Der einsame Mensch. Rotraud A. Perner

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Der einsame Mensch - Rotraud A. Perner

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       Lernziel Bindungslosigkeit?

      Zu Lebenskrisen werden üblicherweise nur die allgemein verbreiteten Lebensübergänge wie Geburt eines Kindes, Berufsantritt, Heirat und Scheidung, Eintritt einer chronischen Krankheit oder Behinderung und Todesfälle gerechnet.

      Lebenskrisen entstehen aber auch, wenn man erkennt, dass der eigene Lebensentwurf mit den Anforderungen der Umwelt nicht in Einklang steht. Das hat lange Zeit homosexuell l(i)ebende Menschen in Einsamkeit getrieben, ehe sich politisch – nicht parteipolitisch! – gebildete Aktivisten selbstbewusst mit ihren Forderungen nach Respekt und Gleichbehandlung der Öffentlichkeit stellten.

      Aber während diese Gruppe von Menschen zumindest in Westeuropa in ihrem Bemühen um Gleichbehandlung erfolgreich war, ist dies anderen nicht gelungen: denjenigen, die aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden wurden. Ich sehe die Ursache darin, dass schwule und lesbische »besondere« Menschen wie Künstler (»Weibliches Feingefühl« – wenn es auch gar nicht zutraf!) oder Sportlerinnen (»Es muss halt männliche Kraft sein«) mit ihren Coming-outs positive Vorurteile bedienten und damit auch für andere Berufsgruppen Maßstäbe setzten; demgegenüber sind Arbeitssuchende nicht als »etwas Besonderes« vermarktbar, geben auch selten eine »Story« ab. Der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman (* 1925) etwa schreibt: »In Ermangelung eines dauerhaften, autorisierten und unumstrittenen Wertes der Optionen, die zur Wahl stehen, kann sich die Bewertung einzelner Wahlmöglichkeiten nur am Muster vermarkteter Güter orientieren. Das ausgewählte Identitätsmodell muss auf den Markt gebracht werden, um seinen Wert herauszufinden54 Ein Gut hat keinen Wert, wenn es keine Abnehmer findet, und der Wert bemisst sich nach der Zahl der Abnehmer, d. h. wie stark das Bedürfnis nach diesem Gut ist. Arbeitslos sein heißt, keinen Abnehmer für die wahre Arbeitskraft zu finden. »Die Strafe für das Versagen, Abnehmer für eine entworfene und zur Schau getragene Identität zu finden oder zu schaffen, ist die Exklusion (das Ausgeschlossen-, ›Abgeschrieben‹-, Geschnitten-, Ignoriert-Werden) – das gesellschaftliche Äquivalent für eine Müllhalde.«55

       Paarungsmärkte

      Ich erinnere mich, wie in den späten 1950er Jahren, als ich ein Teenager war, der Begriff des »Dating« von den USA nach Europa importiert wurde: Uns war der Gedanke fremd, die Beliebtheit junger Menschen nach Aufforderungen zum Spazieren-, Tanzen- oder Ausgehen zu zählen. Europa war voll mit dem Wiederaufbau beschäftigt, Geld war (außer bei den Kriegsgewinnlern) knapp, wenn ein junger Mann ein Motorrad besaß, war das sensationell – und die Moralvorschriften waren streng. Dieser oberflächliche »American Style of Life« auf einem Partnerschaftmarkt mit Bewertung nach »Nachfrage« und »Umsatzhäufigkeit« prallte auf die europäischen Werte von Zurückhaltung, langen Wartezeiten und Treue. Erst mit der Verfügbarkeit hormoneller Antikonzeptiva änderten sich zuerst die Verhaltensweisen, und die Moralvorstellungen hinkten hinten nach … Und die Treue blieb als erste auf der Strecke. Flexibilität, behübscht als Mut zur Veränderung, wurde modern. Im Verlauf der nächsten zwanzig Jahre drang dieser Trend auch in die Arbeitswelt ein. Ich erinnere mich noch gut, wie mir ein renommierter Wirtschaftsjournalist in meiner Praxis gestand, er habe jahrelang für »hire and fire« geschrieben – aber jetzt, wo er selbst mit einem »golden handshake« verabschiedet worden war und erfahre, dass er »nichts mehr wert sei«, keine Einladungen mehr bekomme, niemand mehr an ihm interessiert sei, spüre er erst, wie brutal diese Vorgehensweise sei.

