Magic Tales - Verhext um Mitternacht. Stefanie Hasse
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Tanja, Maras Mutter, öffnete schon die Haustür, als Mara ihren Roller noch in der Einfahrt des kleinen Einfamilienhauses am Waldrand parkte. Sie begrüßte uns mit einem strahlenden Lächeln und drückte erst Mara, dann mich, als hätte sie uns schon ewig nicht mehr gesehen.
Tanja überredete uns zu selbstgebackenen Keksen in der Küche, und während sie uns nebenbei heißen Kakao zubereitete, fragte sie uns über den Schultag aus.
»Wir haben eine neue Austauschschülerin – und Tristan hat sich in sie verguckt.« Noch vor ein paar Jahren hätte ich Mara dafür unter dem Tisch getreten, jetzt warf ich ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.
Tanja drehte sich so schnell um, dass die heiße Milch im Topf überschwappte. Sie ignorierte die Sauerei jedoch und sah mich mit einem Schmunzeln auf den Lippen an. »Woher kommt sie denn?«
»Aus Rom. Aber ich kann online einfach nichts über sie finden. Sie ist mir suspekt«, erklärte Mara, während sie aufstand und die verschüttete Milch aufwischte.
»Eine Italienerin?« Tanjas Blick huschte hin und her. »Wie heißt sie denn?«
»Ela Bianchi«, antwortete ich offenbar in einem Tonfall, der Mara hinter Tanjas Rücken ein Herz mit den Fingern formen ließ.
Tanja drehte sich wieder zur hölzernen Arbeitsfläche mit unseren Tassen um und goss die Milch ein. Am Ende gab sie eine extra große Portion Schlagsahne in eine der Tassen, die sie danach vor mich stellte.
Während ich die Sahne auslöffelte, erzählte Mara weiter von Ela. »Du solltest sie ansprechen. Oder was denkst du, Mama?« Ich sah von ihr zu Tanja, die zu spüren schien, dass es nicht unbedingt das Thema war, über das ich sprechen wollte – schon gar nicht vor ihr. Und vielleicht war es auch nicht gerade ihr Lieblingsthema. Maras Vater hatte die Familie schon kurz nach Maras Geburt verlassen und Mara nur seine grau-grünen Augen hinterlassen. Den Rest ihres Äußeren hatte sie zweifelsohne von Tanja, was diese stets mit einem Schmunzeln als glücklichen Umstand bezeichnete. Mit ihren blonden Haaren und den blauen Augen sah Tanja ein wenig wie eine Barbiepuppe aus.
»Wie sieht es eigentlich mit dem Test nächste Woche aus?«, wechselte Tanja das Thema und mit einem Mal war Mara sehr interessiert an dem Inhalt ihrer Tasse. Ich lächelte, während ich mir die nächste Portion Sahne in den Mund schob.
»Wir haben sogar in der Mittagspause gelernt«, log Mara und Tanja warf ihr einen eindeutigen Blick zu. Mara war die schlechteste Lügnerin der Welt.
Nach dem Kakao gingen wir in Maras Zimmer und arbeiteten den Stoff für den Test durch – eine gute Ausrede, Maras Fragen nach Ela immer gleich abzuwehren. Natürlich würde ich sie gerne kennenlernen – aber es gab genug Gründe, die dagegensprachen. Die meisten hatten mit Hexen zu tun.
Obwohl wir den Rest des Nachmittags mit Funktionen und Ableitungen verbrachten, war es wie immer gemütlich in Tanjas Haus. Beim Abschied zerrte ein Sehnen an meinem Herzen, als ich einen letzten Blick über die Schulter zur Tür warf, von wo Mara und Tanja mir zuwinkten. Mara lächelte und ich spürte wieder einmal, dass sich die beiden für mich so viel mehr nach Familie anfühlten als meine eigene Familie, die Brands.
Mit dem Rucksack über der Schulter nahm ich den Fußweg quer durch den Wald und legte an meinem Trainingsplatz – einer Lichtung fernab der Wege – eine kleine Trainingsstunde ein. Hierher kamen meine Brüder so gut wie nie.
Als mein Vater uns damals gemeinsam hierhergeführt hatte, war ich vielleicht vier Jahre alt gewesen. Er hatte uns die Geschichte dieses Platzes erzählt. Bis zum vorigen Jahrhundert hatte sich hier zwischen den dichten Bäumen die »Richtstätte« befunden. Während wir auf dem schmalen Pfad zum Schlossturm gingen, hatte Papas Erzählung einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Es war einfach gewesen, sich die Menschenmenge vorzustellen, die den armen Hexen gefolgt waren und voller Sensationsgier zusahen, wie man sie getötet und genau an diesem Punkt hier verscharrt hatte. Papa hatte mit einem lauten »Hängt die Hexen!« geendet und uns alle zu Tode erschreckt.
