Die Hörbigers. Georg Markus
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Jetzt wusste sie schon, wohin sie wollte. »Das Theater ist es, das mein Wirkungskreis in späteren Jahren sein soll«, schrieb Paula Wessely in einer Hausaufgabe, der sie den Titel Rückblick und Ausblick gab. Weiter unten heißt es dann: »Es ist eigentlich nicht meine Art, mir die Zukunft recht schön auszumalen. Denn ich denke dann immer an die fürchterlichen Enttäuschungen, deren gerade mein voraussichtlicher Beruf so reich ist und so erspare ich mir die Luftschlösser. Nur das eine steht fest, dass ich alle Kraft an das Studium setzen werde, um das zu erreichen, was mein Wunsch ist.«
Das 15-jährige Mädchen konnte nicht ahnen, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen und alles übertreffen sollte, wovon es, auch ohne Luftschlösser, geträumt hatte. Paula sprach in der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst vor und zwar in einem Kleid, das von ihrer älteren Schwester Marie eigens für diesen Anlass geschneidert worden war. Sie hatte ein Gedicht von Ferdinand von Saar, eine Szene aus Grillparzers Weh dem, der lügt und einen Monolog aus Goethes Iphigenie vorbereitet. Madeleine Gutwenger, die sie an die Schauspielakademie begleitete, soll angesichts ihres Vortrags und in Anspielung auf die berühmte Tante Josephine ausgerufen haben: »Die wird eine zweite Wessely!«
Paula wurde aufgenommen und erhielt im Wintersemester 1922/23 ihren ersten Unterricht. Einer ihrer Lehrer an der Akademie war Rudolf Beer, der auch ihr erster Theaterdirektor werden sollte. Zwischendurch nahm sie Privatstunden bei der über achtzig Jahre alten Schauspielpädagogin Valerie Gréy, zu deren Schülern Jahrzehnte davor der große Josef Kainz und auch die Tante Josephine gezählt hatten. Die Gréy war berühmt für ihre sonderbaren Unterrichtsmethoden, so setzte sie sich auf ihre Schüler, drückte ihnen ihr Knie ins Zwerchfell und ließ sie dabei Sprechübungen machen, bei denen diese zu ersticken drohten. Paula Wesselys Mitschüler an der Akademie waren Siegfried Breuer, der erwähnte erste Flirt, sowie ihre später ebenfalls berühmt gewordenen Kollegen Käthe Gold und Karl Paryla, für den »das außergewöhnliche Talent der Wessely vom ersten Tag an spürbar gewesen ist«.
Dass da etwas Besonderes heranwuchs, war nicht zu übersehen. Am 20. Oktober 1923 gastierte das »Gréy-Ensemble« mit dem Trauerspiel Uriel Acosta von Karl Gutzkow im Wiener Akademietheater. Neben Paula Wessely, die in einer Hosenrolle auftrat, sah man Siegfried Breuer und den künftighin bedeutenden Regisseur Leopold Lindtberg. Dieser erinnerte sich in einem Brief, den er der Wessely mehr als ein halbes Jahrhundert später schrieb, an die erste gemeinsame Arbeit*: »Wir hörten, Sie seien eine Nichte der berühmten Josephine Wessely, die unter Dingelstedt und Laube am Burgtheater wirkte. Wir stellten uns eine der rauschenden Heroinen vor, wie sie heute noch im Burgtheaterfoyer zu sehen sind … Man hatte schon ein paar Tage geprobt, als Ihre Szene an der Reihe war. Da kam ein ernstes, verschlossenes Mädchen, nicht eben groß gewachsen, aber aufrecht und mit auffallend klarem Blick. Die Sprache war hell und direkt, ein wenig landschaftlich getönt, das Timbre der Stimme überaus gewinnend. Ihren Text wusste die Kleine auf der ersten Probe perfekt auswendig, er kam überzeugend und gescheit über die Rampe, alles geschah konzentriert, doch ohne Anstrengung. Ich habe es damals sicher nicht so formuliert, aber ein Instinkt sagte mir: So soll man Theater spielen.«
Und »so« spielte sie dann auch Theater.
Es war in jenen Tagen das Schicksal der Anfängerinnen, als Stubenmädchen aufzutreten, die in den zahllosen, meist aus Frankreich importierten Boulevardstücken über die Bühne trippelten. Paula Wessely erging’s nicht anders. In ihrer ersten Rolle, noch während der Studienzeit als Elevin am Deutschen Volkstheater, war sie die Kammerzofe Josephine in Victorien Sardous Lustspiel Cyprienne. »Unter den sonstigen lebendigen Requisiten des Abends gab es ein paar sehr reizende, so zum Beispiel das spitz-graziöse Fräulein Wessely«, schrieb kein Geringerer als Alfred Polgar im Morgen vom 22. Dezember 1924.
