Die ganz Großen. Georg Markus

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Die ganz Großen - Georg Markus

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Siebzehnjährige spielt sie eine Hofdame in George Bernard Shaws Heiliger Johanna. »Die Ehrfurcht vor den Schauspielern war so groß, dass ich es nicht wagte, meinen Fuß ins Konversationszimmer des Deutschen Volkstheaters zu setzen. Denn dort saßen die Schauspieler, die die großen Rollen spielten, und vor ihnen hatten wir tiefen Respekt.«

      Zwei Jahre später ist sie am Deutschen Theater in Prag, wo der Kritiker Max Brod, ergriffen durch ihr Spiel, ankündigt: »Nächstesmal werde ich wohl schon ›die Wessely‹ schreiben.« Max Reinhardt holt sie nach Wien und Salzburg, und sie ist »die Wessely«, als ihr 1932 mit Rose Bernd in Berlin der Durchbruch gelingt.

      »Reinhardt stand ich zum ersten Mal im legendären Elferzimmer des Theaters in der Josefstadt gegenüber. Man hatte mir vorher verraten: Er bringt junge Schauspieler sehr gerne in Verlegenheit, indem er nichts sagt. Glücklicherweise hatte ich die Kraft, auch nichts zu sagen. So sind wir also eine Zeit lang stumm dagesessen. Dann hat er als erster geredet, mir ein paar Fragen gestellt – und von da an gehörte ich dem Theater in der Josefstadt an.«

      1933 ist sie das Gretchen in Reinhardts legendärer Faust-Inszenierung in Salzburg, im darauf folgenden Jahr wird sie durch Maskerade über Nacht weltberühmt. »Am Film faszinierten mich die Möglichkeiten, etwa in der freien Natur zu drehen. Ich war vor Maskerade schon zehn Jahre am Theater, hatte aber ein Gesicht, das als nicht fotogen galt. Willi Forst hat mir ein Tor geöffnet, als er den Mut hatte, mich in Maskerade zu besetzen. Es war mein Glück, zur richtigen Zeit dazugekommen zu sein, als der Stummfilm vom Tonfilm abgelöst wurde.« Episode, Späte Liebe, Der Engel mit der Posaune, Cordula waren weitere Stationen ihres Filmschaffens.

      Mitunter ist man enttäuscht, wenn man großen Schauspielern privat begegnet. Was an ihnen fasziniert, ist oft doch »nur« gespielt. Ganz anders war es bei Paula Wessely, die ihr Visavis auch im persönlichen Gespräch bezaubern, durch ihre Ausstrahlung gefangen nehmen konnte. Unsere Gespräche fanden in ihrem Garten, im schattigen Innenhof oder in der Bibliothek ihres Hauses in der Grinzinger Himmelstraße statt. Dieses Haus passte auch in einzigartiger Weise zu ihr. Es ist elegant, ohne schick zu sein, riesengroß und doch verwinkelt. Als Kind bin ich, von Wienerwaldtouren kommend, immer wieder daran vorbei marschiert, und meine Eltern haben jedesmal darauf hingewiesen, dass hinter diesen Mauern die berühmteste Schauspielerin des Landes lebte. Ich war sehr beeindruckt, wenn auch eher von der geheimnisvollen Nachricht und den Mauern des lang gestreckten Gebäudes mit dem breiten, dunkelgrünen Tor – zumal ich keine Ahnung hatte, was eine »berühmte Schauspielerin« sein mochte.

      Jetzt aber, als ich das Haus von innen sah und ihr gegenüber saß, da wusste ich es längst. Ich hatte sie im Burgtheater gesehen oder in Aufzeichnungen ihrer großen Rollen. Als Genia Hofreiter im Weiten Land, als Mrs. Arbuthnot in Eine Frau ohne Bedeutung, als Nora Melody in Fast ein Poet. »Meine Theaterauftritte, das sind Erinnerungen an eine andere Zeit«, sagte sie. »Inzwischen ist so viel passiert, so viel versunken am Theater und in der Welt überhaupt. Gleichgeblieben ist nur der Mangel an guten und publikumswirksamen neuen Bühnenstücken. Abgesehen davon nimmt das Theater nicht mehr die Stellung ein, die es zu meiner Zeit hatte. Das tut mir weh, denn es hat mir und meiner Generation so viel Freude bereitet.«

      Zurück nach Prag, 1926. Dort lernt sie Attila Hörbiger kennen. »Ich war neunzehn Jahre alt, wurde als blutjunge Schauspielerin des Deutschen Theaters vom Ehepaar Dittrich liebevoll als ›Kind im Haus‹ aufgenommen. Wir wohnten Smečka – so hieß die Straße – Nummer 33. Vom Wenzelsplatz links hinein, das weiß ich noch. Durch die Familie Dittrich, er war Professor für Gerichtsmedizin, und beide waren unglaubliche Theaterliebhaber, begegnete ich damals, wenige Jahre nach dem Zusammenbruch der Monarchie, einem bunten Kreis interessanter Menschen. Die Gesellschaft in Prag war doch ganz anders als die in Wien. Ich habe ungeheuer viel gelernt, was mir menschlich und in meinem Beruf zugute kam, auch deshalb war Prag so wichtig für mich.«

