Magic Tales - Verhext um Mitternacht. Stefanie Hasse
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Mit einem kurzen Blick zu Alex schlugen meine Instinkte Alarm.
In weniger als zwei Atemzügen hatte ich mich entschieden. »Danke, aber das ist nicht nötig. Alex ist schon dabei, mir alles zu zeigen«, sagte ich schnell, weil ich einfach spürte, dass Alex mir weiterhelfen konnte. Sie war aufmerksam – wenn sie nicht gerade zeichnete – und könnte Details wahrnehmen, die für mich wichtig waren.
»Wenn du meinst«, sagte dann das andere Mädchen, das bislang nur dekorativ neben Patricia gestanden hatte. Sie hakte sich bei dieser unter und zog sie von mir weg. Laut genug, um auch ganz sicher von mir gehört zu werden, zischte sie Patricia zu, dass ich diese Entscheidung sicher bald bereuen würde.
»Warum hast du das getan?«, fragte Alex und sah den beiden hinterher, bis sie wieder beim Sofa angekommen waren und sofort in eine Unterhaltung mit den anderen Mädchen fielen, die prompt alle zu Alex und mir starrten.
»Ich mag sie nicht«, war meine ehrliche Antwort, was Alex wohl unfreiwillig zum Lachen brachte.
»Damit bist du nicht allein, glaub mir. Aber trotzdem haben sie irgendwie das Sagen hier. Und deine Abweisung ist für sie wie eine Kriegserklärung.«
»Das ist etwas übertrieben, oder?« Ich konnte keinerlei Anzeichen von Sarkasmus oder einer Lüge erkennen. Ich sah erneut zu Christoph und Noah. Rund um den Sitzplatz der Gruppe lag eine unsichtbare Grenze. Kein Schüler wagte es, in die private Zone der Gruppe einzudringen, als läge ein Bannzauber um sie.
»Wie wurden sie zu den Königen der Schule?«, fragte ich, ehe ich bemerkte, dass Alex nicht mehr an meiner Seite stand.
Ich hatte Mühe, sie einzuholen und mit ihr mitzuhalten. Den gesamten Weg zur nächsten Stunde ratterte Alex pflichtschuldig Namen von Mitschülern herunter – angefangen bei der Gruppe, die sich um Patricia versammelt hatte. Neben Patricia, die sich mir ja vorgestellt hatte, und Lea Walther, dem Mädchen, das sie begleitet hatte, interessierte ich mich natürlich am meisten für Christoph und Noah Brand. Alex’ Meinung über die beiden schwang so deutlich mit, als hätte sie das ›arrogante Idioten‹ direkt an den Nachnamen gehängt. Sie schob Christophs Beliebtheit auf die Tatsache, dass er Gitarrist und Sänger einer lokal erfolgreichen Band war. Ich bezweifelte, dass er dafür Talent und nicht Magie nutzte. Hexen und Hexer wurden in Sigillenschreiben, Kampf oder Kräuterlehre unterrichtet, nicht in mittels eines kurzen Zaubers erlernbaren Fähigkeiten. Alex erzählte mir auch, dass die Brands seit Generationen in einem uralten Anwesen in dem kleinen Wäldchen am Stadtrand wohnten, aber sich seit ein paar Jahren kaum mehr am Leben in der Stadt beteiligten. Außerdem ging das Gerücht um, dass die Familie eine uralte Fehde gegen die Falks, den Erbauern des Schlosses mit seinem Hexenturm, hegte. Das konnte ich sehr gut nachvollziehen. Letztendlich sind aber alle Nachfahren der Falks früh gestorben, bis der gesamte Besitz an die Stadt zurückfiel. Die frühen Tode waren sicher ebenfalls kein Zufall, fanden vermutlich noch vor der Erfindung des Occultatums statt. Denn seither war es Hexen und Hexern nicht mehr möglich, unwissende Menschen zu verfluchen.
Alex wusste wirklich jede Menge über die Familie, was mir einen Einblick vermittelte, wie die Menschen über die Hexenfamilie dachten. Insgesamt jedoch deckte sich mein erster Eindruck von den beiden Jungs aber mit ihrem, was mir Alex gleich noch etwas sympathischer machte. Ich konnte mir vorstellen, wie sehr sie versuchen würden, Eindruck zu hinterlassen, wenn sie gewusst hätten, dass ich eine Hexe war. Ich kannte diese Art Junghexer. Gloria hatte ständig welche im Schlepptau und ließ mich mit ihren Berichten alles hautnah miterleben. Dennoch versuchte ich unauffällig, noch mehr über die Geschwister zu erfahren.
