Die Hörbigers. Georg Markus
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Sehr viele Gelegenheiten wird Max Brod nicht haben, in Prag über »die Wessely« zu schreiben. Denn diese muss bald wieder zurück nach Wien – nicht ohne vorher noch im Mittelpunkt eines richtigen kleinen Theaterskandals zu stehen: Rudolf Beer, der Direktor des Wiener Volkstheaters, hatte der »jugendlichen Salondame« ein Jahr Urlaub gewährt, in dem sie Prag einen Erfolg nach dem anderen bescherte. Doch statt der heimgekehrten Wessely nimmt Beer am 1. September 1927 einen Brief von seinem Kollegen Leopold Kramer in Empfang, in dem dieser mitteilt, er würde dem Volkstheater »60 000 Tschechenkronen Konventionalstrafe bezahlen, wenn Fräulein Wessely in Prag bleiben dürfte«.
Beer lehnt empört ab, denn er freut sich schon die längste Zeit darauf, die Wessely wieder im Ensemble zu haben. Noch dazu, da ihr »Marktwert« mittlerweile kolossal gestiegen ist, zumal sich ihre Prager Erfolge auch in Wien schon herumgesprochen haben. Als Elevin aus ihrer Heimatstadt weggegangen, kehrt sie als anerkannte Schauspielerin zurück. Und die neue Saison scheint sich gut anzulassen, sie spielt jetzt an der Seite des großen Albert Bassermann in Ibsens Die Frau vom Meer. Allerdings vertraut man ihr, abgesehen von dieser anspruchsvollen Aufgabe und der Rolle der Wendla Bergmann in Frank Wedekinds Frühlings Erwachen, wieder nur leichte Kost an, darunter Dover-Calais von Julius Berstl, ein Stück, in dem sie laut Kritik »im Badekostüm ebenso appetitlich aussieht wie in einer wunderschönen Toilette. Sie zeigt, wie man Charleston tanzt, und macht alle in sich verliebt«.
Das nächste Boulevardstück bringt eine Begegnung, die ihr fürs ganze Leben enorm wichtig sein wird. Man spielt auch am Wiener Volkstheater die Komödie Kopf oder Schrift, in der sie in Prag so gefiel, dass Max Brod fast schon »die Wessely« geschrieben hätte. Den gar nicht so armen Grafen, in den sie sich als Studentin zu verlieben hat, gibt jetzt ein attraktiver junger Mann namens Hans Jaray.
Der ist aber nicht nur attraktiv, sondern auch blitzgescheit, charismatisch und überaus sensibel. Er wurde übrigens am selben Tag desselben Jahres geboren wie Paulas erster Flirt, Siegfried Breuer – am 24. Juni 1906. Bald geht die gespielte Liebe zwischen Studentin und dem armen-reichen Grafen nahtlos ins Privatleben über. Paula Wessely und Hans Jaray sind ein Paar, ein auffallendes Paar noch dazu, über das man in Wien noch sprechen wird.
Die große Liebe ist die eine Sache, die ewig leichte Boulevardkost eine andere. Als dann auch noch die von der Direktion des Deutschen Volkstheaters bereits zugesagte Rolle der Jenny in Brechts Dreigroschenoper an ihr vorübergeht, kündigt Paula Wessely ihren Vertrag und geht zur Konkurrenz, zum Theater in der Josefstadt.
An jene traditionsreiche Wiener Bühne also, die seit fünf Jahren zum Imperium des Max Reinhardt gehört. Dieser hatte das alte – und wohl auch veraltete – Theater mithilfe seines Finanziers Camillo Castiglioni nach dem Vorbild des Teatro La Fenice in Venedig völlig neu adaptieren lassen. Die Bühne war wesentlich vergrößert, der alte Holzschnürboden entfernt und der eiserne Vorhang erneuert worden. Für besonderes Aufsehen bei den Wienern sorgte aber der riesige Luster aus Muranoglas, der am Beginn jeder Vorstellung unter dem langsamen Verlöschen der Lichter von der Höhe des ersten Rangs sechs Meter hinauf zur Decke entschwebte. Die Stunde nannte Reinhardts neue »Josefstadt« ein »Meisterwerk aus Geist und Seele, einen vornehmen, warmen, man möchte fast sagen wohnlichen Patriziersalon, in dem Theater gespielt wird«.
Und hier ist jetzt die Wessely. Reinhardts Bruder Edmund, der als kaufmännischer Leiter seiner Bühnen tätig war, und der Dramaturg Franz Horch, der 1937 die erste Wessely-Biografie schreiben sollte, hatten die Wessely im Volkstheater gesehen und ihr ein viel versprechendes Angebot unterbreitet, das sie jetzt annimmt.
