Die Hörbigers. Georg Markus
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* heute Pula, Kroatien
»MUSSTE SIE PAULA HEISSEN?«
Ihr Weg zum Theater
Paula Wesselys Eltern war es vergönnt, den unvergleichlichen Aufstieg ihrer Tochter miterleben und viele ihrer Aufführungen besuchen zu können. Dabei standen Anna und Carl Wessely täglich von früh bis spät in ihrer Fleischerei auf der Sechshauser Straße 14. Fürs Theater und für die Welt der Komödianten hatten sich die beiden seit ihren Kindheitstagen begeistert. Carl – in der Familie »der schöne Carl« genannt – besuchte in seiner Jugend mit großer Leidenschaft Wiens Deutsches Volkstheater am Weghuberpark, das 1889 für die »kleinen Leute« eröffnet worden war, die sich davor scheuten, in die gutbürgerliche »Josefstadt« oder gar ins aristokratische Burgtheater zu gehen. Carls Abgott war der Schauspieler Rudolf Tyrolt, der die Wiener Volkstypen auf unvergleichliche Weise verkörperte. In manchen Stücken hatte er ihn so oft gesehen, dass er die Texte seiner Rollen mitsprechen konnte.
Paulas Mutter Anna, geb. Orth, wiederum war als Kind durch ihre große tänzerische Begabung aufgefallen. Sogar Willy Fränzl, der Ballettmeister und ehemalige Solotänzer der Wiener Hofoper, ein Nachbar der Familie Orth, zeigte sich von ihrem Können beeindruckt, doch sie verzichtete auf die Aufnahme ins Corps de ballet, weil ihr Bruder es als Schande empfunden hätte, »so jemanden« in der Familie zu haben. Eine »Balletteuse« wäre seiner Karriere als Lehrer im Weg gestanden, meinte er. Und gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es natürlich das Mädchen, das zu verzichten hatte.
Anna und Carl Wessely ließen ihr Kind nach altkatholischem Ritus in der Pfarre St. Salvator zu Wien auf den Namen Paula taufen. »Musste sie Paula heißen?«, wird Alfred Kerr 25 Jahre später schreiben, »nun, bitte das macht nichts«. Wir wissen nicht, was Berlins berühmtester Kritiker anlässlich der Aufsehen erregenden Premiere von Gerhart Hauptmanns Schauspiel Rose Bernd gegen den Namen Paula einzuwenden hatte, wir wissen nur, dass die Rezension, die dem Naserümpfen folgte, eine einzige Hymne war.
Besagte Paula – die auch noch Maria und Anna hieß – verbrachte die Kindheit an der Seite ihrer Eltern und ihrer um sechs Jahre älteren Schwester Marie in warmer, ungetrübter Atmosphäre. Sie besuchte die Volks- und Bürgerschule, wurde als heiteres, ausgelassenes Kind, nicht jedoch als »Wunderkind« beschrieben. Paula war immer Klassenbeste, brachte nur »Einser« mit nach Hause. In der »Vorzugsschülerin« sieht ihre Tochter Christiane den Ursprung ihres großen Lebensproblems, das Jahrzehnte später auf die bereits berühmte Wessely zukommen sollte.
CHRISTIANE HÖRBIGER: »Die Mama hat immer nur Einser gehabt, zuerst in der Schule, und das hat sich dann später fortgesetzt. Sie wollte in allem perfekt sein, in der Arbeit am Theater und beim Film, aber auch beim Aufbau ihrer Familie. Das ging so lange gut, bis man ihr nach dem Krieg ihre Mitwirkung an dem Propagandafilm Heimkehr vorhielt. Da ist sie dann zusammengebrochen. Und später, in ihren letzten Lebensjahren, noch einmal, als die Zeit des Nationalsozialismus von der Geschichtsschreibung schonungslos aufgearbeitet wurde. Da hat sie dann zum ersten Mal eine schlechte Note bekommen. Sie war eine Frau, die alles vorbildlich machen wollte. Und am Schluss erkannte, dass ihr das nicht vollends gelungen ist.«
Theater gespielt hat sie schon in der Bürgerschule. »Wenn wir Schule spielten, ließen mir meine Klassenkameradinnen stets die Aufgabe zukommen, unsere Lehrerin darzustellen«, erinnerte sich Paula Wessely. »Ich nahm diese, meine erste Rolle, sehr ernst, thronte auf einem improvisierten Pult, führte pedantisch genau das ›Klassenbuch‹, in dem ich die Leistungen und das Betragen meiner Mitschüler lobte und tadelte und sie auch sonst recht streng behandelte.« So mancher von Paula Wesselys »Klassenbuchvermerken« ist erhalten geblieben: »Engel Julie, nicht bei der Sache«, steht da in gestochen klarer Schrift, »Gruss Blanka, sehr ausgelassen« an anderer Stelle. Eine Mitschülerin hinterließ, dass Paula einmal, gramvoll über deren fiktives Zeugnis gebeugt, ausrief: »Na, Tochacek, schöne Noten sind das nicht, die du heuer nach Haus bringst!«
Nichts deutete vorerst darauf hin, dass das aufgeweckte Mädchen den Wunsch hegte, zum Theater zu gehen. Es sah seinen Berufsweg vielmehr als Lehrerin. Paula Wessely träumte davon, auch »im wirklichen Leben« zu unterrichten. »Allerdings wurde mir bald klar, dass ich für den Lehrberuf viel zu ungeduldig gewesen wäre. Die Entscheidung fiel durch meine wunderbare Deutsch- und Geschichtelehrerin.« Sie hieß Madeleine Gutwenger und sollte eine ganz entscheidende Rolle im Leben der Wessely spielen.
