Wien. Dietmar Grieser

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Wien - Dietmar Grieser

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des Bruders beiwohnt und sich davon so beeindruckt zeigt, dass er Auftrag gibt, auch in der Hofburg einen mit Kerzen geschmückten Christbaum aufzustellen. Tatsache ist, dass fortan viele der in Wien ansässigen Adelsfamilien dem Beispiel folgen, wobei es müßig ist, im Nachhinein einen Wettstreit darüber zu eröffnen, ob nicht die Berliner Bankiersgattin Fanny von Arnstein Erzherzogin Henriette zuvorgekommen und bereits zu Weihnachten 1814 den deutschen Brauch nach Österreich »importiert« hat.

      Eines ist klar: Während am Wiener Hof Diskretion und Gelassenheit oberstes Gebot sind, erregt eine Exzentrikerin wie die »prussienne scandaleuse«, die in ihrem Salon in der Bräunergasse »tout Vienne« um sich schart, ungleich mehr Aufsehen als die 39 Jahre jüngere Erzherzogin. Einer von Metternichs Spitzeln berichtet aus dem Palais der Arnsteins in der Bräunergasse: »Bei Arnstein war vorgestern nach Berliner Sitte ein sehr zahlreiches Weihbaum- oder Christbaumfest. Es waren dort Staatskanzler Hardenberg, die Staatsräte Jordan und Hoffmann, Fürst Radziwill, Herr Bartholdy, alle getauften und beschnittenen Anverwandten des Hauses. Es wurde durch alle Zimmer ein Umgang gehalten mit den zugeteilten, vom Weihnachtsbaum abgenommenen Gegenständen.«

      Die Gegenstände, das sind bei Arnsteins ebenso wie in der erzherzoglichen Familie neben den Wachskerzen allerlei Leckereien und auch Spielsachen. Einer, der diese Veränderungen kritisch sieht, ist Erzherzog Karls Bruder Johann, der seinem Tagebuch anvertraut: »Obgleich ich einige Freude hatte, all die Kleinen, welche die Hoffnungen des Hauses ausmachen, zu sehen, so verstimmt mich gleichzeitig die große Hitze durch die vielen Lichter. In früherer Zeit, als ich klein war, gab es ein Kripperl, welches beleuchtet war, dabei Zuckerwerk – sonst aber nichts. Nun ist kein Kripperl mehr! Wir sahen einen Graßbaum mit vielem Zuckerwerk und Lichtlein und ein ganzes Zimmer voll Spielereien aller Art und wahrlich manches sehr Schönes und Vieles, welches in wenigen Wochen zerschlagen, zertreten, verschleppt sein wird und welches gewiss tausend Gulden gekostet. So war das Bett für die Puppen allein, welches 400 fl. Münze soll gekostet haben. Dies verstimmt mich noch mehr.«

      Trotz dieser Kritik an seiner jungen Schwägerin und deren häuslichen Sitten, die Erzherzog Johann hier so freimütig äußert, wird es besonders Henriette sein, die ihrem Schwager den Rücken stärkt, als er in späteren Jahren gegen den Widerstand des Kaiserhauses die Ausseer Postmeisterstochter Anna Plochl heiraten will. Sie ermutigt ihn, unbedingt an seiner Wahl festzuhalten.

      Bald werden Erzherzog Karl und die Seinen in das Palais seines mittlerweile verstorbenen Adoptivvaters, des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen, übersiedeln (die heutige Albertina). Auch die Errichtung eines Sommersitzes für die stetig wachsende Familie nimmt Gestalt an: Das nach Plänen des Architekten Kornhäusel zu erbauende Schloss im Helenental bei Baden wird zu einer einzigartigen Huldigung für die Frau des Hauses: Nicht nur, dass es – so wie ihr Elternhaus in Deutschland – Weilburg heißen wird, wartet Erzherzog Karl auch mit einer besonders liebevollen Überraschung für seine geliebte Gattin auf: Henriettes Appartements in der Badener Weilburg, so lesen wir in Oskar Cristes dreibändiger Karl-Biografie, »waren genauso eingerichtet wie die Zimmer ihres Heimatschlosses. Da war ihr Arbeitszimmer, der alte Stickrahmen mit dem angefangenen Muster, der Kanarienvogel, das aufgeschlagene Klavier mit den Lieblingsnoten, ja selbst das Schulzeug aus den Kindertagen. Als nun aber auf ein Zeichen auch die alte Dienerschaft aus der heimatlichen Weilburg hereintrat und unter dieser die gute, treue Amme der Erzherzogin, da konnte diese sich nicht länger beherrschen; sie warf sich tief gerührt an die Brust des geliebten Gemahls.«

