Der lange Weg nach Hause. Kurt von Schuschnigg

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Der lange Weg nach Hause - Kurt von Schuschnigg

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unantastbaren Ruf. Sein unerschütterlicher Glaube und die Liebe zum Vaterland machten ihn immun für Einflußnahmen oder gar Korruption. Wie überall sonst, gab es auch in Österreich genügend Menschen, die einflußreiche Persönlichkeiten auf mancherlei Art in Versuchung zu bringen trachteten. Da bekannt war, daß Vater Geschenke entweder sofort zurückschickte oder gleich ablehnte, versuchte man es anders. Das Ergebnis blieb immer dasselbe. Auch Geschenke »für den kleinen Kurti« langten ein. Wäre ich nicht zufällig einmal im Büro meines Vaters aufgetaucht, hätte ich das nie erfahren: Fräulein Alice und ich kamen gerade in dem Moment herein, als der Sekretär meines Vaters höflich die Annahme eines glänzenden, mit Maschen versehenen Fahrrads verweigerte.

      Den Spendern von Pralinen und Schokoladen, die anscheinend kistenweise angeliefert wurden, dankte man im Namen derer, die sie letztlich erhalten würden, nämlich der Armen und Alten von Wien. Mutter arbeitete über den »Altwienerbund« ohne Unterlaß daran, das Leben dieser Benachteiligten zu verbessern. Es war die wichtigste ihrer vielen karitativen Aktivitäten. Die Armen und Alten waren für die Schokolade wirklich dankbar. Ich mochte Schokolade ungefähr so wie Lebertran, mit dem ich ständig zwangsbeglückt wurde. Hob man mich auf die Knie irgendeines Gratulanten, mußte ich mir fast immer eine Praline in den Mund stopfen lassen. Kein Mensch hat je gefragt, ob ich Schokolade überhaupt mochte.

      Vater war durch nichts zu erschüttern. Einmal kam eine Kiste Obst von seinem eigenen Schwager. Dieser Onkel war unter anderem Obstexporteur in der Südtiroler Stadt Bozen. Obwohl seit dem Ende des Ersten Weltkrieges italienisch, wurde Südtirol von Österreich noch immer mit finanziellen Unterstützungen bedacht. Subventionen gab es auch für Wirtschaftszweige in österreichischem Besitz oder unter österreichischer Leitung. Dazu gehörte der Obstanbau. Aus Sorge, die Gabe aus Südtirol könnte deshalb falsch interpretiert werden, selbst wenn sie von einem nahen Verwandten kam, ließ Papa die Kiste an seinen darüber etwas verstimmten Schwager zurückschicken. Mit der Zeit fand ich mich damit ab, daß kein Zeichen des guten Willens je bei mir ankommen würde, außer den verhaßten Pralinen.

      Eines Tages wurde ich zu den Ställen im Augarten beordert. Als Fräulein Alice und ich ankamen, gab mir einer der Stallburschen eine Karte mit der Aufschrift »Für Kurti«. Die Unterschrift war mir unbekannt. Dann bat mich der Bursche, die Augen zu schließen, und führte mich um eine Ecke. »Mach die Augen auf!«, schrie er dort und zeigte mir mit theatralischer Geste ein wunderschönes Pony, das an eine glänzende Kutsche angeschirrt war. Fräulein Alice war ebenso sprachlos wie ich. Nie mit Geschenken verwöhnt, überstieg so etwas meine Vorstellungskraft. Wir gingen um die »Erscheinung« herum. Ich berührte den Wagen. Er war fest und echt, keine Spur von Erscheinung. Obwohl außer mir vor Freude, überraschte mich doch, daß Vater hier nachgegeben hatte. Wir gaben dem Pony Karotten zu fressen und zermarterten uns den Kopf nach einem passenden Namen. Auch Mutter wußte nicht, wer der Spender war. Da aber ohne Vaters Erlaubnis nichts in den Augarten geliefert wurde, stimmte sie in unseren Jubel ein.

      Am nächsten Tag wurde dieses großartigste aller braun-weißen Scheckponys ausgeführt. Es stolzierte vor uns und schüttelte die Mähne. Wir saßen in der wunderschönen, buttergelben Kutsche mit der schokoladefarbenen Verkleidung. Das dazupassende braune Dach über den beigefarben gepolsterten Ledersitzen war geöffnet worden. Bewundernde Blicke flogen uns zu. Der Stallbursche an den Zügeln nahm auf dem Weg zu meiner Schule absichtlich einen langen Umweg. Als wir ankamen, läutete gerade die Schulglocke und ich entging mit knapper Not einer Eintragung wegen Zuspätkommens. Einer aber kam wirklich zu spät: der hinkende, schnaufende Sicherheitsbeamte, mein Leibwächter.

