Wien. Dietmar Grieser

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Wien - Dietmar Grieser

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Pläne der Familie Metternich gehen voll auf: Wien hält, was es verspricht. Ja, weit mehr als das: Durch die Eheschließung mit der Enkeltochter des weiland Staatskanzlers Kaunitz ist der 22-Jährige aus dem Rheingau ein gemachter Mann. Den »Rest« besorgt er selbst: Kein österreichischer Staatsmann vor ihm verfügte, als er das Amt des Kanzlers antrat, über eine solche Machtfülle wie er …

      Die Metternichs residieren am Rhein, ihr Stammsitz ist unweit von Koblenz, der Hauptstadt des Kurfürstentums Trier. Hier kommt am 15. Mai 1773 Sohn Clemens Lothar Wenzel zur Welt. Der Vater, Reichsgraf Franz Georg zu Metternich-Winneburg, ist ganz auf die Habsburger eingeschworen, dient Maria Theresia, die gerade ihren 56. Geburtstag gefeiert hat und gemeinsam mit ihrem ältesten Sohn Joseph die Geschicke Österreichs, der Niederlande, der Lombardei, Parmas, Piacenzas und der Toskana lenkt, als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister. Aber gar so toll, wie es klingt, ist ein solcher Posten auch wieder nicht: Graf Metternich setzt alle seine Hoffnungen auf den in der Tat vielversprechenden älteren Sohn.

      Bis an die Grenze der Lächerlichkeit eitel, rühmt sich die Familie bedeutender Vorfahren: Seit Jahrhunderten im Rheinland ansässig, stammte ihr Ahnherr ursprünglich aus Preußen und sei Gaugraf unter Karl dem Großen gewesen. Metter habe er geheißen, und als die unbotmäßigen Sachsen sich wieder einmal weigerten, ihren heidnischen Sitten abzuschwören, gegen den Kaiser rebellierten und in diesem Zusammenhang auch Graf Metter der Untreue bezichtigt wurde, habe Karl bloß den Kopf geschüttelt und erwidert: »Nein, der Metter nicht!«

      Das klingt nach Anekdote – und ist es wohl auch. Fest steht nur, dass sich die Metternichs seit Beginn des 14. Jahrhunderts nach einem Dorf gleichen Namens nennen, das noch heute in der Nähe von Euskirchen, einer Kreisstadt im Regierungsbezirk Köln, existiert. Die Winneburg hingegen, von der sich ihr zweiter Name ableitet, ist bloß noch (hoch über der Mosel unweit des Städtchens Cochem) als Ruine erhalten. Und die böhmischen Ländereien – in der legendären Schlacht auf dem Weißen Berg hat einer der Vorfahren Schloss Königswart bei Marienbad erkämpft – wird man erst wieder »aktivieren« müssen: Der später auch durch Besuche Goethes, Beethovens und Stifters zu Berühmtheit gelangende Stammsitz befindet sich zu der Zeit, da Clemens Metternich heranwächst, in den Händen gefinkelter Verwalter, die hinter dem Rücken der Herrschaft ein stattliches Vermögen anhäufen.

      Vater Metternich hat unterdessen alle Mühe, sein kleines »Reich« an Rhein und Mosel zusammenzuhalten. Die Zeiten sind ungünstig, die »französische Gefahr« wird von Jahr zu Jahr größer, und auch der monströse Aufwand, den ihn die Teilnahme an den Frankfurter Krönungsfeierlichkeiten für Kaiser Leopold II. und Kaiser Franz II. kostet, reißt empfindliche Löcher in das Vermögen des Reichsgrafen, der sowieso in Geldsachen nicht der Geschickteste ist.

      Da wiegt es umso schwerer, dass seine Gemahlin, die einem alten habsburgertreuen Breisgauer Geschlecht entstammende Beatrix von Kagenegg, ihrem Erstgeborenen ein anderes, nicht in Geldwert zu messendes und somit krisenfestes Erbteil auf dessen Lebensweg mitgibt: die attraktive äußere Erscheinung, das sinnliche Temperament. Die Gabe, seine Verführungskünste nicht nur zur persönlichen erotischen Befriedigung, sondern immer auch zur Erreichung seiner Karriereziele einzusetzen, hat er eindeutig von der Mutter, und sie ist es auch, die bei der Anbahnung seiner alles entscheidenden ersten Ehe die Fäden zieht …

      Aber noch ist es nicht so weit. Zuerst einmal muss für die nötige Erziehung und Ausbildung gesorgt sein. Clemens kommt unter die Obhut vortrefflicher Hauslehrer und Hofmeister, und da man in den besseren Kreisen von Koblenz eher nach Paris als nach Wien blickt, ist auch bei den Metternichs nicht Deutsch, sondern Französisch die Umgangssprache. Mit 16 bezieht der »junge Herr aus großem Haus«, dem seine Biografen schon zu dieser Zeit »wählerischen Geschmack, sorgfältiges Auftreten und liebenswürdigste Eitelkeit« bescheinigen, die hochangesehene Universität von Straßburg, die ein anderer großer Ehrgeizling jener Zeit gerade eben verlassen hat: Napoleon Bonaparte. Dass ihn, den vier Jahre Jüngeren, in den Fächern Mathematik und Fechtkunst dieselben Professoren ausbilden wie Frankreichs künftigen Kaiser, wird eine der vielen Anekdoten sein, mit denen Metternich später seine Autobiografie ausschmücken kann.

