Die ganz Großen. Georg Markus
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Ein Arzt legt Paul Hörbiger auf eine Bahre und ruft den Schaulustigen zu: »Gehen Sie auf die Seite, damit er ruhig sterben kann!«
Tagelang schwebt er zwischen Leben und Tod. Hörbiger wird in das Wiener Sanatorium Hera gebracht, mehrmals operiert, ohne dass sich sein Zustand bessert. Der junge Schauspieler hat noch einen letzten Wunsch: Er will Pippa heiraten. Ein Priester kommt ins Spital. »Zuerst hat er mir die letzte Ölung gegeben, dann hat er uns getraut. Der Attila hat schwarze Lackschuhe mitgebracht, die ich anziehen sollte, aber ich hab ja gar nicht aufstehen können.«
Paul Hörbigers »Rossnatur« siegt. Fünf Monate nach dem Attentat kehrt er zurück nach Prag und feiert als Liliom einen Sensationserfolg. Bald werden die Direktoren anderer Bühnen auf den Star des Deutschen Theaters aufmerksam. Ein Agent unterbreitet ihm das Angebot, nach Frankfurt am Main zu wechseln, doch Hörbiger lehnt selbstbewusst ab: »Wenn ich jemals aus Prag weggehen sollte, dann gibt’s nur zwei Möglichkeiten. Entweder ans Burgtheater nach Wien oder zu Max Reinhardt nach Berlin. Was anderes kommt für mich nicht in Frage.«
»Ob du es glaubst oder nicht«, fuhr er fort, als er mir aus seinem Leben erzählte, »zwei Wochen später meldeten sich bei mir fast gleichzeitig die Direktion des Burgtheaters und das Büro von Max Reinhardt.«
Hörbiger entscheidet sich für Berlin, Europas damalige Unterhaltungsmetropole – und Bruder Attila tritt in Prag seine Nachfolge an. Paul wird in den »wilden« zwanziger Jahren schnell ein Liebling des Publikums und die Berliner nennen den unübertroffenen Interpreten des »Fiakerliedes« liebevoll »Fiaker-Paule«. Max Reinhardt ist es schließlich, der Paul einen entscheidenden Rat erteilt, den er sein Leben lang beherzigen sollte: »Herr Hörbiger, bemühen Sie sich nicht allzu sehr, hochdeutsch zu reden. Bleiben Sie beim Wiener Dialekt, das haben die Berliner gern.«
In Berlin kommen die ersten Stummfilmrollen auf das Naturtalent Paul Hörbiger zu, 1928 dreht er Spione unter der Regie von Fritz Lang. »So schwer wir es hatten, uns alles zu erarbeiten«, sagte Paula Wessely einmal zu mir – »dem Paul ist’s einfach zugeflogen.«
»Um besser extemporieren zu können, habe ich das Textbuch meistens nur schnell überflogen«, bestätigte er diese Aussage seiner Schwägerin. »Und kurz vor Drehbeginn habe ich mir die jeweilige Stelle im Buch schnell noch angeschaut, damit ich weiß, worum es geht. So passierte es, dass ich mitten unter den Dreharbeiten des Edgar-Wallace-Films Der Zinker den Regisseur Carl Lamac fragte: ›Entschuldige, wer ist in diesem Film eigentlich der Mörder?‹
Seine Antwort kam prompt: ›Na du, natürlich, du Depp!‹ «
Dreihundert Filme – und damit mehr als jeder andere deutschsprachige Schauspieler – hat er gedreht. Aber jetzt, als Paul Hörbiger im hohen Alter zurückblickte auf ein reiches Leben, da wollte er in erster Linie über seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg berichten und nicht so sehr von den Filmen und den schönen Partnerinnen, die mit ihm spielten. Fragte ich ihn über Marlene Dietrich oder Zarah Leander, dann winkte er schnell ab und kam einmal mehr auf die Schützengräben zu sprechen, in denen er liegen musste. »Millionen Männer waren im Krieg«, unterbrach ich ihn, wenn er wieder allzu ausführlich vom Kasernenleben in Möllersdorf berichtete, »aber eine Filmkarriere wie du hat sonst niemand gemacht. Darüber wollen die Menschen etwas erfahren.« Er indes kam neuerlich auf die Brussilow-Offensive oder die Schlachten am Isonzo zu sprechen und ich hatte rechte Mühe, ihn über Dreharbeiten mit Willi Forst, Hans Albers und Heinz Rühmann erzählen zu lassen. Er fand das alles nicht so bedeutsam wie den Zusammenbruch der alten Donaumonarchie, der geradewegs in die Katastrophe führte. Das war wohl auch das große Trauma seiner Generation, und deshalb ließ ihn das Thema nicht los. Irgendwie ist es uns dann aber doch gelungen, seinen Anteil an der Filmgeschichte aufzuarbeiten.