Ich erschauderte selbst bei der Erinnerung daran. Da ich aber kein Hexer war, hatte ich keine Angst vor diesem Ort – im Gegensatz zu Chris und Noah, die wie alle anderen Hexer geschichtsträchtige Orte wie diesen oder den Hexenturm jenseits des nun nicht mehr sichtbaren alten Pfades mieden. Anscheinend spürten sie den Horror solcher Plätze. Aber vielleicht war es auch nur eine Ausrede.
So übte ich hier Schritt-, Tritt- und Schlagabfolgen, die etwas mehr Platz benötigten, als ich in meinem kleinen Zimmer daheim zur Verfügung hatte. Auf dem weiteren Weg nach Hause besann ich mich auf die mentalen Stärken, die mir das Jiu-Jitsu brachte. Die Philosophie. Ich wurde ruhiger, erdete mich und ich konnte mit frischem Geist und ausgepowerten Muskeln das Anwesen betreten, das bei allen hier in der Gemeinde noch immer den Namen meines Vaters trug. Direkt hinter der großen Eingangstür stolperte ich beinahe über Roger, der total durchdrehte und wie ein Pfeil zwischen meinen Beinen herumschoss.
Wenigstens einer freute sich, wenn ich heimkam. Ich klopfte dem Yorkshire Terrier auf den Rücken, während ich meine Schlüssel in die Schale auf der Kommode warf. Roger genoss noch eine Streicheleinheit, ehe er mich mit sehnsuchtsvollen Augen zur Küche drängte, wo seine Leckerlis aufbewahrt wurden.
Ein Fauchen kündigte Saphirs Attacke an, die zu schnell vonstatten ging, als dass Roger sich hätte verteidigen können. Ich verabscheute Carinas mitternachtsschwarze Katze! Sie machte Roger das Leben zur Hölle, wie ihre Söhne es mit mir machten. Dabei war er ein Hund! Was konnte so schlimm an ihm sein? Ich gab ihm eine Extraportion seiner heißgeliebten Drops und kraulte Roger unter seinem Halsband. Danach trottete er hinter mir her zur Treppe und blieb unten unschlüssig stehen, als erwarte er eine Einladung.
Oben im Flur erreichte mich Carinas gellender Ruf. »Tristan!«
Ich atmete tief durch, ehe ich über die Brüstung nach unten sah. »Ja?«
»Ich wollte dich nur daran erinnern, dass wir heute Nacht Gäste erwarten. Also verhalte dich ruhig.«
Was so viel hieß wie: Wage es ja nicht, aus deinem Zimmer zu kommen. Was sollte ich auch zwischen besagten Gästen? Mich zum Gespött machen wie damals als Zehnjähriger, als ich mich nach unten in den zum Zeremoniensaal umgebauten Partykeller geschlichen hatte und bis spät in die Nacht in meiner Haltung eingefroren zum Gespött aller gemacht worden war? Darauf konnte ich verzichten, daher nickte ich.
Aber Carina beachtete mich schon gar nicht mehr und widmete sich Saphir, die an ihren Beinen entlangstreifte, bis sie auf den Arm gehoben wurde. »Komm her, mein Baby.« Sobald sie mit Saphir sprach, begann Carina in einer albernen Babysprache zu gurren. Es war so lächerlich! Sie war die Zirkelmeisterin, eine der mächtigsten Hexen Süddeutschlands, und sprach so mit ihrer Katze. »Geht es dir gut? Hat dich der böse, böse Hund angegriffen? Soll ich ihn bestrafen?« An Saphirs Stelle würde ich mich von ihr fernhalten. Aber die schien es zu genießen, als Babyersatz herhalten zu müssen. Sie wurde nach Strich und Faden verwöhnt und kam immer mit allem durch. Wenn Roger sich für ihre miesen Attacken revanchierte, wurde er bestraft, nicht Saphir. Die beiden waren das tierische Abbild von Chris, Noah und mir.
Da Carina offenbar nichts weiter zu sagen hatte, drückte ich mich von der Brüstung ab und ging den Flur entlang. Mit einem leisen Tapsen auf der Treppe folgte mir Roger und huschte noch vor mir in den letzten Raum rechts, meinem Reich, der düstersten Ecke der Villa. Soweit ich wusste, waren hier damals die menschlichen Helfer untergebracht gewesen, bis die Beeinflussung von Unwissenden durch das Occultatum unmöglich gemacht worden war. In meinem ehemaligen Kinderzimmer standen nun ein Tischkicker und ein Billardtisch, an der Wand hing ein großer Fernseher für die Spielekonsolen, die sich auf dem