Die Hörbigers. Georg Markus

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meiner Jugend viel von der ›Tant Josephin‹ und vom Burgtheater«, erzählte Paula Wessely. »Ich hätte nie gedacht, dass ich hier eines Tages selbst auftreten würde.« Als es dann doch soweit war, stand über all die Jahre ein Bildnis der berühmten Tante auf Paulas Schminktisch.

      Josephine Wessely wird als beeindruckende Persönlichkeit beschrieben, die sowohl die Sentimentale als auch den kecken Backfisch im Lustspiel verkörpern konnte. Die gebürtige Wienerin war nach ihren Lehrjahren in Leipzig zurück in ihre Heimatstadt und hier gleich ans Burgtheater gekommen. »Endlich wieder ein Gemüt, beinahe ein Temperament«, rief ihr Direktor Franz von Dingelstedt zu, der von ihrem Können so überwältigt war, dass er seinem Leipziger Kollegen August Förster in einem Brief überschwänglich mitteilte: »Ihnen gebührt als Förderer dieses echten, schönen, seltenen Talentes der Dank und die Erkenntlichkeit des Burgtheaters, dem sie ihren Besitz nicht nur gegönnt, sondern zugewendet haben.« Josephine Wessely wurde als Luise, als Klärchen, als Emilia Galotti bejubelt. Und sie glänzte als Gretchen neben den ihr ebenbürtigen »Theatergöttern« Adolf von Sonnenthal und Josef Lewinsky. Kritik und Publikum waren gleichermaßen hingerissen vom »harmonischsten Gretchen, das wir je besessen haben«.

      Ähnliches wird man ein halbes Jahrhundert später über das Gretchen ihrer Nichte Paula lesen können. In der Familie hieß es, dass diese das Gesicht und die Art zu sprechen von der Mutter geerbt hatte, die so berühmte Klangfarbe ihrer Stimme jedoch von der legendären Tante.

      Während Josephine die bislang einzige Berühmtheit in der Familie Wessely gewesen war, gab es bei den Hörbigers zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Personen, die das Zeug hatten, in die Geschichte einzugehen. Da war einmal Attilas um zwei Jahre älterer Bruder Paul, ein junger Schauspieler, der 1926, gerade als Paula und Attila einander in Prag kennen lernten, von Max Reinhardt nach Berlin geholt wurde. Aber auch Pauls und Attilas Vater war ein weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannter Mann: Hanns Hörbiger, mit einem langen Bart und den Titeln Professor und Ingenieur versehen, hatte sich durch zahlreiche Erfindungen und Patente einen Namen gemacht, viel mehr aber noch durch die von ihm entwickelte Welteislehre. Er war 1860 in Atzgersdorf bei Wien als Spross einer alten Tiroler Familie zur Welt gekommen, deren einst im Familienbesitz befindlicher Hörbighof in der Wildschönau es heute noch gibt. Hanns Hörbiger hatte in seiner Jugend mit ansehen müssen, wie schwer es seiner Mutter Amalia fiel, allein für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Sein aus Frankreich stammender Vater war ein Orgelschnitzer namens Leeb gewesen, der nach Wien gekommen war, um der Kirchenorgel von Alt-Lerchenfeld den letzten Schliff zu geben. Das Instrument selbst stammte aus der Hand des angesehenen Orgelbauers Alois Hörbiger. Im Verlauf der Zusammenarbeit lernte Herr Leeb Alois Hörbigers Tochter Amalia kennen und lieben. Als sie ein Kind von ihm erwartete, war Herr Leeb freilich schon über alle Berge. Er hat vermutlich nie davon erfahren, dass er einen Sohn hatte.

      Und dieser Sohn war der späterhin so berühmte Hanns Hörbiger.

      Hanns Hörbiger hatte schon als dreizehnjähriger Realschüler sein Bett in den Garten geschoben, um »Himmelsbeobachtungen« anzustellen. Seine Forschungen führten ihn in späteren Jahren zu der Ansicht, dass eine riesige Eisschicht der Ursprung der Erde gewesen sei. Als das Eis mit heißen Elementen kollidierte, sei es zu einer gewaltigen Explosion gekommen, die die Bildung der Planeten zur Folge hatte. Alles irdische Leben, schloss Hanns Hörbiger in seiner Welteislehre, stammte aus dem All.

