Alles nur Zufall?. Georg Markus
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Radetzky erfreut sich auch nach 72 Dienstjahren, in denen er in siebzehn Feldzügen fünf Kaisern gedient hat, immer noch guter Gesundheit, bis er am 21. Mai 1857 die Gattin des Grafen Karl von Wallmoden empfängt und sie bei der Verabschiedung ganz selbstverständlich zur Tür geleitet. Auf dem Weg dorthin rutscht er auf dem glatten Marmorboden der Villa Reale aus und zieht sich einen Schenkelbruch zu. Von da an lässt sich Radetzky von seinem Kammerdiener Ferschl im Rollstuhl zu seinen immer noch zahlreichen Verpflichtungen führen.
Am 29. Dezember 1857, drei Tage nach seiner letzten Ausfahrt, wird Radetzky von hohem Fieber befallen, am Silvestertag empfängt er die Sterbesakramente, und am 5. Jänner 1858 stirbt er in Mailand. Als aktiver Offizier, in seinem 92. Lebensjahr stehend. Das Kommando der Zweiten Armee meldet nach Wien: »Seine Exzellenz der Herr Feldmarschall Graf Radetzky ist nach längerem Lungenleiden heute Vormittag um 8 Uhr verschieden.« Am selben Tag noch erlässt der Kaiser einen Armeebefehl: »Dem Willen des Allmächtigen hat es gefallen, Meinen treuesten Diener, den Feldmarschall Graf Radetzky, aus diesem Leben abzuberufen … Um dem tiefen Schmerz Meines mit Mir trauernden Heeres Ausdruck zu verleihen, befehle Ich, dass in jeder Militärstation für den Verblichenen ein Trauergottesdienst gehalten und von Meiner ganzen Armee und Flotte die Trauer vierzehn Tage hindurch angelegt werde. Alle Fahnen und Standarten haben auf diese Zeit den Flor zu tragen.«
Nie wirklich in Pension gegangen: Feldmarschall Josef Wenzel Graf Radetzky im Alter von neunzig Jahren
Nicht genug damit, möchte der Kaiser seinem Feldherrn die höchste Ehre erweisen. Nur eine Nichtangehörige des Kaiserhauses wurde in der Kapuzinergruft beigesetzt: die Gräfin Karoline Fuchs-Mollard, einst Erzieherin Maria Theresias und von dieser ganz außergewöhnlich geschätzt. Nun soll Radetzky als zweiter Nicht-Habsburger in der Kaisergruft bestattet werden. Der Monarch muss jedoch zu seinem großen Befremden erfahren, dass Radetzky seinen Leichnam bereits zu seinen Lebzeiten »verkauft« hat: Joseph Pargfrieder*, Armeelieferant für Schuhe und andere Gebrauchsartikel, kam jahrzehntelang für die Schulden der zeitlebens auf großem Fuß lebenden Feldmarschälle Josef Wenzel Radetzky und Maximilian von Wimpffen auf. Die beiden höchsten Militärs der k. k. Armee gingen im Gegenzug die Verpflichtung ein, ihre sterblichen Überreste auf dem »Heldenberg« im niederösterreichischen Kleinwetzdorf bei Stockerau an Pargfrieders Seite begraben zu lassen. Nun bleibt dem Kaiser nichts anderes übrig, als sich dem Willen eines Herrn Pargfrieder zu beugen. Und Radetzky findet seine letzte Ruhe statt an der Seite der österreichischen Monarchen an der Seite eines Offizierskameraden und eines Schuhhändlers. Im Volksmund kursiert fortan der Reim:
Hier liegen drei Helden in ewiger Ruh,
Zwei lieferten Schlachten, der dritte die Schuh.
* Joseph Gottfried Pargfrieder (1782–1863), als Armeelieferant reich geworden, errichtete den »Heldenberg«, auf dem er neben den Feldherren Radetzky und Wimpffen – die er jahrzehntelang finanziell unterstützt hatte – seine letzte Ruhe fand.
ALMA TRIFFT GUSTAV MAHLER
Berta Zuckerkandl als Kupplerin, 7. November 1901
Berta Zuckerkandl geb. Szeps * 13. 4. 1864 Wien, † 16. 10. 1945 Paris. Schriftstellerin und Salondame. In ihren Salons trifft sich die Welt des Fin de Siècle.
