Die ganz Großen. Georg Markus

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Die ganz Großen - Georg Markus

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muss, zugetroffen hätte?«

      Kortner. 1964 spielt sie unter seiner Regie am Burgtheater in dem Ibsen-Stück John Gabriel Borkmann. Die kleine Geschichte sei erzählt, um zu zeigen, dass die Wessely nicht nur sehr ernst sein konnte, sondern – was nur wenige wussten – auch über ein beachtliches Quantum feinen Humors verfügte. Kortner war für seine ausführliche Probenzeit bekannt. Nach zwei Wochen aufreibender Vorbereitungen erscheint Paula Wessely in der Kanzlei des Burgtheaterdirektors Ernst Haeusserman: »Es ist wirklich großartig«, sagt sie, »was Kortner alles sagt. Und wie er es sagt. Und diese Gründlichkeit. Heute, nach 14 Probentagen, sind wir glücklich auf Seite sieben des Rollenbuches angelangt. Sagen Sie, Herr Direktor, ist eigentlich auch daran gedacht, dass es in diesem Stück je eine Aufführung geben wird?«

      Es war daran gedacht, und es gab auch eine. »Als Frau Wessely ihre Verzweiflung über ein verdorbenes Leben mit ganzer Seele und Stimme darbot«, heißt es in einer Rezension, »da reichte Theater weit über Kalkuliertes hinaus in Bezirke, die sonst nur der Musik geöffnet sind.«

      Am 13. Oktober 1984 hatte sie – als Hoffnung in Ferdinand Raimunds Der Diamant des Geisterkönigs – ihre letzte Premiere am Burgtheater, es folgte eine Serie umjubelter Leseabende, 1987 zog sie sich für immer zurück. Ob sie die Bühne vermisste, fragte ich sie. »Eigentlich nicht. Eines Tages war’s für mich ganz klar, dass ich aufhöre. Ich sollte die Fürstin Ettin in Molnárs Olympia spielen, eine Rolle, die mir seinerzeit viel Vergnügen bereitet hat. Als ich dann achtzig war, habe ich mir das nicht mehr zugetraut, weil die körperlichen Kräfte nachließen. Es war mir beschieden, im richtigen Moment aufgehört zu haben.«

      Als Paula Wessely im Herbst 1992 am Wiener Rosenhügel der österreichische Filmpreis für ihr Lebenswerk verliehen wurde, durfte ich die Laudatio halten. Wir setzten uns vorher zusammen, sie legte Wert darauf, dass ich jedes Wort der Bewunderung, der Wertschätzung, der Betonung ihrer Größe vermeide. Ich habe es dann doch nicht ganz geschafft und gesagt, was sie uns allen bedeutet. Ihren strafenden Blick werde ich nie vergessen.

      Sie dankte bescheiden unter Standing Ovations, wie ich sie davor und danach nie wieder erlebte. Wenn sie an die Leistungen der wirklich Großen – der Ärzte, der Forscher und Erfinder – dachte, so sagte sie, »dann war das nicht sehr viel, was ich den Menschen geben konnte«.

      Zurück wieder in die Himmelstraße Nr. 24. Sie sitzt, während sie Bilanz zieht, im ersten Stock des Hauses, der immer ihr Bereich war. Im Parterre logierte Attila Hörbiger, jetzt lebt dort ihre Tochter Maresa. »Es war ein buntes, gnadenreiches Leben«, sagt die Wessely und streift mit einem Blick die vielen Bücher ihrer Bibliothek. »Zwei Kriege, viel Leid, aber auch sehr viel Freude durch Beruf und Familie. Drei gesunde Kinder zur Welt gebracht zu haben, das hat mich mit Stolz erfüllt. Aber es war mir immer bewusst, dass ich ihnen zu wenig Zeit widmen konnte. Heute bin ich glücklich und dankbar, dass alle drei als Schauspielerinnen einen sehr, sehr guten Weg gehen. Sie setzen jetzt die Tradition aus meiner und aus der Familie meines Mannes fort. Anfangs war es für sie belastend, immer wieder mit mir verglichen zu werden. Gott sei Dank ist es ihnen gelungen, sich vollkommen zu lösen und einen eigenständigen Weg zu gehen. Jetzt im Alter mache ich für meine Töchter dieselben Ängste durch, die ich seinerzeit um das Gelingen meiner eigenen Rollen durchgestanden habe.«

      Hin und wieder sah man die Doyenne des Burgtheaters auch in ihren letzten Lebensjahren noch durch Grinzing schreiten, von Einheimischen und Touristen bewundert wie eine Königin. Sie lebte nicht wie ein Star, wie eine Diva, sondern sehr bürgerlich. »Manchmal«, vemerkte, sie, »scheint es in Wien so zu sein: Ist man wer, haben sie’s nicht gern. Ist man niemand, passt es ihnen auch nicht. Ich persönlich muss den Menschen dankbar sein, dass sie mir über eine so lange Zeit so viel liebevolle Anhänglichkeit zeigen.«