      Doch Hanns Hörbiger setzte auch in seinem »Brotberuf« völlig neue Maßstäbe. Als junger Ingenieur ließ er sich die bahnbrechende Erfindung des »ersten reibungsfrei geführten Stahlplattenventils« patentieren, das als revolutionäre Innovation einen nicht unbedeutenden Anteil am Aufbau der modernen Industriegesellschaft hatte. Gleichzeitig beschäftigte er sich als Konstrukteur der Langschen Maschinenfabrik mit der Planung sowohl einer U-Bahn als auch eines Pavillons für die Millenniums-Ausstellung, die zum tausendsten Geburtstag Ungarns im Jahre 1896 eröffnet werden sollten. Während des mehrjährigen Budapest-Aufenthalts der Familie brachte Hörbigers Frau Leopoldine, geb. Janak, die künftighin so berühmten Söhne zur Welt. Paul 1894 und Attila zwei Jahre später.

      CHRISTL PTACK, die Tochter von Paul Hörbiger: »Weder Paul noch Attila konnten, solange sie in Budapest lebten, auch nur ein deutsches Wort sprechen. Der ungarischen Erziehung entsprechend, waren sie mit ihren Eltern per Sie, nur Hans Robert, der älteste Bruder, durfte du sagen. Ihrer Mutter, die sie immer mit ›Édesanyám‹ – ›Meine süße Mama‹ – ansprachen, galt ihre ganze Liebe. Zweifellos waren ihr Attila und Paul besonders nahe, auch später, als sie zum Theater gingen. Denn das Theater war ihre große Leidenschaft, sie war immer wieder auf Laienbühnen aufgetreten und wäre am liebsten selbst Schauspielerin geworden. In Paul und Attila sah sie dann wohl auch ein bisschen die Erfüllung ihrer eigenen Träume.«

      Das Ungarische blieb den Brüdern ihr Leben lang vertraut. Als Attila Hörbiger mit über sechzig Jahren am Akademietheater einen leicht vertrottelten, aber liebenswerten k.u.k. Generaladjutanten in Franz Molnárs Komödie Olympia spielte, vermerkte Friedrich Torberg, dass er die Rolle »großartig, mit ungeahnten Dimensionen und brillanter Dialektbeherrschung« angelegt hätte, was nicht verwunderlich wäre, »da er ja schließlich in Budapest zur Welt gekommen ist«. Und auch viel später noch, an Pauls Totenbett, werden sich die Brüder der gemeinsamen Sprache ihrer Kindheit erinnern.

      Die Buben übersiedelten während ihrer Volksschulzeit – schweren Herzens, weil sie Angst vor der neuen Sprache hatten – mit ihren Eltern und den beiden älteren Brüdern nach Wien, wo der Herr Papa nun sein eigenes Konstruktionsbüro gründete. Die Familie bezog eine Wohnung im vierten Stock des Hauses Schönbrunner Straße 249 in Meidling, in dem auch das Ehepaar Alfred und Valerie Martinz mit seinem Töchterchen Consuelo wohnte. Consuelo war damals fünf, Attila sieben. Die Spielgefährtin aus den Kindheitstagen sollte seine erste Frau werden.

      Jahre später trafen sie einander wieder. Attila hatte sich erinnert, dass Consuelos Vater Sprech- und Stimmunterricht erteilte. Mittlerweile bereits beim Theater, gab es für ihn Nachholbedarf, da er bis dahin keine Schauspielausbildung erhalten hatte. Also fuhr Attila Hörbiger in den alten Kriegshafen Pola, nahm ein paar Stunden bei Herrn Martinz – und verliebte sich in dessen Tochter.

      Am 14. Juni 1924 wurde geheiratet, Attila war jetzt 28, Consuelo 26 Jahre alt. Als er zwei Jahre später in Prag die Wessely traf, soll es schon wieder vorbei gewesen sein mit der großen Liebe.

      CHRISTIANE HÖRBIGER: »Meine Mutter war sicher nicht der Grund für das Scheitern der ersten Ehe meines Vaters. Die Voraussetzungen waren von Anfang an nicht gut. Consuelo hatte Schwierigkeiten mit dem Gehör und musste ihren Beruf als Opernsängerin aufgeben. Mein Vater hat immer gesagt, dass er für sie eher Mitleid als Liebe empfand. Aber sie blieben Freunde, auch dann noch, als sie bereits getrennt waren. Und ihre Freundschaft hielt, solange sie lebten und übertrug sich auch auf meine Mutter, mit der Consuelo in späteren Jahren sehr guten Kontakt hatte. Ich sehe die erste Frau meines Vaters noch vor mir, wie sie uns an den Bahnsteig des Westbahnhofs brachte, als wir im Herbst 1944 nach Tirol flüchteten, weil in Wien die Bomben fielen. Mama war damals schwanger, sie erwartete meine jüngere Schwester Maresa.«

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