Die Nationalsozialisten kommen an die Macht, und Hörbiger empfindet die Situation in Berlin zunehmend als unerträglich. Er fällt mehrmals »unangenehm« auf, schützt seinen jüdischen Sekretär, verhilft ihm dann zur Flucht. Obwohl Hitler ihm bei einem Empfang mitteilte, er sei einer seiner Lieblingsschauspieler, wird Hörbiger zeitweise mit einem Drehverbot belegt. Als er 1940 auf Anweisung von Goebbels eine Rolle im Deutschen Theater nicht übernehmen darf, zieht er die Konsequenzen. Inzwischen geschieden, geht er mit seinen drei Kindern nach Wien und wird Mitglied des Burgtheaters.
Auch hier hat er immer wieder Probleme mit den Behörden. Schon nach seiner ersten Premiere – er spielt die Titelrolle in Der Franzl von Hermann Bahr – erteilt ihm der »Reichstheaterdramaturg« die Anweisung, das (verbotene) Wort Österreich in dem Stück wegzulassen. Hörbiger weigert sich und sagt jeden Abend, oft unter stürmischem Applaus, »Österreich«.
So geht es bis kurz vor dem Ende des Krieges weiter. Im Frühjahr 1979 fanden wir, während der Recherchen zu seinem Buch, im American Document Center in Berlin einen dicken »Paul-Hörbiger-Akt«, in dem sämtliche »Untaten« des aufmüpfigen Volksschauspielers penibel aufgelistet sind. Daraus geht auch hervor, dass er lange Zeit viel zu populär war, um ganz »aus dem Verkehr gezogen« zu werden.
Doch Hörbiger ging noch weiter, »zu weit« für die Machthaber. Nachdem er schon einmal in Prag vorübergehend festgenommen wurde, weil er dort das von den Nazis verbotene Lied »Pisnička Česka« gesungen hatte, wird er in Wien ein zweites Mal verhaftet. Der Grund: In den Räumen einer Widerstandsgruppe tauchte ein Scheck über 3000 Mark mit Paul Hörbigers Unterschrift auf.
»Am 20. Jänner 1945 kamen Gestapoleute in mein Hietzinger Haus, um mich abzuholen. Da hab ich plötzlich die Nerven verloren.« Hörbiger läuft ins Badezimmer, schneidet sich mit einer Rasierklinge die Pulsader der linken Hand auf. Nachdem ihm ein benachbarter Arzt erste Hilfe erteilt, wird der Schauspieler ins Gefangenenhaus abgeführt.
Ich habe mit ihm, als wir sein Leben dann auch für das Fernsehen verfilmten, die Zelle besucht, in der er bis Kriegsende gesessen ist. Wiener Landesgericht, E-Trakt, 4. Stock, Zelle 289. Paul standen die Tränen in den Augen, als er hier die Stunden seiner Todesängste nach 35 Jahren noch einmal Revue passieren ließ. »Da bin ich g’sessen, und es war furchtbar. Wir haben alle mit unserem Ende gerechnet, keiner konnte ernsthaft glauben, dass er da wieder lebend herauskommt. Dann brach auch noch Typhus aus, wir wurden kahl geschoren, und es hat entsetzlich gestunken. Viele meiner Zellennachbarn sind an der Epidemie elend zugrund gegangen.«
Seine Tochter erhielt in diesen Tagen die Nachricht, dass im »Feindsender« BBC eine Aufnahme von Pauls Fiakerlied gespielt und danach vom Sprecher gemeldet wurde: »Diese Stimme ist für immer verklungen, der beliebte Wiener Schauspieler Paul Hörbiger wurde heute Nacht im Wiener Landesgericht hingerichtet«.
Das war zwar ein wenig übertrieben, »aber meine Familie stand unter einem großen Schock, man hat mit dem Schlimmsten gerechnet«.
Am 5. April 1945 ist der Spuk vorbei. Als die Truppen der Alliierten näher rücken, werden die Gefangenen überraschend freigelassen. Paul Hörbiger ist der erste »Politische«, der durch das große Tor des Wiener Landesgerichts in Freiheit gelangt. Ihm folgen der spätere Bundeskanzler Leopold Figl und dreitausend weitere Häftlinge.
Paul Hörbiger hat sich nie als Held gesehen, er lehnte es ab, Widerstandskämpfer genannt zu werden – »dafür habe ich zu wenig geleistet. Ich habe nichts weiter getan, als meine Meinung gesagt. Was eine Diktatur wirklich ist, das habe ich, wie die meisten anderen, viel zu spät erkannt.«
Die Gespräche führten wir fast immer in seinem Haus in Wieselburg. Dass es in der Paul-Hörbiger-Gasse lag, war verständlich – die Gemeinde hatte ihren berühmtesten Sohn auf diese Weise geehrt –, dass das Gasthaus, in dem wir hin und wieder einkehrten, »Haus Moser« hieß, war hingegen reiner Zufall – der Wirt hieß wirklich so. Meist bereitete Paul Hörbiger, der leidenschaftlich gerne kochte, unser Mittagessen aber selbst