      Straßburg hält allerdings auch böse Überraschungen für den Jüngling aus Koblenz bereit: Hier erlebt er den Schock der Revolution, wird Zeuge, wie – eine Woche nach dem Sturm auf die Pariser Bastille – die aufgebrachte Volksmenge das Rathaus der Stadt besetzt und alles kurz und klein schlägt. »Meine Seele versank in Trübsal!«, wird er später das in diesen Tagen des Umbruchs Erlebte kommentieren und sein künftiges Weltbild zimmern, zu dem friedlicher Kompromiss und gewaltlose Geheimdiplomatie ebenso gehören wie starre Restauration und unerbittliche Unterdrückung.

      Für die Metternichs bedeutet die Revolution zunächst einmal schlicht und einfach, dass sie aus ihrem Stammland vertrieben werden und unter dem Schutzmantel der Habsburger, denen sie dienen, Zuflucht suchen müssen. Doch statt den direkten Weg nach Wien zu wählen, nähern sie sich der Metropole schrittweise: Schloss Königswart, das Stammgut in Böhmen, erweist sich als die ideale Absprungbasis. Hier – es ist Oktober 1794 – kann der 21-jährige Clemens nach erfolgreichen Zwischenspielen in den Niederlanden und in London zeigen, wie man durchgreift. Nur zwei Monate braucht er, um das heruntergewirtschaftete Anwesen in Ordnung zu bringen, die betrügerische Administration zu entmachten, die Erträge zu mehren.

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       Junger Herr aus großem Haus: Clemens Lothar Wenzel von Metternich

      Unterdessen wirft Mutter Beatrix in Wien ihre Fangnetze aus, um für den Erstgeborenen die begehrte gute Partie auszumachen. Die Schwiegertochter des kurz zuvor verstorbenen Fürsten Kaunitz, Maria Theresias Staatskanzlers, ist eine Jugendfreundin: Die Kaunitz-Enkelin Maria Eleonore, gerade 19 geworden und Erbin eines gewaltigen Vermögens, ist genau die Frau, die der junge Metternich braucht, um in den Wiener Hochadel »einzusteigen« und sich zugleich finanziell zu sanieren. Dass sie weder eine Schönheit noch von anziehendem Wesen ist, nimmt der kühl berechnende Bräutigam still in Kauf, und was die Zeugung von Nachwuchs anlangt, so ersetzt Clemens Metternich zärtliche Liebe einfach durch Disziplin.

      Schon in den ersten Ehejahren – die Hochzeit findet am 27. September 1795 auf der Burg von Austerlitz, dem böhmischen Stammsitz der Kaunitz, statt – leistet sich Metternich Seitensprünge, und sogar in französischen Zeitungen kann man Berichte wie diesen lesen: »Nicht selten sieht man ihn Frau und Kinder der Gesellschaft Fremder überlassen, um ein kleines Souper mit Schauspielerinnen abzuhalten.« Sein Biograf Humbert Fink sagt es so: »Er verführt und genießt, er lässt sich verführen und gewährt Genuss.«

      Später – da hat er schon die ersten Stufen der Karriereleiter erklommen, liegen die Jahre als österreichischer Gesandter beim sächsischen Hof in Dresden, beim Königreich Preußen in Berlin sowie in Paris hinter ihm – wird er dem bloßen Sinnesgenuss noch das berufliche Kalkül hinzuzufügen wissen: »Die Frauen, die er liebte«, urteilt ein weiterer seiner Biografen, Heinrich Srbik, »waren ihm zugleich Quell politischer Information.«

      Je älter Metternich wird, desto mehr lernt er das behagliche Leben in Wien schätzen: Auch in dieser Hinsicht ist aus dem gebürtigen Rheinländer längst ein überzeugter Österreicher geworden.

      Sechs Jahre leitet er nun schon – als Nachfolger des Grafen Stadion – das Außenamt am Ballhausplatz, soeben hat er – als Krönung dieses Lebensabschnitts – den Wiener Kongress hinter sich gebracht, da kann er endlich das für ihn errichtete Palais am Rennweg beziehen. Die mit den erlesensten Kunstschätzen vollgestopfte »Villa Metternich« ist von weitläufigen Gärten umgeben, die ihm, wenn er mit seinen hohen Besuchern durch das Areal flaniert, zum Gedankenaustausch dienen. Den Sommer verbringt man entweder auf dem eigenen Landgut in Böhmen oder auf den mährischen Besitzungen seiner Frau.

      Am 19. März 1825 – Clemens Lothar Wenzel von Metternich,

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