      »Aus der Sicht des menschlichen Gehirns ist soziale Akzeptanz nicht minder überlebenswichtig wie die körperliche Unversehrtheit«, mahnt Joachim Bauer.56 Exklusion, Stigmatisierung, Isolation – all das sind massive Gefährdungen der psychosozialen Gesundheit und führen zu Folgekrankheiten, Suchterkrankungen inbegriffen. Je stärker jemand in der sozialen Gemeinschaft verankert und akzeptiert ist, desto eher wird er oder sie solche Krisen relativ heil überstehen. Nur: In der heutigen globalisierten Wirtschaft mit ihrer Forderung nach flexiblen Menschen schwinden diese Ressourcen: »Nix ist fix« lautet ein Slogan in der Glückspielwerbung, aber er wirkt auch in alle anderen Lebensbereiche hinein.

      Die Suche nach Gemeinschaft ist die Suche

      nach Lebendigem.

      Der flexible Mensch soll verschiebbar sein wie ein Bauer auf dem Schachbrett. Familie stört dabei: Kinder, Partnerpersonen oder pflegebedürftige Angehörige stellen Anforderungen an Zeit und Zuwendung. Es gehe nicht um Quantität, sondern um Qualität der miteinander verbrachten Zeit, lautet die übliche Schönrederei. Tatsächlich wirkt aber die Botschaft: Alles andere ist wichtiger als du!

      Eine weitere Botschaft lautet: Jeder ist ersetzbar! Der Psychoanalytiker Gustav Bovensiepen (* 1944) schreibt hinsichtlich der globalen Allverbundenheit über elektronische Medien: »Dagegen steht eine immense Flüchtigkeit des Objekts, sei es als tägliche ›Totalverluste‹ an der Börse, wenn Gelder in Milliardenhöhe innerhalb von Sekunden ›verbrannt‹ werden, wie die Börsianer sagen, als tägliches Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, als sofortiger Ersatz oder als Austauschbarkeit von Objekten des Alltags im Sinne der ›Wegwerfgesellschaft‹. Zum Verschwinden gehört auch ein Trend in der Unternehmensführung: das ›Hot-desking‹. Dabei haben die Mitarbeiter grundsätzlich keinen festen Schreibtisch, es sollen auch keine persönlichen Gegenstände eine Bindung an den Arbeitsplatz signalisieren; man nimmt sich den Tisch, der gerade frei ist, und verschwindet wieder mit seinem Laptop, wenn der Job getan ist. ›Jobnomaden‹, die rasch von einer Stelle zur nächsten einsetzbar sind, werden bevorzugt.«57 Damit würden auch Abschied oder Trauer vermieden – und, ergänze ich, überhaupt Gefühle. Die brauchen nämlich Zeit – und die soll ja eingespart werden.

      Soziale Bindung entsteht aus einem Gefühl gegenseitiger Abhängigkeit, betont der amerikanische Soziologe Richard Sennett (* 1943).58 Aber wird dies positiv empfunden? Langsam erspürte Abhängigkeit kann sehr wohl ein angenehmes Gefühl von Einigkeit hervorrufen – dann, wenn man das, wovon man abhängt, liebt und genießt. Die schnell empfundene Abhängigkeit hingegen hat einen Beigeschmack von Unfähigkeit zur Selbstgestaltung – auch steckt das Wort »abgehängt« drinnen, und genau dieses Schicksal droht bei Abhängigkeiten, egal ob es sich um existenzielle oder psychische handelt. Es ist wichtig, sich der Qualität der Verflechtungen mit anderen und auch deren Brüchigkeit bewusst zu sein – und ebenso der Machtspiele mit »Lob und Strafe«, mit denen Menschen in »bindungsloser« Abhängigkeit gehalten werden.

      Bindung spürt man – sie ist etwas Lebendiges. Bindungslos bedeutet, dass kein psychischer Energieaustausch stattfindet. Was getauscht wird, ist Leistung gegen Geld. Auch Status beinhaltet letztlich nur Geld und ebenso Besitz. Lebendiges wird gegen Totes getauscht. Wenn man das erkennt, weiß man, dass die Suche nach Gemeinschaft die Suche nach Lebendigem ist.

      Die sogenannte »Weissagung der Cree« fällt mir ein: »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.« Vielleicht sollte man ergänzen: »Und wenn der letzte Mensch keine Gefühle mehr wahrnimmt, wird man merken, dass man ohne Liebe nicht menschlich leben kann.« Nur an und im Gefühl erkennen wir, wenn wir uns in einer Krise befinden und Veränderung, Erneuerung fällig ist – und dass wir andere dazu brauchen, damit wir uns nicht allein mühen müssen, vor allem aber nicht allein übrigbleiben.

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