Die Hörbigers. Georg Markus
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Dass diese Gaststars – Alexander Moissi, Max Pallenberg, Rudolf Tyrolt und Paul Morgan – Anfang der zwanziger Jahre überhaupt im kleinen Reichenberg auftraten, lag daran, dass die Inflationsrate in Böhmen wesentlich geringer war als in Deutschland und Österreich. Der gute Kurswert der tschechischen Krone machte die Engagements an den deutschsprachigen Bühnen dieser Region auch für berühmte Künstler attraktiv.
Doch der von seinem neuen Beruf vorerst so enttäuschte Paul Hörbiger sollte bald seine erste Chance bekommen. Als einer der Stars erkrankte, durfte er eine Hauptrolle übernehmen, in der er auf Anhieb gefiel. Und er wurde, nachdem er sich ein paar Mal als »Einspringer« bewährt hatte, schnell ein Liebling des Publikums.
Sein Hang zum Volkstümlichen zeichnete sich damals schon ab. Paul »hasste die Klassiker« und trat lieber in einer dem Theater angeschlossenen Kleinkunstbühne auf, wo er nach der Vorstellung mit seinen Soloprogrammen glänzte. Als er eines Nachts das Wienerlied Drah ma um und drah ma auf, was liegt scho dran sang, meinte ein Kollege in Anspielung auf den hohen Alkoholkonsum an diesem Abend: »Mich würde interessieren, wie der Paul das in einer Stunde singt.«
Damit war die Geburtsstunde seiner Nummer Dasselbe Lied eine Stunde später gekommen. Er begann das Lied in nüchternem Zustand zu singen, und der Sketch endete mit einer Darbietung desselben im Vollrausch. Dazwischen lag eine Palette, die einem Komödianten seines Ranges alle Möglichkeiten bot, sich zu produzieren.
Reichenberg wurde durch die Vielfalt der Stücke und Rollen, die er spielte, zum Sprungbrett des späteren Volksschauspielers. »Ich habe hier viel gelernt und die Grundbegriffe der Schauspielkunst erfahren«, erinnerte er sich. Einer der Stars, die hier gastierten, war Hermine Medelsky vom Deutschen Theater in Prag. Ihr fiel Paul Hörbigers überragendes Talent auf, worauf sie ihn ihrem Direktor Leopold Kramer empfahl, der ihn sofort in die Metropole an der Moldau engagierte.
Sein Bruder Attila trat das Molkereistudium an der Hochschule für Bodenkultur nie wirklich an, »weil unser Vater bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs als braver Patriot sein ganzes Vermögen in Kriegsanleihen gezeichnet hatte«, erklärte er später. »Jetzt war alles weg und fürs Studium kein Geld mehr da.«
Attila war mit den Eltern mehrmals nach Reichenberg gefahren, um Paul auf der Bühne zu bewundern. »Bei ihm habe ich gesehen, wie schnell man beim Theater Geld verdienen kann. Und so wurde auch ich Schauspieler.« Das war die einzige Aussage, mit der einer der bedeutendsten Bühnenkünstler des 20. Jahrhunderts erklärt hat, warum er Schauspieler geworden war. Etwas anderes hat er dazu nie bemerkt, weder war je von »innerer Berufung« noch von »unbezwingbarem Spieldrang« die Rede. Attila Hörbiger war derlei Pathos fremd, für ihn bestand der Reiz darin, »schnell Geld zu verdienen«.
Tatsächlich gab es vorerst nichts, das ihn prädestiniert hätte, Schauspieler zu werden. »Er ging zum Theater«, schrieb Hans Weigel einmal, »wie andere ins Theater gehen und wie man weder zum noch ins Theater gehen sollte: zufällig, unüberlegt, ›nur so‹.«
Attilas Vater machte sich freilich Sorgen, nun schon den zweiten Sohn als Schauspieler in eine mehr als ungewisse Zukunft schlittern zu sehen. Ingenieur Hanns Hörbiger hatte vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs – und damit wenigstens noch vor dem Verlust seines Vermögens – eine Villa in Wien-Mauer erworben, in deren Nachbarschaft Eduard Sekler, ein am Theater in der Josefstadt engagierter Schauspieler, wohnte. Und er bat ihn nun, sich »den Buben einmal anzuschauen«. Attila Hörbigers erste Begegnung mit einem Theaterprofi fand an einem heißen Sommertag des Jahres 1919 im Schafbergbad statt, in das Sekler ihn hatte kommen lassen. Eduard Sekler erinnerte sich viele Jahre später an einen braungebrannten jungen Mann, der dem Bassin entstieg und sich ihm mit triefend nassem Haar gegenüberstellte. Hörbiger gab an, dass er den ganzen Aufwand, sprechen zu lernen, für unnötig hielt, da er »eh reden« konnte, ließ sich aber schließlich dazu überreden, mit Sekler das Gedicht Der Kunstreiter einzustudieren.
