen. Am 14. Mai 1893 wurde Hochzeit gefeiert, doch schon nach wenigen Monaten kam, was kommen musste: Treu blieb Helene Odilon selbst als Ehefrau nur ihrem Ruf, »Wiens gefährlichste Frau« zu sein. Und Girardi, der sich auch als Volksliebling sein schlichtes Gemüt bewahrt hatte, wurde krank vor Eifersucht. Zwischen der 27-jährigen Herzensbrecherin und ihrem 43-jährigen Ehemann kam es zu erbitterten Szenen.

      Konkreten Anlass für die Tragödie gab Helene Odilons Flirt mit dem Bankier Albert Baron Rothschild. In den ersten Dezembertagen verließ sie seinetwegen die eheliche Wohnung in der

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