In der feudalen Villa in der Nußwaldgasse in Wien-Döbling läutet das Telefon, damals noch ein Luxusgegenstand, der nur wenigen Haushalten zur Verfügung stand. Die nun folgenden beiden Gespräche werden zum Schicksal zweier Menschen, die im kulturellen Wien der Jahrhundertwende eine bedeutende Rolle spielen.
»Gustav Mahler. Guten Tag. Ich bringe Ihnen Grüße aus Paris.«
»Vielen Dank, Herr Direktor, dass Sie sich diese Mühe nehmen«, erwidert Berta Zuckerkandl.
»Zu danken habe ich Ihren Verwandten in Paris. Dort fand ich Verständnis, wirkliche Musikliebe … Nur das hat mich bewogen, Sie anzurufen. Ist sonst nicht meine Art.«
»Ich traue mich kaum, Sie zu fragen, Herr Direktor, ob es Ihnen passt, einen Abend bei uns zu verbringen?«
»Vielleicht entschließe ich mich dazu. Aber es ist ein Opfer. Und nur unter der Bedingung: Keine Gesellschaft, sonst laufe ich davon.«
»Das weiß ich, Sie brauchen nichts dergleichen zu befürchten.«
»Donnerstag bin ich frei. Ich esse nur Grahambrot und Meraner Äpfel. Empfehle mich.«
Gustav Mahler * 7. 7. 1860 Kalischt/Böhmen, † 18. 5. 1911 Wien. Komponist und Dirigent. 1897 bis 1907 Direktor der Wiener Hofoper.
Tatsächlich, Gustav Mahler hat Berta Zuckerkandl noch in der Sammlung prominenter Gäste in ihrem Salon gefehlt, in dem die künstlerische und wissenschaftliche Elite der Donaumonarchie ein- und ausgeht. Zu ihnen gehören die bedeutendsten Kapazitäten auf ihrem Gebiet, darunter Johann Strauß, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Otto Wagner, Josef Hoffmann, Julius Wagner-Jauregg, Alexander Girardi und Max Reinhardt. Nun also ist Gustav Mahler dran. Und wie’s der Zufall will, klingelt am nächsten Tag im Hause Zuckerkandl schon wieder das Telefon, diesmal wird Bertas Mann, der angesehene Arzt Emil Zuckerkandl, an den Apparat gerufen. Am anderen Ende der Leitung ist Almas Mutter, Anna Moll: »Emil, ich möchte dich konsultieren.«
»Mich? Ich kuriere nur Leichen.«
»Ja, ich weiß. Aber ich bilde mir ein, dass ein berühmter Anatom wie du vieles besser weiß als so ein Auswendigkurierer.«
»Also, was gibt es?«
»Es ist wegen Alma. Das Mädel magert ab, ist ganz blass und – kannst du dir das vorstellen – ist ganz still geworden. Was mir am meisten auffällt, sie kokettiert nicht mehr.«
»Das ist bedenklich. Was sagt euer Arzt?«
»Blödsinn. Dass sie bleichsüchtig ist. Es gibt nur eine Erklärung. Alma sitzt beinahe jeden Abend in der Oper. Sie kommt dann ganz verweint nach Hause, setzt sich ans Klavier und spielt stundenlang.«
»Soll ich eine Diagnose stellen? Es ist möglich, dass die Suggestionskraft dieses Musikers an der sogenannten Bleichsucht schuld ist. Sollte das der Fall sein, vielleicht kann ich Alma kurieren.«
»Dann bist du ein Hexenmeister.«
»Schick sie Donnerstagabend zu uns. Kann sein, ich beginne mit meiner Kur.«*
Von »Keine Gesellschaft«, wie Gustav Mahler es gefordert hat, kann somit keine Rede sein. Nicht genug mit Alma Schindler, angelt sich Berta Zuckerkandl für diesen 7. November 1901 auch noch den Dichter Hermann Bahr, den früheren Burgtheaterdirektor Max Burckhard und den großen Maler Gustav Klimt als Gäste. Die Zusammensetzung der Gesellschaft entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie: Mit Klimt hat die 22-jährige Alma bereits eine Romanze hinter sich, Burckhard ist ihr gegenwärtiger Verehrer und Gustav Mahler ihr künftiger Ehemann. Bald wird sich zeigen, dass dieser Abend Berta Zuckerkandl