Die Hörbigers. Georg Markus

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Die Hörbigers - Georg Markus

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erste Erfolge, obwohl auch er nie eine Ausbildung erhalten hatte. Einzig seine kleine Soubrette hielt ihn jetzt noch aufrecht.

      In dieser trostlosen Situation entwickelte das brotlose Künstlerpaar den Plan, gemeinsam ins benachbarte Ausland zu ziehen, um die Theaterwelt zu erobern. Und tatsächlich: Attila erhielt an der Schwäbischen Volksbühne Stuttgart sein erstes festes Engagement und ging ein Jahr lang als »jugendlicher Held, vitaler Naturbursche und Liebhaber« auf Gastspielreisen. Da seine Soubrette jedoch nach Dresden geholt wurde, trennten sich die Wege der beiden Liebenden.

      Attila spielte jeden Tag im Theater- oder Gasthaussaal einer anderen Kleinstadt, doch sobald er ein paar Stunden frei hatte und einen geeigneten Lehrer fand, nahm er Sprechunterricht. Den brauchte er auch dringend, wie der Kritik eines Lokalblattes zu entnehmen ist: »Herr Weingart war ein sympathischer, liebenswürdiger, stattlicher, jugendlicher Liebhaber voll Charme. Der Künstler besitzt zweifellos Talent. Nur muss er sich in sprachlicher Hinsicht noch verbessern und dem österreichischen Dialekt entsagen.«

      Über ein Engagement am Stadttheater Bozen gelangte Attila Hörbiger ans Wiener Raimundtheater, an dem er in Shakespeares König Richard III. – neben Fritz Kortner in der Titelrolle – in zwei kleinen Partien auftrat. Immerhin begann er nun, sich seinem wirklichen Namen anzunähern. Auf dem Theaterzettel stand jetzt schon: Felix Hörbiger. Doch auch dieses Engagement war nach wenigen Wochen beendet. Direktor Rudolf Beer teilte ihm am 11. Februar 1922 mit, »dass ich, obwohl ich Sie für sehr talentiert halte, Ihren Vertrag für die kommende Spielzeit nicht erneuere«. Er empfahl ihm ein Engagement an einem Provinztheater anzutreten, »wo Sie viel, oft und Verschiedenes zu spielen haben«.

      Freundliche Worte zwar, aber doch wieder ein Rausschmiss. Attila Hörbiger war verzweifelt, er begann sich am Theater wohl zu fühlen, konnte aber nicht mehr daran glauben, in diesem Metier jemals Fuß zu fassen. »Ich wünsche das keinem Menschen«, sagte er einmal, »ohne jede Ausbildung zur Bühne zu gehen. Es ist die Hölle, wenn man so wie ich aus einem Engagement nach dem anderen wegen totaler Unfähigkeit entlassen wird.«

      Hans Weigel wird – Jahrzehnte nach den deprimierenden Anfängen – gerade das Fehlen des Unterrichts als seine Stärke bezeichnen, wenn er ihn in einem (fiktiv geführten) Interview sagen lässt: »Ich wollte eigentlich Landwirt werden und bin nur ganz beiläufig und zufällig und unvorbereitet zum Theater gekommen und hab das Theaterspielen nur gelernt, indem ich Theater gespielt habe, und jetzt bin ich Burgschauspieler und österreichischer Kammerschauspieler, man hat mir die Josef-Kainz-Medaille und den Ehrenring der Stadt Wien und das deutsche Bundesverdienstkreuz verliehen – und ich kann’s wirklich!«

      »So«, folgerte Weigel, »geht er an seine Berufsausübung heran – nicht belastet von einer traditionellen und routinemäßigen Meisterhaftigkeit, sondern beflügelt von der großen freudigen Unbekümmertheit.«

      CHRISTIANE HÖRBIGER: »Als mein Vater jung war, zählte am Theater nur das überdeutliche, bis in den letzten Rang verständliche, klassische Deutsch. Da hatten ihm ein Balser und ein Quadflieg vieles voraus, sie waren die besseren Sprecher. Als aber dann in den fünfziger Jahren der menschliche Ton – der Konversationston – in Mode kam, begann seine große Zeit. Natürlich musste auch er deutlich und gut verständlich sein, aber es war nicht mehr gefragt, ein sprachlicher Akrobat zu sein. Plötzlich war es seine Stärke, wie ein Mensch zu sprechen und nicht wie ein Schauspieler. Er war jetzt modern.«

      Noch war Attila Hörbiger weit davon entfernt, »modern« zu sein, er war nichts als ein begabter Dilettant, an dessen Zukunft niemand glauben wollte. Am allerwenigsten sein Vater, dem die aussichtslos scheinenden Schauspielexperimente seines jüngsten Sohnes nicht verborgen blieben. Als Attila sich wieder einmal in irgendeinem böhmischen Provinztheater zum Vorsprechtermin angemeldet hatte, wusste Hanns Hörbiger in seiner Verzweiflung keinen besseren Rat, als dem Prinzipal einen Brief zu schreiben: »Sehr geehrter Herr Direktor«, stand darin, »ich bitte Sie inständig, davon Abstand zu nehmen, meinen Sohn, Herrn Attila Hörbiger, ins Engagement zu nehmen, da er lernunwillig, unverlässlich und am Theater viel weniger interessiert ist als an sportlichen Betätigungen wie Boxen, Handball und Fußballspiel.«