      Doch das Familienidyll endet jäh und grausam. Dezember 1829, man ist gerade erst wieder von der Weilburg nach Wien zurückgekehrt. Henriette macht sich, ihre älteste Tochter zur Seite, auf den Weg, um in der Stadt die letzten Geschenke für Weihnachten zu besorgen. In einem Drechslerladen, wo sie Holzspielzeug für die kleineren Kinder auswählen will, kommt sie mit einer Verkäuferin ins Gespräch, die herzzerreißend den Scharlachtod ihrer Tochter beklagt. Von panischer Angst erfasst, dass sich auch ihre Tochter anstecken könnte, fasst Henriette ihre Älteste bei der Hand und zieht sie in höchster Eile aus dem Laden. Doch nicht Maria Theresia hat sich bei dieser Gelegenheit infiziert, sondern – die Mutter. Vier Tage nach Weihnachten erliegt Erzherzogin Henriette der tückischen Krankheit; sie ist erst 32 Jahre alt. Und wäre all dies nicht entsetzlich genug, muss sie auch noch über ihren Tod hinaus ein weiteres Mal dafür büßen, dass sie sich zu einem von der österreichischen Norm abweichenden Glauben bekannt hat: Kraft Einspruchs des päpstlichen Nuntius Marchese Spinola soll der »herrlichen Frau« die Beisetzung in der Kapuzinergruft verweigert werden. Ein Machtwort des Kaisers beendet allerdings den unwürdigen Streit: »Sie ist im Leben unter uns gewandelt«, dekretiert Seine Majestät, »sie soll auch im Tode unter uns ruhen.« Erzherzogin Henriette ist somit die einzige in der Kapuzinergruft beigesetzte Protestantin.

      Die Trauer um die vom Volk geliebte Fürstin ist gewaltig, auch die schreibende Zunft huldigt wieder und wieder der Gewissenhaftigkeit, mit der sie ihren Mutterpflichten nachgekommen ist, sowie der Tiefe der Verbundenheit mit ihrem Mann: »Ohne ihn käme mir die Welt wie ausgestorben vor.« Nicht minder zärtlich dessen Stimme – etwa, wenn er, nur wenige Tage von Wien abwesend, der Daheimgebliebenen schreibt: »Obwohl Du es weißt und so oft schon hörtest, muß ich Dir wiederholen, daß ich Dich innigst liebe … In der Ferne fühle ich erst recht, wie ich an Dich geknüpft bin. Es gibt wohl wenige glückliche Menschen wie mich. Viel Glück auf Erden und im Jenseits soll Dir der Himmel geben, um Dir zu lohnen, was Du an mir tust.«

      Sogar einen Dichter wie Franz Grillparzer beschäftigt die Gestalt der Henriette – und zwar aufgrund ihrer Andersgläubigkeit. Ihre Beliebtheit im Volk habe nicht nur den allgemeinen Diskurs über Religionsfreiheit und Toleranz im damaligen Österreich gefördert, sondern ihn selbst, den Dichter, zu seinem Drama Esther inspiriert. Dass er dann doch von dem alttestamentarischen Stoff ablässt und Esther nicht vollendet, hängt mit den Freiheitsbeschränkungen des Systems Metternich zusammen. Grillparzer wörtlich: »Ich hätte ja meine Arbeit sorgfältig vor der Polizei verbergen müssen, und solche Heimlichkeiten waren mir äußerst verhaßt.«

      Wer heute, 190 Jahre nach ihrem tragisch frühen Ableben, Henriettes gedenken will (nicht zuletzt ihre Landsleute beziehungsweise Glaubensbrüder und -schwestern aus Deutschland), findet in Wien die dazugehörigen Örtlichkeiten vor: die Wohnstätten in der Annagasse und im Bereich der Albertina, die Dorotheerkirche und die Kapuzinergruft. Und wer den Zeitpunkt seines Besuchs richtig wählt, kann vielleicht sogar dem bunten Treiben des Henriettenmarkts beiwohnen, der alljährlich im Hof der Dorotheerkirche abgehalten wird. Nur in Baden, im von Henriette so sehr geliebten Helenental, sind die sie betreffenden Spuren ausgelöscht: Ein Brand im April 1945 hat einen Großteil der Weilburg, wo einst alle Granden des Hofes zu Besuch waren und die Musiker Johann Strauß Vater und Joseph Lanner spielten, zerstört. Der Rest wurde 1960 abgetragen.

      P.S.: In jüngster Zeit sind Erzherzogin Henriette und »ihr« Christbaum überraschend ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten – und zwar im Zuge der verstärkten Besucherwerbung für die diversen Wiener Bundesmuseen. Nach der Übersiedlung der erzherzoglichen Familie aus der Annagasse ins Palais des verstorbenen Herzogs Albert von Sachsen-Teschen, die heutige Albertina, hatte Henriette den mit Äpfeln, Lebkuchen, vergoldeten Nüssen, Strohsternen und Windbäckerei geschmückten Tannenbaum regelmäßig in jenem Salon aufstellen lassen, der heute den Audienzsaal der Albertina bildet. Was liegt da für einfallsreiche Werbestrategen näher, als die kunstinteressierten Wiener mithilfe des Christbaummotivs in die Albertina zu locken – und nicht nur in die Albertina, sondern ebenso ins Kunsthistorische Museum, ins Belvedere? Auf jedem Wiener Christbaum – so die Idee – sollte eine der Jahreskarten für den preisgünstigen Besuch der Bundesmuseen hängen …

       Wundersame Verwandlung

       Mitsuko Aoyama

      Die Grafen Coudenhove stammen aus Brabant, sind flämischen Ursprungs. Das Adelsprädikat verdanken sie einem Kreuzritter dieses Namens, der bei der Eroberung Jerusalems anno 1099 in vorderster

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