Die ganz Großen. Georg Markus

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Die ganz Großen - Georg Markus

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Erinnerungsstücke lagerten jahrzehntelang in einer leer stehenden Wohnung aus Mosers Besitz, ohne dass irgendjemand davon Kenntnis hatte. Mehr als sechzig Jahre hatte seine Ehefrau Blanca alles gesammelt: jedes einzelne Bühnen- und Filmfoto der langen Karriere ihres Mannes, Kinoplakate und Theaterzettel, Hunderte handgeschriebene Rollenhefte, Kritiken und Zeitungsausschnitte. Aber auch Kurioses wie das »Polizeiliche Führungszeugnis für Herrn Hans Moser-Julier«, Bahn- und Flugbilletts seiner Reisen und ein Arztrezept aus dem Jahre 1928. Oder den Kaufvertrag seiner Villa, Mosers Burgtheatervertrag (öS 17 000,- brutto pro Monat) und sämtliche Honorarnoten seiner Filmengagements (für Hallo Dienstmann, 1951 gedreht, erhielt er als Gage 200 000 Schilling).

      Da lagen sie also vor mir, die riesigen, prall gefüllten schwarzen Kartons, und ich konnte nicht fassen, was Österreichs großer Volksschauspieler neben seinen Filmen noch alles hinterlassen hatte. »Wie nehm’ ma’n denn«, stand da in verwinkelter Kurrentschrift auf einem vergilbten Blatt Papier – zwischen Filmplakaten und alten Rechnungen steckte Mosers eigenhändig verfasstes Manuskript des Dienstmanns, der berühmten Szene, die er sich 1923 auf den Leib geschrieben hatte.

      In einer anderen Kiste fand ich einen dramatischen Brief an Hitler, in dem er in verzweifelten Worten für seine jüdische Frau interveniert und den »Führer« anfleht, »die für Juden geltenden Sonderbestimmungen gnadenweise zu erlassen«.

      Doch Hitler kannte keine Gnade – Blanca Moser musste emigrieren, lebte viele Jahre von ihrem Mann getrennt.

      Im »Polizeilichen Führungszeugnis« aus dem Jahre 1948 ist eingetragen, dass Moser »weder als Bettler (!) noch als Mitglied der NSDAP« eingestuft wurde. 1960 ersuchte der als sparsam bekannte Schauspieler die Erzdiözese Wien in einem Brief um »Erlass der Kirchensteuer«, weil er – wie er schreibt – »seit zwei Jahren nichts verdiente, weder beim Film noch am Theater«.

      Dabei hatte er in diesen beiden Jahren sieben Filme gedreht …

      Hans Mosers Leben stellte sich mir nun in den vielen Dokumenten und Aufzeichnungen seines Nachlasses dar. Zuallererst erstaunt, wie lange es dauern sollte, bis man die wahre Größe dieses Mannes erkannt hatte. Es war ein schmerzlicher Weg, der ihn erst in reifen Jahren zum Erfolg und damit zu den Rollen führte, die er so unnachahmlich spielte.

      Er wurde am 6. August 1880 als Sohn des Franz und der Serafina Julier in Wien geboren. Die Mutter war Wienerin und betrieb am Naschmarkt ein kleines Milchgeschäft. Den Vater, einen gebürtigen Ungarn, hatte es als jungen Mann in die Haupt- und Residenzstadt verschlagen, wo er als Maler und Bildhauer arbeitete. Dem Umstand, dass seine Vorfahren ursprünglich aus Frankreich stammten, verdankte Hans Moser – der wienerischste aller Schauspieler – seinen so unwienerischen Namen Julier.

      »Schauspieler willst werden? Mit der Stimm’ und der Figur?« Das war die erste Reaktion des Vaters, als er erfuhr, dass sein Sohn nach Abschluss der Handelsschule zur Bühne wollte. Auch die Aussage von Direktor Gutmayer – dem Leiter der privaten Theaterschule Otto – war alles andere als ermutigend: »Talent haben S’ keines, junger Mann, aber wenn S’ wollen, können S’ bleiben!« Diese »Gnade« wurde Johann Julier zuteil, weil sich die Theaterschule in einer finanziellen Notlage befand und das monatliche Schulgeld in Höhe von fünfzehn Gulden dazu beitrug, das künstlerische Lehrinstitut über Wasser zu halten. Den tatsächlichen Schauspielunterricht erhielt er dann von einem entfernten Verwandten, dem Hofschauspieler Josef Moser, der als Episodist am Burgtheater engagiert war. Ihm zu Ehren sollte sich Johann Julier später Hans Moser nennen.

      Mit siebzehn Jahren war er also ein mehr oder weniger ausgebildeter Schauspieler und verließ seinen Posten in der Buchhaltung eines Lederwarengeschäfts, um zum Theater zu gehen. Damals, knapp vor der Jahrhundertwende, existierten drei Kategorien von Bühnenhäusern: die großen Theater in Berlin, Wien und Prag, von denen ein Anfänger nur träumen konnte, sowie hervorragende deutschsprachige Bühnen in der sogenannten »Provinz«: Reichenberg, Aussig, Czernowitz, Pilsen, Graz, Linz. Doch auch dort hatte kein Prinzipal Interesse an dem 1,58 Meter kleinen, ambitionierten Schauspieler aus Wien.