      Nur Attilas Bruder, der ja auch nichts gelernt hatte, verstand es, ihm Mut zu machen: »Paul war damals schon ein anerkannter Schauspieler«, erinnerte sich Attila, »und wurde mir zum Vorbild. Insgeheim hatte ich das Gefühl, ich werd’s auch einmal schaffen. Und der Paul sagte zu mir: ›Lass dir Zeit, Kleiner, es wird alles noch kommen.‹ «

      Von selbst, das spürte Attila instinktiv, würde nichts kommen, man müsste dem Schicksal ein bisschen nachhelfen. Und da erinnerte er sich an Alfred Martinz, den einstigen Nachbarn, der auf der Schönbrunner Straße Sprech- und Stimmunterricht erteilt hatte. Die nächsten Theaterferien reichten, um nach Pola zu fahren und dort ein paar Stunden zu nehmen. Und seine Tochter Consuelo wieder zu sehen.

      Zur Sprechausbildung durch den künftigen Schwiegervater kam noch das Glück hinzu, dass man Paul mittlerweile nach Prag gerufen hatte. Das war der Grund, warum Attila im Herbst 1922 nach Reichenberg geholt wurde – um die Lücke zu schließen, die sein Bruder am dortigen Stadttheater hinterlassen hatte. Er übernahm von ihm, wie Paul es auszudrücken pflegte, »das Fach der guten Rollen«.

      Rudolf Beer, der Theaterprofi, hatte natürlich Recht gehabt: Die Vielfalt der Rollen, mit denen man in einer Saison an deutschböhmischen Provinzbühnen konfrontiert wurde, waren die beste Schule für einen jungen Schauspieler. Attila, nun zumindest mit den Grundbegriffen der Sprechtechnik vertraut, wurde in Reichenberg zum gesuchten Nachfolger, die beiden Brüder glichen einander sowohl äußerlich als auch in der Melodie der Sprache und in ihrer Art sich zu bewegen. Attila half das zweifellos, um vom Reichenberger Publikum auf Anhieb akzeptiert zu werden.

      Die Ähnlichkeit der Brüder führte allerdings auch zu skurrilen Szenen: Eines Tages erschien eine ältere, beleibte Dame in Attilas Wohnung in Reichenberg, die er ebenso von seinem Bruder übernommen hatte wie die schönen Rollen. »Also, Herr Heerbinger«, herrschte ihn die resolute Frau gleich an der Türe an, »was is eigentlich mit der Mitzi? Haben S’ jetzt ernste Absichten oder net?«

      »Pardon, gnädige Frau, ich kenne keine Mitzi.«

      »Jetzt wollen Sie alles leugnen? Sie glauben, Sie können meine Tochter zuerst narrisch machen und kompromittieren, und jetzt auf einmal wollen S’ von nix was wissen …«

      Es sei ihm nur mit allergrößter Mühe gelungen, die Dame davon zu überzeugen, dass er erst seit wenigen Tagen in Reichenberg logierte, um am Theater die Nachfolge seines Bruders anzutreten. »Es war«, erinnerte er sich lächelnd, »eine der schwierigsten Szenen, die ich je zu spielen hatte.«

      Paul und Attila hatten einander diesbezüglich wenig vorzuwerfen. Beide sahen gut aus, hatten Charme und Witz und erfreuten sich großer Beliebtheit bei den Kolleginnen im Schauspiel, im Chor, im Ballett und auch in den Reihen des Publikums. Und beide machten reichlich Gebrauch davon.

      Wie sein älterer Bruder spielte Attila jetzt alles in Reichenberg, in einer Saison insgesamt 37 Rollen: vom Liebhaber bis zum Betrüger, vom Lustspiel bis zum Klassiker, wobei sein Wilhelm Tell im Lokalblatt als »warm, gütig und doch voll verschlossener Kraft« gelobt wurde.

      Paul war schon einen Schritt weiter. Prag zählte zur »gehobenen Provinz«, und Leopold Kramer vertraute ihm Rollen in Richard III., in Roda Rodas Feldherrnhügel und auch den Leopold im Weißen Rössl an; Paul Hörbigers Glanzrolle aber war der Liliom in Molnárs gleichnamiger Vorstadtlegende.

      Eines Tages eskalierte jedoch ein Streit mit dem Direktor, sodass dieser keinen anderen Ausweg sah als den jungen Mimen durch den Entzug seiner Glanzrolle zu bestrafen. Nicht genug damit, holte Kramer an Pauls Stelle den großen Max Pallenberg aus Berlin, was Hörbiger zutiefst enttäuschte. »Ich beruhigte mich erst wieder, als ich am nächsten

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