Natürlich hatte Alex mehr als Stadtgeschichte zu berichten und gab mir bereitwillig Auskunft: »Ihre Mutter Carina hat einen stinkreichen Amerikaner geheiratet. Selbst nach dem Tod ihres Stiefvaters verbringen Chris – Christoph – und Noah die Ferien oft in den Staaten oder bei Freunden in Frankreich.« Sie klang nicht gerade enttäuscht darüber. Ich nickte bloß, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich all das bereits wusste. In den Akten stand, dass sie oft nach Lyon reisten. Carina Brand pflegte seit ihrer frühen Jugend eine enge Freundschaft mit der dortigen Zirkelmeisterin Heloise Morèl.
Kurz vor dem Physikraum standen das Mädchen mit den Regenbogenhaaren und der Blonde mit den blauen Augen aus dem Matheunterricht an die Wand gelehnt, direkt unter unzähligen Postern, die für eine Aufführung der Theater-AG an der Schule warben. Ausgerechnet Wicked! Na ja. Ich konzentrierte mich auf das, was Alex über die beiden zu berichten hatte – und wie sie es sagte.
»Das sind Mara Rothschild und Tristan Atwood.«
Obwohl sie nicht laut sprach, sah Tristan zu uns, als hätte sie seinen Namen durch die gesamte Schule gebrüllt. Hitze schoss in meine Wangen. Dicht gefolgt von einem panischen Schaudern, als ich den Nachnamen erfasste.
Das … Das war unmöglich!
Von einer zur nächsten Sekunde schienen sich meine Pläne für den Aufenthalt in Deutschland in Luft aufzulösen und ich war kurz davor, das Armband mit dem Hämatit vom Handgelenk zu reißen und via Sigillenfährte zu verschwinden.
»Atwood?«, fragte ich mit einem peinlichen Krächzen in der Stimme. Wie bei allen Dunkelhexen konnte dem Rat so etwas entgehen?
Ich sah die Zeitungsberichte aus den Akten wieder direkt vor mir. Jede Hexe – ganz gleich wie alt sie war oder wie zurückgezogen sie lebte – kannte den Namen Atwood.
Liam Atwood war der mächtigste Hexer überhaupt gewesen. Bis der Rat herausgefunden hatte, woher er seine Magie bezog. Vor acht Jahren war er der Anwendung von Blutmagie überführt und nach einem kurzen Tribunal der Dunkelhexerei für schuldig erklärt und hingerichtet worden. Allein sein Name sorgte für ein Erschaudern bei den Junghexen, wann immer man ihnen die Geschichte am abendlichen Hexenfeuer der Zirkeltreffen erzählte – nicht ohne die Moral der Geschichte offensichtlich zu benennen: Machtgier führt zum Tod. Gänsehaut überzog meine Arme, die gebannte Magie drängte gegen die Fessel des Hämatits.
Alex bekam von meinem inneren Aufruhr nichts mit und nickte nur. »Atwood, genau. Er hat den Namen seines Vaters behalten. Er ist Chris’ und Noahs Stiefbruder.«
~6~
TRISTAN
Wie lange es wohl dauert, bis die neue Austauschschülerin auf Patricia und deine Brüder reinfällt?«, wollte Mara in der Mittagspause wissen. Sie klopfte nervös mit dem Bleistift auf den Block, der auf ihren Oberschenkeln ruhte. Damit übertönte sie den prasselnden Regen auf dem Metalldach des vermoosten alten Holzpavillons am Ende des Schulgeländes, den wir immer besuchten. Für immer konnten wir uns hier nicht verstecken, aber zumindest war es möglich, ohne hämische Sprüche oder magische Attacken die Hausaufgaben zu erledigen und den Stoff für den Test durchzugehen, den wir in den nächsten Tagen schreiben würden.
»Bist du schon fertig? Tanja wäre sicher erfreut, endlich mal …«
»Natürlich würde Mama sich über vorbildliches, streberhaftes Verhalten freuen, aber sie wird es überleben, wenn ich auch den nächsten Mathetest verhaue«, erwiderte Mara mit einem breiten Grinsen. »Und sie fände die Neue sicher ebenso interessant.« Anstatt