Bald kommt es zur ersten Begegnung mit Max Reinhardt. Paula Wessely ist fasziniert von der Persönlichkeit, dem künstlerischen Genie, dem selbstsicheren Auftreten und der Aura, die »den lieben Gott des Theaters« umgibt. »Ich stand ihm zum ersten Mal im legendären Elferzimmer des Theaters in der Josefstadt gegenüber«, erzählte sie mir einmal. »Man hatte mich vorher darauf aufmerksam gemacht: Er bringt junge Schauspieler sehr gerne in Verlegenheit, indem er nichts sagt. Glücklicherweise hatte ich die Kraft, auch nichts zu sagen. So sind wir also eine Zeit lang stumm dagesessen. Dann hat er als erster geredet, mir ein paar Fragen gestellt – und von da an gehörte ich dem Theater in der Josefstadt an.«
Die Zeitungen überschlugen sich vor Begeisterung über »die jüngste Wiener Reinhardt-Schauspielerin«, die laut Reichspost schon in ihrer Antrittsrolle als Kiki in der gleichnamigen Komödie von André Picard »die Sensation des Abends« war. Alles scheint gut zu laufen, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Die Beziehung mit Hans Jaray wird intensiver. Daran ändert auch nichts, dass er immer noch am Volkstheater ist, sie aber schon an der »Josefstadt«.
MARESA HÖRBIGER: »Es war eine große Liebe, meine Mutter hat oft von ihm gesprochen und immer nur in den höchsten Tönen. Während jedoch mein Vater die Gabe besaß, sie aufzurichten, ihr psychischen Halt zu geben, war es bei Hans Jaray umgekehrt, da war sie es, die ihn, der zu Depressionen neigte, aufbauen musste. Einmal fuhr sie mit Jaray für ein paar Tage nach Venedig. Sie haben noch nicht viel verdient und daher abseits der eleganten Welt in einer kleinen Pension gewohnt. Meine Mutter hatte sich für diesen Ausflug, wie sie mir erzählte, eigens einen seidenen Pyjama anfertigen lassen, das war ein großer Luxus damals. Sie spazierten jeden Tag hinüber zum Lido, um im Grandhotel Des Bains einen Drink zu nehmen und die High Society zu sehen, zu der Thomas Mann, Franz Molnár und Lili Darvas zählten. Hans und meine Mutter hatten ein paar schöne Tage, doch selbst hier, in dieser paradiesischen Atmosphäre, sah Jaray immer nur die dunklen Wolken, die – wie er meinte – auf ihn zukamen.«
Im Sommer 1929 treten Paula Wessely und Hans Jaray am Kurtheater Bad Ischl in den Stücken Alt-Heidelberg und Gelegenheit macht Liebe auf. Das Traumpaar spielt ein solches – und die Presse ist begeistert. Sie verbringen wieder einige gemeinsame Tage, diesmal in der alten Kaiserstadt, die zwar ihren Kaiser verloren, aber die imperiale Atmosphäre behalten hat. In der nächsten Saison wechselt auch Jaray an die »Josefstadt«, Reinhardt hat ein weiteres großes Talent entdeckt.
Irgendwann passiert Hans Jaray, der seine Paula wirklich liebt, ein epochaler Blödsinn. Dass die Frauen auf diesen Feschak fliegen, war der Wessely von Anfang an klar, und am Theater ist die Verlockung groß – man kennt sie, die bezaubernden Kolleginnen, die einem Abenteuer mit einem so attraktiven Bühnenpartner nicht abgeneigt sind. Eines Tages will die Wessely ihren Hans in seiner Wohnung besuchen. Sie läutet an der Tür. Diese wird von einer Frau geöffnet. Es ist Marlene Dietrich.
Paula Wessely ist tief verletzt. Noch ein halbes Jahrhundert später wird sie André Heller davon erzählen, mit dem sie in dieser Zeit eine innige Freundschaft verband: »Das mit dem Jaray ist ihr schrecklich nahe gegangen«, erinnert sich Heller. »Nach so vielen Jahrzehnten regte sie sich noch darüber auf, dass die Dietrich damals jeden Abend in der ›Josefstadt‹ saß und dem Jaray beim Theaterspielen zusah. ›Da kam die schöne Dietrich und ich war nur noch die altkatholische Fleischhauerstochter‹, hat sie gesagt. Sie war schrecklich enttäuscht.«
Der Krise im Privatleben folgt ein beruflicher Rückschlag. Wenige Wochen nach Paula Wesselys erfolgreichem Debüt an der »Josefstadt« taucht auch dort das erste Problem auf: Reinhardts Stellvertreter Emil Geyer hat ihr das nächste Stück, in dem sie auftreten soll, zugeschickt. Die Rolle, die man ihr zudachte, war die eines Stubenmädchens – ein Fach, das sie längst überwunden glaubte. »Das war ein Schritt zurück in die Anfänge, das kam unter keinen Umständen in Frage«, erinnerte sie sich später. »Ich schickte die Rolle zurück, sehr zum Entsetzen des Büros.«
»Das Büro« des Theaters in der Josefstadt reagierte mit einem scharfen Brief: »Sehr geehrtes Fräulein Wessely! Ich bedaure