      Blieb nur die »Schmiere«, die unterste Stufe des Theaterbetriebs. Schmutzige Gasthaussäle in Friedek-Mistek, Guben, Namslau, Neutitschein. Hans Moser war dazu verdammt, dort aufzutreten. Jahre vergingen, und er kehrte immer wieder – mit kurzen Unterbrechungen durch etwas bessere Engagements in der »Provinz« – zurück zur »Schmiere«. Er spielte die jugendlichen Liebhaber, für deren Darstellung er wirklich nicht geschaffen war, hatte aber auch Chor- und Statisterieverpflichtung, musste Kulissen schieben und Theaterzettel austragen.

      Einmal sah er eine Chance, dieser Tätigkeit zu entkommen. Josef Jarno war im Jahre 1902 auf ihn aufmerksam geworden und engagierte den damals 22-Jährigen an das Wiener Theater in der Josefstadt. Doch selbst der große Theatermann erkannte Mosers Genie nicht, bemerkte nicht die komödiantische Begabung dieses Mannes, ließ ihn fünf Jahre lang in winzigen Episodenrollen auftreten.

      Enttäuscht und verzweifelt verließ Moser seine Heimatstadt und bereiste wieder »Provinz« und »Schmiere«, wo man ihm wenigstens etwas größere Rollen anvertraute. Keiner wollte an ihn glauben, nur er selbst wusste von seinem Talent, wie er viel später – 1926, bereits als berühmter Mann – in einem Zeitungsinterview feststellte, das ich in einer der Kisten fand. »Eines möchte ich schon sagen: Das, was ich heute kann, habe ich vor zwanzig Jahren schon gekonnt. Um kein Haar war ich damals anders als heute, ganz gewiss nicht.«

      1910 lernte er die Frau kennen, die sich sowohl für sein Privatleben als auch für sein berufliches Fortkommen als Glücksfall erweisen sollte. Blanca Hirschler, zehn Jahre jünger als er, nahm seine Karriere in die Hand. Gemeinsam klapperten sie Kabaretts, Varietés und Nachtlokale ab, sie studierte mit ihm neue Rollen ein, handelte Verträge aus, kümmerte sich um Engagements. Vor allem aber machte sie ihm Mut und half, seine Depressionen zu überwinden.

      Nach zahlreichen Absagen durch einschlägige Etablissements sprach er im Jahre 1912 im Kabarett »Max und Moritz« in der Wiener Annagasse vor – und wurde aufgenommen. Für kleine Rollen zwar, aber er konnte endlich als Komiker auf sich aufmerksam machen. Das Kabarett sollte sich als ideales Sprungbrett erweisen. Noch im selben Jahr holte ihn der berühmte Kabarettist Heinrich Eisenbach an sein »Budapester Orpheum« in der Taborstraße in Wiens Leopoldstadt. Moser stand jetzt mit den großen Komikern seiner Zeit auf der Bühne, und sein Weg schien gesichert.

      Doch das Glück blieb nur ganz kurz auf seiner Seite. Der Erste Weltkrieg bricht aus, der 34-Jährige wird eingezogen, verbringt vier Jahre im Feld. Endlich heimgekehrt – und stolzer Vater geworden –, muss er wieder ganz von vorn beginnen.

      Während des Krieges träumte er davon, das zu spielen, womit seine berühmten Kollegen im Eisenbach-Ensemble ihre Erfolge feierten: Solonummern.

      1922 tritt er im Varieté »Reklame« auf der Praterstraße in einer kleinen Rolle in dem Einakter Nachtasyl auf. Im Ensemble des Varietés befindet sich eine junge Soubrette namens Friedl Weiss, die jeden Abend nach der Vorstellung, wie Moser bemerkte, vom berühmten Librettisten Fritz Löhner-Beda – der für Franz Lehár den Text zur Operette Das Land des Lächelns schrieb – abgeholt wurde. Wie sich bald herausstellte, war die Schauspielerin mit dem angesehenen Schriftsteller verlobt.

      Hans Moser witterte seine Chance, wie mir Friedl Weiss viele Jahre später erzählte. »Eines Tages klopfte Herr Moser an meine Garderobentür, trat ein und sagte: ›Frau Weiss, ich bin ein armer kleiner Schauspieler, Sie sind doch immer in Begleitung des Herrn Löhner-Beda. Ich hätte eine Bitte an den Herrn Doktor. Vielleicht könnte er mir eine Soloszene schreiben, das wäre sehr wichtig für mich.‹ «

      Wie zu erwarten, explodierte der stets unter Zeitdruck stehende Löhner-Beda, als er durch seine Verlobte vom Wunsch des unbekannten Schauspielers erfuhr: »Immer kümmerst du dich um die anderen, ich komm’ nicht einmal dazu, dir eine neue Nummer zu schreiben,

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