Der Geliebte der Verlobten. Laura Lippman

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Der Geliebte der Verlobten - Laura  Lippman Tess Monaghan

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schaute sich in dem kahlen Büro um, mit dem einen Fenster und den Wettformularen auf dem Schreibtisch. Sie warf ihrem Onkel eine Kusshand zu und rannte dann die elf Treppen hinunter, als wäre etwas hinter ihr her. Als sie auf der Straße war, ging sie zu einem forschen Schritt über, hielt aber nicht mehr an, bis sie bei ihrer Wohnung war.

      Sieben Stunden später, als sie ihre Arbeit für Onkel Donald erledigt und ihre allabendliche Laufrunde hinter sich gebracht hatte, bezog Tess wieder Stellung vor der Tiefgarage des Eden’s Landing. Diesmal saß sie allerdings in ihrem Toyota und wartete, ob Ava das Haus verlassen würde. Sie wusste, dass Ava zu Hause war, denn Rock hatte erst vor ein paar Minuten mit ihr am Telefon gesprochen und dann gleich Tess angerufen.

      »Sie hat mir gesagt, dass ihr eigentlich nicht danach ist, heute Abend auswärts zu essen«, sagte er. »Hat gesagt, dass sie den ganzen Abend zu Hause bleiben will.« Er hatte Tess nicht gebeten, sie zu beobachten, und Tess hatte ihm nicht gesagt, dass sie es vorhatte. Schließlich bezahlte er Tess dafür, dass sie sich diese unschönen Gedanken an seiner Stelle machte.

      Zwanzig Minuten später überkam sie fast so etwas wie Genugtuung, als Ava in ihrem silberfarbenen Miata aus der Tiefgarage des Eden’s Landing kam. Tess folgte ihr etwa eineinhalb Kilometer weit, durch die Innenstadt und nach Federal Hill hinein, zu einem Fitnessstudio, einem sehr geräumigen Gebäude, in dem um die Jahrhundertwende drei Frauen bei einem an sich belanglosen Feuer umgekommen waren.

      »Warum lügst du ihn denn an, wenn du zum Training gehst?«, fragte Tess Ava in ihrem Auto. »So etwas findet Rock doch immer gut, auch wenn die Geschichte des Studios nicht so ganz politisch korrekt ist.«

      Als das Studio eröffnete, wurde das in den Leitartikeln des Beacon als sehr unsensibel verurteilt. Männer und Frauen, die behaupteten, Nachkommen der toten Frauen zu sein, bildeten Mahnwachen vor dem Gebäude. Fernsehreporter wuselten überall herum, aber das hübsche Gebäude war so fotogen, dass sich die Leute regelrecht darum rissen, Mitglied zu werden. Schließlich erinnerte sich jemand auch noch, dass alle drei Brandopfer junge Mädchen gewesen waren, unverheiratet und kinderlos, und die Mahnwachen verschwanden. Das Fitnessstudio wurde ein voller Erfolg.

      Tess hätte sich, sogar als sie noch einen Beruf hatte, solch ein schickes Studio niemals leisten können, aber sie wusste, wie sie sich Zutritt verschaffen konnte.

      »Ich hätte gerne ein paar Infos zur Mitgliedschaft«, sagte sie zu der magersüchtig aussehenden Blondine am Empfangstisch. Die Blonde seufzte und drückte auf einen Knopf hinter dem Tisch. Eine Aufnahme von einem wilden Jubelgeschrei, wie es etwa eine Menschenmenge ausstößt, wenn jemand in der letzten Sekunde vor dem Abpfiff noch ein Tor schießt, schallte durch den ganzen Club. Na, großartig, dachte Tess, hoffentlich wissen jetzt alle, dass ich hier bin.

      Da eilte auch schon ein gewisser Dale, wie man auf seinem Namensschildchen lesen konnte, auf sie zu. Klein und muskelbepackt, trug er ein so enges gestricktes Polohemd, dass Tess in der Mitte seiner wohlgeformten Brust jedes einzelne Haar zählen konnte. Sieben waren es im Ganzen. Seine weißen Hosen saßen nur eine Idee weniger eng. Sogar sein straff zurückgekämmter Pferdeschwanz, der nur ein paar Zentimeter lang war, sah fest und biegsam aus und so gewölbt wie ein Bizeps.

      »Ich heiße Dale und bin Ihr Botschafter in Sachen Fitness«, sagte er und schüttelte Tess enthusiastisch die Hand. »Interessieren Sie sich für unser Platinprogramm oder für unser Goldprogramm?«

      »Wahrscheinlich für das in Zirkonium.«

      Er sah sie verständnislos an.

      »Kleiner Scherz«, erklärte Tess. »Ich will jedenfalls die beste Mitgliedschaft, die Sie zu bieten haben. Aber ich möchte erst mal sehen, was es hier so gibt, bevor wir über die Kosten sprechen.«

      »Natürlich.« Er legte ihr besitzergreifend die Hand ins Kreuz wie ein Steuerruder. Tess machte sich von dieser Hand frei.