      Rund fünfzehn Prozent der Prager waren deutschsprachig, »ein phantastisches Publikum«, für das sie Komödien und Klassiker spielte. Die neuen Herren hieß das Stück, in dem sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem jungen Schauspieler namens Attila Hörbiger auf der Bühne stand. Damals, in Prag, Premiere 10. September 1926. »Wir hatten eine Liebesszene, ich lief auf ihn zu und rannte ihn fast um. Von einer Beziehung keine Rede, ich wusste nicht viel mehr von ihm, als dass er sportbegeistert war, irgendwas mit Fußball. Erst in Wien haben wir uns näher kennengelernt, an der Josefstadt.«

      Neun Jahre nach dem ersten Treffen in Prag sollten sie heiraten.

      Noch im hohen Alter – er war schon gestorben – freute sie sich, »wenn ich Gelegenheit habe, einen Film mit Attila im Fernsehen zu sehen. Da sehe ich nicht nur den Schauspieler Attila Hörbiger, sondern auch meinen Mann. Es ist wie ein Wunder, ihn lebendig vor mir zu haben, und mir kommen eine Fülle von Gedanken über die Zeit, wie es damals war, auch außerhalb der Dreharbeiten, als dieser Film entstanden ist.« Sie sah zum Fenster hinaus, in den schönen Grinzinger Garten inmitten der Weinberge, als blickte sie den vielen Stunden nach, die sie da unten mit ihm verbracht hatte. »Ich kann gar nicht glauben, dass er nicht mehr da ist. Er hatte die seltene Gabe, auch das Negative positiv zu sehen.«

      Eine Gabe, die ihr wohl fehlte.

      1936 erhält Paula Wessely ein Traumangebot aus Hollywood, sie lehnt ab und hat es nie bereut. Es gab mehrere Gründe dafür, auch private. »Für mich galt, auch im Film, was Helene Thimig einmal im Salzburger Café Tomaselli zu mir sagte: ›Man kann in einer fremden Sprache nur Theater spielen, wenn man sie von Kindheit an spricht.‹ Die Warner Brothers verlangten, ich müsste zwei Jahre Englisch lernen – das Risiko schien mir zu groß, um dafür meine hiesige Film- und Theaterlaufbahn aufzugeben.«

      Die ging mit Riesenschritten voran. Millionen Frauen kleideten sich, trugen ihr Haar wie sie. Die Wessely wurde zum Idol. Doch das waren nur die äußeren Zeichen einer Karriere (verzeihen Sie, Paula Wessely, jetzt hab ich das »eitle« Wort doch niedergeschrieben). Einer Karriere, die hart erarbeitet war. »Zugeflogen ist mir nichts, ich hab’ es mir sehr schwer gemacht, habe mir auf den Proben jede Rolle erkämpfen müssen. Mir ging es um die Glaubwürdigkeit in der Darstellung, das war alles. Zufrieden war ich selten. Theater, Film, Erfolg – vieles war dann ganz plötzlich da.«

      In den Jahren der Naziherrschaft wirkte sie in einem Propagandafilm mit, den sie besser nicht gedreht hätte. Und den man ihr später zum Vorwurf machte. Sie wollte das in unserem Gespräch nicht beschönigen, es lag ihr nur daran, »dass am Ende meines Lebens nicht das von mir übrig bleibt, und sonst gar nichts. Ja, es war ein Fehler, ein schwerer Fehler, dass ich nicht den Mut aufgebracht habe, abzulehnen. Es tut mir leid, dass ich die Dreharbeiten nicht abgebrochen habe – welche Konsequenzen das für mich und meine Familie auch immer gehabt hätte.«

      Sicher: Damit konnte sie den Film Heimkehr nicht ungeschehen machen. Aber es war ein klares Wort. Das von ihren Gegnern – allen voran Elfriede Jelinek in dem Tendenzstück Burgtheater – nicht akzeptiert wurde. Simon Wiesenthal, zweifellos die oberste Instanz in diesen Fragen, bezeichnete das Jelinek-Stück als Höhepunkt einer »miesen Hetzjagd«. Zumal bekannt ist, dass das Ehepaar Wessely-Hörbiger Freunden zur Ausreise verhalf, seine gefährdete Sekretärin weiter beschäftigte und sich dafür einsetzte, dass diese mit ihrem jüdischen Ehemann zwischen 1938 und 1945 in ihrer Wohnung verbleiben konnte. Nach dem »Anschluss« kaufte Paula Wessely formell die Villa Kalbeck, um sie so vor der sicheren »Arisierung« durch die Nazis zu schützen. Florian Kalbeck bestätigte mir gegenüber, dass die Wessely auf diese Weise das Hab und Gut der Familie gerettet hat.

      Paula Wessely wirkte sehr ernst, sehr betroffen, wenn sie über diese Zeit und das, was man ihr vorhielt, sprach. Die Angriffe haben ihr den Frieden der letzten Jahre geraubt, sie hat unvorstellbar darunter gelitten.

      »Glauben Sie«, fragte sie mich und klopfte dabei eindringlich mit der Hand auf das kleine Kaffeetischchen ihres

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