Wie alle in der Klasse bekam Paula im Literaturunterricht die Aufgabe, ein Gedicht zu rezitieren. Ihr Auftritt war so eindrucksvoll, dass sie die volle Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler errang, allen war klar, dass hier etwas Einzigartiges passierte. Die kleine Paula hatte sämtliche Zuhörer, Kinder wie Lehrerin, durch den Vortrag einiger harmloser Reime in ihren Bann gezogen.
Als sie damit fertig war, ging sie vom Katheder zurück in ihre Bankreihe. Es entstand eine kleine Pause, die Frau Gutwenger mit den Worten beendete: »Kein Wunder, du hast ja auch eine berühmte Namensschwester.«
Paula protestierte sogleich lautstark: »Nein, bitte sehr, das war meine Tante!«
Madeleine Gutwenger kommt das Verdienst zu, erkannt zu haben, dass diese Schülerin schauspielerisches Talent hatte und jetzt vermutete sie, dass ihr dieses förmlich im Blut lag. »Als im letzten Schuljahr unsere großen Dichter zu Wort kamen, zeigte Paula Wessely ein sicheres Urteil, ein tiefes Verständnis der Zusammenhänge und sittlichen Ernst, kurz eine überragende Reife«, erinnerte sich die Lehrerin später. »Als es dann an die Berufsberatung ging, legte ich ihrer Mutter meine Gründe vor, die mich veranlassten, in dem jungen Mädchen die Voraussetzung für eine künstlerische Lebensbahn zu finden.«
Die theaterbegeisterten Eltern hatten nichts dagegen einzuwenden, ganz im Gegenteil, die Idee gefiel ihnen, vermuteten sie doch bei ihrer Tochter längst schon eine besondere Beobachtungsgabe: Wann immer die Dreizehn-, Vierzehnjährige im Geschäft aushalf, soll sie die Eintretenden mit anderen Augen angesehen haben, als es das Personal tat. Ganz genau verfolgte sie Gruß, Art der Bestellung und wie sich die Kundschaft sonst noch benahm. Wie eine kleine Schauspielerin eben, die die verschiedenen Typen mit ihren Besonderheiten und sprachlichen Eigenheiten studierte. Und wenn’s nicht klappen sollte mit dem Theater – in der elterlichen Fleischerei würde sie jederzeit Aufnahme finden!
CHRISTIANE HÖRBIGER: »Die Eltern meiner Mutter waren einfache Leute, aber zu Hause wurde Hochdeutsch gesprochen, was für ihre berufliche Entwicklung sicher sehr wichtig war. Den sprachlichen Schliff erhielt sie durch ihre Lehrerin Madeleine Gutwenger, deren Bedeutung für sie gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Später wurde es in gewisser Weise ein Problem für meine Mutter, dass mein Vater aus einem ›besseren Haus‹ stammte als sie. Der Papa hat sie das nie spüren lassen, er war immer besonders nett zu Mamas Eltern und nahm sie selbstverständlich ins Haus auf, als sie nicht mehr allein leben konnten. Meine Mutter hat ihre Eltern geliebt, aber unbewusst war da immer ein verteidigender Ton, wenn sie über sie sprach.«
Am glücklichsten war Paula Wessely, wenn sie mit ihrer Schulklasse Galerien und Museen, vor allem aber die Wiener Bühnen besuchen durfte. Als unvergesslich bezeichnete sie die Vorstellung von Raimunds Der Bauer als Millionär, in der Alexander Girardi kurz vor seinem Tod im April 1918 als Fortunatus Wurzel am Burgtheater brillierte. Und nach einer Minna von Barnhelm-Aufführung am Volkstheater entrang sich ihr der Stoßseufzer: »Es gibt halt doch nichts Schöneres, als ein großer Schauspieler zu sein!« An ihre Lehrerin Madeleine Gutwenger gewandt, bekannte sie noch: »Mit Klitsch und Onno zu spielen, wäre für mich die Erfüllung aller Träume!«*
Paula ging noch zur Bürgerschule, als sie die Gelegenheit zu ihrem