      »Ich dachte, ich seh mich hier erst mal allein um. Schau mir die Umkleidekabinen an, verstehen Sie. Ich nehme an, die sind für Frauen und Männer getrennt?«

      Dale, der seine Provision schon davonschwimmen sah, behielt dennoch sein breites, forsches Lächeln bei. »Kein Problem! Aber Sie müssen mir nur schnell ein Formular unterschreiben, dass Sie sich hier auf eigene Verantwortung bewegen. Dann haben wir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer bei den Akten.«

      Tess nahm das Klemmbrett, das er ihr reichte. Da war kein Formular zu sehen, nur ein leeres Stück Papier mit Raum für einen Namen und eine Telefonnummer. Sie hatte eine plötzliche Vision, wie sie nachts mit Anrufen von Dale bedrängt wurde, der sie bat, das Studio doch wenigstens für drei Monate auszuprobieren, oder auch für zwei Monate, oder nur für einen Monat.

      Tess Duberville, schrieb sie sorgfältig und fügte die Nummer des Wetteramtes hinzu. Sollten sich doch Thomas Hardy und die Wetterfrösche mit den Beitrittsmodalitäten auseinandersetzen.

      Jetzt war Tess frei, ihre eigene Tour durch die alte Fabrik zu machen, und spazierte durch das Studio, wobei sie jedes Gerät inspizierte und nach Ava Ausschau hielt. Ihre Bewunderung für die gepflegten deutschen Geräte brauchte sie nicht zu heucheln. Das Studio war gut geführt und bot überall jene kleinen Aufmerksamkeiten, die Menschen erwarten, wenn sie bis zu zweitausend Dollar Mitgliedsbeitrag pro Jahr zahlen. Flauschige weiße Handtücher, Stapel neuer Zeitschriften neben den Hometrainern, Farbfernseher, die von der Decke herabhingen. Man konnte sich sogar Kopfhörer für die Fernsehgeräte ausleihen, damit man ungestörter zuhören konnte, trotz des Aufknallens der Gewichte und des Surrens von Dutzenden von Maschinen, die alle nirgendwohin fuhren. Für jemanden wie Tess, die bis zu drei Stunden täglich in Schweiß gebadet verbrachte, war dieser Ort die reine Versuchung. Sie hätte sich viel lieber die Geräte angesehen – und in manchen Fällen auch die Männer darauf –, als nach Ava zu suchen.

      Wie sich herausstellte, ließ sich beides miteinander verbinden. Der Aerobicraum lag in der Mitte des Studios und hatte eine gläserne Hülle, er sah aus wie ein überlebensgroßer Ameisenhaufen. Und da, ganz vorne in der Mitte einer Gruppe, die Stepp tanzte, arbeitete sich Ava mit solcher Energie durch ihre Pflichtübungen, als wäre sie in einem Wettkampf. Während sie in Straßenkleidung zerbrechlich und sexy wirkte, sah sie hier nicht ganz so hilflos aus, in ihren Fahrradhosen aus weißer Spitze und einem dazu passenden Sportbüstenhalter. Ihre Beinmuskeln waren lang und wohlgeformt wie die einer Tänzerin; der Bizeps und die Bauchmuskeln gut ausgeprägt, wie es zurzeit für Frauen Mode war. Was ihre Brüste betraf – unmöglich groß für eine so kleine Frau und über jegliche Schwerkraft erhaben –, so schienen sie irgendwo außerhalb dieses Studios geformt worden zu sein.

      Als die Gruppe zur Entspannungsphase überging, eilte Ava hinaus, während sie sich das Gesicht mit einem der weißen Handtücher des Clubs abtupfte. Nur wenige Minuten später schoss sie aus dem Umkleideraum wieder heraus und sah dabei auf ihre Uhr. Sie hatte bestimmt nicht geduscht, obwohl das Make-up auf ihrem Gesicht aufgefrischt und ihre Haare ordentlich gekämmt waren. Noch immer trug sie das winzige Höschen und den BH, mit einem hauchdünnen Leinenhemd darüber. Das durchsichtige Hemd betonte nur die ganze nackte Haut darunter.

      Jetzt schien Ava plötzlich keine Eile mehr zu haben, sondern schlenderte auf den Eingangsbereich zu und blieb am Trinkwasserspender stehen. Obwohl sie den Mund an den Wasserstrahl hielt, schien sie, wie Tess bemerkte, nicht zu schlucken, und ihre Augen schossen unablässig hin und her. Als nun ein weißhaariger Mann, der eindeutig nach Oberschicht aussah, mit einem Squashschläger in der Hand an ihr vorbeiging, richtete sie sich auf wie ein Schachtelteufelchen und begrüßte ihn mit süßer, klarer Stimme.

      »So eine Überraschung! Ich hätte nie gedacht, dass ich Sie hier treffen würde.«

      Auf der anderen Seite der Eingangshalle

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