Der Geliebte der Verlobten. Laura Lippman
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Читать онлайн книгу Der Geliebte der Verlobten - Laura Lippman страница 11
»… komme genauso gern wegen der Massagen her«, sagte soeben dieser Mann, der wie ein Patrizier aussah. Tess bemühte sich, Avas Antwort zu hören, doch da bekam sie von einer riesigen Hand einen solchen Schlag zwischen die Schulterblätter gedroschen, dass ihr der Atem stockte.
»Wollen Sie jetzt diese Dets zur Mitgliedschaft?« Dale, der Fitnessbotschafter, hatte sich hinter sie geschlichen, mit einem beunruhigend dicken Ringbuch in Händen.
»Dets?«
»Details.«
»Oh, natürlich. Ich geh nur schnell raus zu meinem Beamer und bring mein Scheckbuch mit rein.«
Scheckbuch, das Zauberwort. Beamer tat auch nicht weh.
Dale strahlte und drosch noch einmal auf Tess ein. Als sie zu ihrem Auto rannte, überlegte sie, ob er wohl alle weiblichen Kunden so behandelte oder nur die, die mindestens dreißig Zentimeter größer waren als er.
Sie wartete im Auto, bis Ava herauskam, und beobachtete sie währenddessen durch die Glasfront des Clubs. Jetzt hatte sie es offensichtlich nicht mehr eilig, so wie sie sich da mit dem Mann mit dem Squashschläger unterhielt. Lebhaft, fast flirtend, beugte sie sich ihm entgegen und berührte ihn häufig in aller Unschuld. Federleichte Berührungen an seiner Schulter, seinem Handgelenk, seiner Hand. Das alles erinnerte Tess sehr an ihre Technik beim Klauen.
Als der Mann dann endlich ging, schien Ava ihr Gesicht abzuschalten. Sie würde keine so finstere Miene machen, dachte Tess, wenn sie wüsste, dass sich dadurch tiefe Falten um den Mund und auf der Stirn bilden. Ava rannte zu ihrem Auto und schoss so schnell aus ihrem Parkplatz heraus, dass Tess sie in den engen Straßen von Federal Hill fast verloren hätte. In der Light Street holte sie sie wieder ein und folgte ihr zurück zum Eden’s Landing. Der Toyota, der sich normalerweise so anständig benahm, spuckte und gab Fehlzündungen von sich, als bettele er um Rücksicht. Tess fuhr ihn im zweiten Gang und konnte nur hoffen, dass Ava nichts mitbekam.
Sobald sie in ihrem Apartment war, ging Ava nicht mehr ans Telefon. Tess bemerkte das deshalb, weil sie sie in regelmäßigen Abständen anrief, von dem Münztelefon bei Vaccaro aus, einer Eisdiele in Little Italy, die nur einen Block entfernt lag. Nicht einmal der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Wie konnte man es nur ignorieren, wenn das Telefon zehn-, fünfzehnmal klingelte? Ava kam Tess nicht gerade vor wie jemand, der das aushält und ein läutendes Telefon einfach ignoriert. Vielleicht sprach sie auf der anderen Leitung und war so in ihr Gespräch vertieft, dass sie nicht auf das Klicken achten mochte, das anzeigte, dass ein anderes Gespräch hereinkam. Oder sie hatte den Stecker rausgezogen, damit niemand sie erreichen konnte. Damit Rock sie nicht erreichen konnte.
Tess aß ein Pistazieneis und überlegte, was sie bisher alles herausgefunden hatte. Ava klaute in Läden. Ava trainierte. Ava hatte höchstwahrscheinlich einen Silikonbusen. Und mehr Muskeln, als man denken sollte. Das sah nicht nach sehr viel aus. Es sah auch verdammt langweilig aus. Sie rechnete im Kopf zusammen, wie viele Stunden sie dazu bisher verwendet hatte – von 7:30 bis 12:30 Uhr, dann abends noch einmal zwei Stunden. Machte zusammen 210 Dollar. Langweilig, aber einträglich. Tatsächlich hätte sie gegen ein paar solche langweilige Tage nichts einzuwenden gehabt, obwohl ihr klar war, dass sie damit aufhören sollte, bevor sich ihre Stundenrechnung auf tausend Dollar belief. Sie wollte ja Rock nicht um seine Ersparnisse bringen.
5
Ihre ersten Erfolge hatte sie leicht einfahren können, und so erkannte Tess, dass sich Beschattungsarbeit finanziell lohnte. Am zweiten Tag, dem Freitag vor dem Labor-Day-Wochenende, wartete Tess vor dem Lambrecht Building bis vierzehn Uhr, doch Ava kam erst heraus, als Rock sie zu einem Wochenende an der Ostküste abholen wollte. Tess beobachtete, wie Rock Avas Taschen in sein Auto lud – zwei Taschen, stellte sie fest, für ein Wochenende von drei Tagen. Unvermittelt streckte er die Hand aus und packte Ava am Handgelenk, als hätte er Angst, dass sie davonlaufen könnte. Er zog sie an sich und umarmte sie heftig. Schon vom bloßen Hinsehen taten Tess die Rippen weh. Doch Ava krümmte nur den Rücken und überließ ihren Körper der Umarmung, während sie das Gesicht von Rock abwandte und über seinen Kopf hinweg auf etwas starrte, was Tess nicht sah. Sie fuhren los in Richtung Autobahn, in Rocks selten benutztem Honda mit dem Boot auf dem Dach.