      Paula Wessely war gläubig und befasste sich zuletzt intensiv mit dem Sterben. »Ich lese darüber in den Schriften bedeutender Theologen«, sagte sie, »ich lande aber doch wieder bei meinem Kinderglauben nach altkatholischem Bekenntnis. Und so erhoffe ich mir, im Jenseits all den Menschen, die ich geliebt habe, wieder zu begegnen.«

      Als sie dann, im Mai 2000, am Ende ihres Jahrhunderts und am Anfang des neuen, im Alter von 93 Jahren gestorben war, fragten viele, warum die Wessely – ausgerechnet die Wessely! – nicht mit einer großen Trauerfeier verabschiedet worden sei. Sie hatte ihre Töchter in ihrem Letzten Willen ersucht, nur ja nicht, wie das bei Ehrenmitgliedern des Burgtheaters üblich ist, im Foyer des Bühnenhauses aufgebahrt und dann um das Gebäude getragen zu werden. Paula Wesselys schriftlich deponierte Begründung lautete: Sie hätte sich nie als reine Burgschauspielerin, sondern vielmehr als österreichische Schauspielerin gesehen. Sie hätte auch gefunden, es gäbe Berufenere, die dem Burgtheater mehr gedient haben. Und sie war der Auffassung, dass ein so großes Zeremoniell zu teuer wäre.

      Sie dachte schließlich, dass ihr Abgang »ein privater« sein sollte.

      »Privat« war dann auch die Trauerfeier in der kleinen Grinzinger Kirche, in der nur Familie und enge Freunde Platz fanden. Der Abschied war so ruhig, so schlicht, wie das Leben, das sie gerne geführt hätte. Sie selbst hatte noch alles minuziös geplant, von der ökumenischen Einsegnung mit zwei katholischen und zwei altkatholischen Priestern, bis hin zu Schuberts »Streichquintett«, dargeboten von fünf Herren der Wiener Philharmoniker. Es waren dieselben Klänge, mit denen man einst Attila Hörbiger verabschiedet hatte.

      »Privat« ist schließlich auch der Ort ihrer letzten Ruhe. Werner Krauß, Curd Jürgens, Hans Moser, Paul Hörbiger und viele andere der ganz Großen wurden am Wiener Zentralfriedhof bestattet. Alle recht nah beisammen, in Ehrengräbern, als stünde der letzte – gemeinsame – Auftritt noch bevor. Paula Wessely hingegen ließ sich an der Seite ihres Mannes, in Grinzing, begraben. Fernab von den Freunden und Kollegen aus der alten Zeit.

      »Manchmal«, schreibt Joachim Kaiser in seinem Nachruf in der Süddeutschen Zeitung, »gibt es auch Gründe, die ein höheres Alter vorteilhaft erscheinen lassen. Und wäre es nur der, die Wessely noch erlebt zu haben – und dafür dankbar zu sein.«

DIE VOLKSSCHAUSPIELER
»WIE NEHM’ MA’N DENN?«

      Man verwendet das Wort »unersetzlich« vielleicht allzu leichtfertig. Einige Jahre nach dem Ableben eines großen Künstlers stellt sich dann oft heraus, dass auch er zu »ersetzen« ist. Nicht als Mensch und Persönlichkeit, aber doch in seinem Beruf. Selbst die Darsteller der klassischen Rollen haben ihre Nachfolger gefunden. Wenn die Erinnerung an die ganz Großen auch noch so wehmütig stimmen mag – andere spielen ihre Rollen, müssen ihre Rollen spielen.

      Aber wer ist Hans Mosers Nachfolger?

      Auch nach so vielen Jahren scheint das Wort »unersetzlich« für ihn keineswegs übertrieben. Es wird keinen geben, der sein »Fach« übernimmt. Ein Fach, das in keine der üblichen Kategorien des Theaters und des Films einzustufen ist. Sein Fach ist nicht das des Komikers oder Charakterdarstellers. Sein Fach heißt »Moser«. Und es konnte im Film nur einmal, ein einziges Mal, besetzt werden. Oder wäre eine Neuverfilmung des Dienstmanns mit einem anderen denkbar?

      Könnte irgend jemand sonst seinen Tanzlehrer Hofeneder in Wir bitten zum Tanz spielen? Oder die tragikomische Figur des Dieners in Herrn Josefs letzte Liebe?

      Meinen Zugang zu Hans Moser fand ich über Paul Hörbiger, der mir viel von ihm erzählte, von den Extempores, mit denen die beiden ihre Rollen bis fast zur Unkenntlichkeit verändert hatten, aber auch von der tiefen Menschlichkeit, die Moser außerhalb des Studios zeigte. Geliebt hab’ ich ihn schon früher, wenn er in seinen Filmen, sich mehrmals um die eigene Achse drehend, über den Bildschirm huschte.

      Als im Herbst 1989 – also ein Vierteljahrhundert nach Mosers Tod – der künstlerische Nachlass

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