Mit diesem sprach er einem Agenten vor, der ihm prompt ein Engagement als »Edelkomparse« in Czernowitz verschaffte. Wie bei seinem großen Bruder, sollte in den Anfängen auch bei Attila die Liebe eine bestimmende Rolle spielen. Denn das Verlockende an Czernowitz war eine attraktive Soubrette namens Bertha Weingartshofer. Da er durch Paul erfahren hatte, dass es schick war, sich einen Künstlernamen zuzulegen, entschied er sich, wohl um auch seine Verbundenheit mit der Soubrette Weingartshofer zu demonstrieren, für Felix Weingart.
Der Traum vom schnellen Geld und einer Karriere in der ehemals kaiserlich-königlichen, jetzt zu Rumänien gehörenden Stadt in der Bukowina sollte nicht in Erfüllung gehen. »Eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung, der Saal war bereits zur Hälfte voll, und wir waren geschminkt und kostümiert«, erzählte Attila Hörbiger, »erschien der rumänische Stadtkommandant mit zwei Polizisten. Er salutierte und sagte zu unserem Direktor Paul Gutmann: ›Bitte um Ihre amtliche Spielerlaubnis. Sie haben doch eine Konzession?‹ «
Der Direktor hatte keine, worauf die Truppe Czernowitz innerhalb einer Stunde verlassen musste.
Der Wiener Theaterverein erbarmte sich der nun beschäftigungslosen Schauspieler und vermittelte sie an verschiedene österreichische Bühnen, wobei man Attila samt seiner Bertha ans Stadttheater von Wiener Neustadt schickte. »Der dortige Prinzipal«, erinnerte sich Hörbiger, »hatte wohl übersehen, dass ich in Czernowitz lediglich als besserer Statist mit einer Elevengage engagiert war. Aber vielleicht hatte ihm auch meine Garderobe imponiert – die Schauspieler mussten damals ihre Bühnenkleidung selbst mitbringen und ich hatte aus besseren Tagen noch Frack, Smoking, einen Anzug und schwarze Schuhe. Jedenfalls gab er mir ein Engagement als Liebhaber.«
Attila Hörbigers Debüt fand am 9. Oktober 1919 in der Operette Der fidele Geiger von Edmund Eysler statt. In der kleinen Rolle eines Musikers sah man laut Theaterzettel: Felix Weingart.
Die erste Premiere eines großen Künstlerlebens. »An Schlaf war nicht zu denken. Ich feierte bis früh um fünf, dann wanderte ich durch die leeren Gassen zum Redaktionsgebäude der Wiener Neustädter Nachrichten und ließ mir vom Nachtredakteur die noch druckfrischen Bogen der Morgenausgabe geben. Fiebernd überflog ich die Kritik und fand den Satz: ›Herr Weingart wirkte sympathisch.‹
›Wie ist das gemeint?‹, fragte ich den Redakteur einigermaßen misstrauisch.
›Na, so wie’s geschrieben steht, Sie sind ja auch wirklich ein netter Bursch.‹
Das war nun nicht jene Anerkennung, die sich ein junger Himmelstürmer erhofft hatte, aber es war immerhin etwas. Leider hatte ich nur noch dreimal Gelegenheit, sympathisch zu wirken. Nach der dritten Aufführung ließ mich Direktor Paul Sundt zu sich beordern. ›Herr Weingart‹, sagte er, ›Verzeihung, Herr Hörbiger, ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass Sie noch nie auf einer Bühne gestanden haben. Frei heraus: Sie sind ein blutiger Laie. Wie mir berichtet wird, sind Sie neulich ohne Text zu einer Stückprobe gekommen, weil Sie gar nicht wussten, was eine Stückprobe ist. Stimmt’s?‹
Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern fuhr fort: ›Dessen ungeachtet sind Sie nicht völlig talentlos. Was Sie brauchen, ist erstens Unterricht und zweitens Unterricht und drittens Unterricht. Ihre Sprechtechnik ist mangelhaft. Na und Ihr Dialekt, also, bitte, reden wir nicht davon.‹ Er umarmte mich herzlich, versprach, dass er meinen weiteren Weg im Auge behalten würde und