Warum seid ihr beiden bloß miteinander verlobt?, fragte sich Tess, als das Auto verschwand. Sie hatte Rock schon manchmal beim Einkaufen beobachtet, wo er völlig geistesabwesend dastand und für nichts außer seine Kaffeebohnen Interesse aufbringen konnte. »Das Größte ist immer das Beste, stimmt’s? Wenn dieser Reis hier mehr kostet, muss er auch besser sein, stimmt’s?« Er war ein paar Jahre älter als sie, und was er da an Leben durch sein Mikroskop beobachtete, das musste, so viel begriff Tess, wohl auch den Betrachter dazu anregen, sich zu vermehren und weiterzuwerkeln.
Und dann war da Ava, schön, tüchtig und heiratswillig. Er fragte sie nie, warum sie ihn heiraten wollte. Er sah das einfach als Zeichen eines außerordentlichen Glücks, als Beweis, dass der teuerste Reis tatsächlich immer der beste war.
Tess verbrachte das Wochenende in der Buchhandlung und versuchte, die Stunden hereinzuholen, die sie Kitty noch schuldete. Nur zu bald war wieder Dienstag und damit Zeit, den inzwischen vertrauten Posten vor Eden’s Landing wieder einzunehmen. Dann Mittwoch, Donnerstag. Die Tage verstrichen ohne Ereignis. Ava ging zur Arbeit, ging zum Mittagessen, ging zurück zur Arbeit, ging nach Hause. Am Mittwoch traf sie sich mit Rock zum Abendessen, und Tess nahm sich den Abend frei. Später, als sie noch einmal mit Rock telefonierte, erzählte er ihr, dass Ava noch immer gereizt sei und ihm ausweiche und dass sie den Abend früh habe enden lassen, mit Klagen über viel Arbeit und entsetzliche Kopfschmerzen. Als Tess den Schmerz in seiner Stimme hörte, fragte sie sich kurz, ob sie ihm von den Ladendiebstählen berichten solle. Aber dann wäre alles wieder vorbei, und Tess merkte zu ihrer eigenen Überraschung, dass sie noch nicht so weit war, die Sache aufzugeben.
Am Freitagvormittag saß sie auf ihrer Bank vor Avas Büro und beobachtete, wie die Polizei Bettler aufscheuchte. Bettler gab es schon immer in der Innenstadt von Baltimore – Tess konnte sich noch gut erinnern, wie ein Mann ohne Beine sie, als sie acht Jahre alt war, am Lexington Markt auf seinem kleinen Rollwagen die ganze Straße hinunter gejagt hatte –, aber jetzt war ihnen der Krieg erklärt worden. Die Stadt hatte »Sicherheitskräfte« eingestellt, die durch die Straßen patrouillierten und sie damit sicherer und netter machten, jedenfalls für diejenigen, die nur nach dem Weg fragen wollten. Die Stadtstreicher nannten diese Sicherheitskräfte die »Roten«, nach deren schicken Mützen. Vielleicht dachten die Stadtoberen, dass sie ihre neue Footballmannschaft wieder verlieren könnten, wenn die National Football League herausfand, dass es in Baltimore Bettler gab. Andererseits wäre das ein großartiger Name für das Team: die Baltimore Beggars. Nein – die Baltimore Hollow Men. Wenn doch nur T.S. Eliot anstelle von Poe hier in Charm City gestorben wäre, dann hätte es statt der Raben die Hohlen Männer geben können.
Die meisten Bettler gingen friedlich davon, einschließlich Tess’ Banknachbarin, die ihr jeden Tag einen Dollar abgeluchst hatte, mit immer derselben Tour. Aber die Polizisten oder die Roten fragte sie nicht, ob sie ihnen Angst mache, sie verschwand einfach. »Ich weiß, was ich mache, damit ich nicht eingesperrt werde«, flüsterte sie Tess zu, als sie davoneilte, und zwar überraschend klar im Kopf. »Ich geh zu McDonald’s rein.« Erstaunt sah Tess ihr nach. Sie glaubt, ich sei eine von ihnen.
Ein paar Meter neben ihr weigerte sich ein Herr in einem abgewetzten blauen Anzug, seinen Platz aufzugeben. Er war groß und dünn, hatte eine vorzügliche Haltung und wiederholte immer wieder: »Ich bin von der Ostseite mit dem Auto herübergekommen, aber meine Batterie ist leer. Deswegen