Es folgten kleine Rollen am Volks- und am gleichfalls von ihrem Lehrer Rudolf Beer geleiteten Raimundtheater, an dem sie im Jahr darauf als Ottilie Giesecke im Weißen Rössl – damals noch ein Sprechstück – neben der Volksschauspielerin Hansi Niese auf der Bühne stand. Wer hätte gedacht, dass man das Fräulein Wessely ein paar Jahre später als »neue Hansi Niese« bezeichnen würde.
Noch konnte sie nicht zeigen, was wirklich in ihr steckte, aber immerhin fielen in den frühen Rezensionen schon Worte wie »Entdeckung«, »Überraschung«, »neue Begabung«, »diskreter Humor«, »wirkliches Talent«. Und Paula Wessely hatte vom ersten Tag an eine ungeheure Demut zum Theater. »Die Ehrfurcht vor den Künstlern war so groß, dass ich es nicht wagte, meinen Fuß ins Konversationszimmer des Deutschen Volkstheaters zu setzen. Denn dort saßen die Schauspieler, die die großen Rollen spielten, und vor ihnen hatte ich tiefen Respekt.«
Noch ehe sie nach erfolgreicher Abschlussprüfung an der Akademie in ihr erstes festes Engagement geht, ist Paula Wessely eine, für ihr jugendliches Alter, weit gereiste Künstlerin. Auf einem Gastspiel begleitet sie den großen Alexander Moissi mit Ibsens Drama Gespenster durch Ungarn, wobei der Kritiker des Pester Lloyd neben Moissi nur die Wessely erwähnt, »die den Übergang von der verhaltenen Leidenschaft zur brutalen Lebensbejahung echt und wahr zu gestalten wusste«. Begegnungen wie die mit Moissi erweisen sich als prägend für Paula Wesselys Leben, wird sie doch eine der letzten Schauspielerinnen ihrer Generation sein, die noch mit Jahrhundertgestalten wie Moissi, Bassermann, Emil Jannings, Heinrich George, Max Pallenberg, Hansi Niese oder Asta Nielsen auf einer Bühne standen.
Wieder in Wien, tritt sie in der Rolle der kleinen Pamplemousse, »einer frechen Pariser Pflanze«, in Sacha Guitrys Lustspiel Der Löwe und das Kätzchen auf, in dem der Theaterdirektor Leopold Kramer sitzt und sie vom Fleck weg nach Prag holt. Ein wahrhaft schicksalhaftes Engagement – in jeder Beziehung.
* Wilhelm Klitsch und Ferdinand Onno waren Stars des Deutschen Volkstheaters in Wien.
* Leopold Lindtbergs Brief, datiert im Oktober 1974, befindet sich in Paula Wesselys Privatnachlass.
»WAS NIMMST DU FÜR EINEN
KÜNSTLERNAMEN?«
Paul und Attila werden Schauspieler
Im Herbst 1926, als Paula Wessely in Prag ihr Quartier bezog, war dem dortigen Deutschen Theater einer seiner Lieblinge abhanden gekommen. Er hieß Hörbiger, war 32 Jahre alt und hatte beim Publikum richtig »abgeräumt«. Nein, nicht Attila, sondern Paul war sein Name. Dieser Paul hatte, abgesehen von Attila, noch zwei weitere Brüder: Hans Robert und Alfred, die wie ihr Vater Maschinenbau studiert hatten, Alfred war darüber hinaus auch akademischer Maler. Die beiden jüngeren hatten in Internaten die Matura abgelegt – Paul im Stiftsgymnasium von St. Paul im Lavanttal, Attila in Waidhofen an der Thaya – und waren in den Ersten Weltkrieg gezogen, nach dessen unrühmlichem Ende sie abrüsteten. Attila als Leutnant, Paul als Oberleutnant. Der Ältere fasste gleich in den ersten Nachkriegstagen den Entschluss, Schauspieler zu werden. Er absolvierte ganze sieben Stunden an der Theaterschule Otto in der Wiener Operngasse, »aber nur, weil da eine Elevin war, die mein Interesse geweckt hatte«, wie Paul in seinen Memoiren verriet. »Einen geraden Satz sprechen zu können, schien mir und meinen Klassenkollegen weniger bedeutsam als die Frage ›Was nimmst du für einen Künstlernamen?‹. Das war das Hauptthema, darüber konnten wir stundenlang diskutieren.« Paul entschied sich für das hochtrabende Pseudonym Paul di Pauli – auch um den guten Namen seines Vaters nicht mit dem Theater in Verbindung zu bringen.
Attila hatte zu diesem Zeitpunkt noch ganz andere Pläne. »Ich inskribierte an der Hochschule für Bodenkultur, weil ich in die Molkereiwirtschaft gehen wollte. Mir schwebte die Erzeugung