      Alle meine Freunde durften auf dem Schulgelände herumkutschiert werden. Schließlich kamen wir später als üblich zuhause an. Vater traf eben vom Ministerium ein, als wir unseren auffälligen Auftritt hatten. Fräulein Alice und ich hielten seinen höchst überraschten Blick zunächst für Bewunderung. Aber das Donnergrollen folgte auf dem Fuße. Wortlos machte er kehrt und stürmte, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, in unsere Wohnung hinauf. Ich schaute Fräulein Alice an, die nichts sagte, auch wenn man ihr die Unsicherheit ansah. Ich wurde auf mein Zimmer gebracht. Obwohl Fräulein Alice die Tür hinter sich schloß, hätte man taub sein müssen, um die folgende Szene nicht zu hören.

      »Was zum Teufel versucht ihr zu tun? Wollt ihr mich ruinieren? Was habt ihr euch gedacht, so ein Geschenk anzunehmen? Wo auch immer dieses Pony und die Kutsche hergekommen sind, schickt das sofort zurück!«

      Dann knallte eine Tür. Vater war immer schon ein Türenknaller gewesen. Glücklicherweise hatten alle unsere Wohnungen solide Türrahmen. Fräulein Alices wußte fortan um die Besonderheiten unseres Familientemperaments.

      Die strahlend gelb-braune Kutsche und das Pony mit dem glänzenden Fell verloren sich aus meinen Augen, wenn auch nicht aus dem Sinn. Die Sache wurde nie wieder erwähnt. Nur einer war erleichtert: mein beamteter Leibwächter.

       Schockwellen

      Am 30. Jänner 1933 war in Deutschland Hitler an die Macht gelangt.

      Am 4. März 1933 wurde dem österreichischen Parlament ein für die Sozialdemokraten wichtiger Gesetzesentwurf vorgelegt. Der Parlamentspräsident hat kein Stimmrecht, seine beiden Stellvertreter jedoch schon. Es gab eine Pattsituation. Auf Anraten seines Parteikollegen Otto Bauer legte der Präsident, der Sozialdemokrat Karl Renner, sein Amt nieder. So würde das Amt an den Christlichsozialen Rudolf Ramek weitergereicht werden, und die Sozialdemokraten hätten zwei Stimmen mehr gehabt. Um das zu verhindern, trat auch Ramek zurück. Um nicht zum Spielball zwischen den zwei anderen Parteien zu werden, trat nun auch Sepp Straffner, Großdeutscher und zweiter Stellvertreter Renners, zurück. Dadurch hatte sich das Parlament de facto selbst aufgelöst.

      Diese Verfassungskrise wurde durch Bundeskanzler Dollfuß gelöst. Er setzte die außer Kraft gesetzten kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetze von 1917 wieder ein. Wenn man Hitlers Machtergreifung, seine öffentlich geäußerten Ansichten über Österreich, wie sie in »Mein Kampf« zu finden sind, und die fast permanente Pattsituation im Parlament, die durch die fast vollständige Unfähigkeit der Parteien, sich auch bei den einfachsten Dingen zu einigen, bedingt war, berücksichtigt, war das eine glückliche Wendung für Bundeskanzler Dollfuß. Er glaubte nun in der Lage zu sein, wenigstens einige der gravierendsten Mißstände im Parlament beseitigen zu können. Zunächst wurde Ende März 1933 der Schutzbund, die sozialdemokratische Miliz, verboten, am 6. Mai die Kommunistische Partei und schließlich am 19. Juni die NSDAP.

      Am 27. Mai 1933 verfügte Nazi-Deutschland eine Sondersteuer von tausend Reichsmark für jede Ausreise nach Österreich. Da die deutschen Feriengäste immer rund sechzig Prozent aller nach Österreich reisenden Touristen gestellt hatten, konnten die augenblicklich eintretenden Folgen, vor allem in den wirtschaftlich weitgehend auf den Fremdenverkehr angewiesenen Bundesländern Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Kärnten, nur katastrophal sein. Genau das war beabsichtigt: die Sabotage der österreichischen Wirtschaft. Gleichzeitig mit der »Tausend-Mark-Sperre« überschwemmte eine Flut von Nazi-Terror die kleine Republik. Jeder verfügbare Sprengkörper wurde verwendet. Den ganzen Sommer hindurch fand man unzählige Verstecke mit Sprengmaterial. Doch die Bomben gingen weiter hoch, mit bis zu 125 Attentaten pro Monat. Das Land wurde systematisch durch Attentate auf Kraftwerke, Umspannwerke, Bahnhöfe, Brücken, Amtsgebäude und Polizeiposten geschwächt. Es gab auch einfachere Arten der Sabotage, wie das Durchtrennen von Telefonleitungen. Züge wurden oft gestört: Ein Teil der Oberleitung wurde beschädigt oder zerstört, oder es wurden Felsbrocken auf die Gleise gelegt. Es gab mehrere Attentatsversuche auf den Bundeskanzler, den Vizekanzler und den Justizminister.

      Der Vertrag von St. Germain erlaubte Österreich, ein stehendes Heer zu unterhalten, doch eines mit nicht mehr als 30 000 Soldaten. Das war vollkommen unzureichend für die Verteidigung und Sicherung eines Gebiets von 84 175 km2. Es gab unzählige Möglichkeiten, Unruhe zu stiften und die Polizei in die Irre zu führen.

      Auf

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