Magic Tales - Verhext um Mitternacht. Stefanie Hasse
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Mittlerweile war das Klassenzimmer bis auf Herrn Reeder, der in seine Lektüre versunken auf die nächste Klasse wartete, und das Mädchen neben mir verwaist. Letztere war noch immer vollkommen in ihre Zeichnung vertieft, ihre dunkelblonden, fast schon braunen, gewellten Haare hingen wie ein Vorhang zwischen uns und sie summte kaum hörbar und in völlig dissonanten Tönen irgendein Lied, das ich nicht erkannte. Ihr musikalisches Talent war im Vergleich zu ihrem zeichnerischen praktisch nicht vorhanden. Ich packte meine Sachen extra laut ein, schob meinen Stuhl schabend über den Boden, doch sie zuckte nicht einmal, während Herr Reeder aufsah. Unschlüssig, ob ich sie einfach sitzen lassen sollte, zählte ich zehn Atemzüge zur Beruhigung. Dann stupste ich sie an der Schulter.
Sie erschrak so sehr, dass ein dicker Bleistiftstrich ihr Kunstwerk spaltete, ehe sie empört aufsprang. Mein Rucksack, den ich auf den Tisch gestellt hatte, geriet gefährlich ins Wanken und ich hielt ihn fest.
»Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass die Stunde zu Ende ist«, sagte ich und streckte ganz langsam eine Handfläche nach vorne.
Das Mädchen sah sich um und ihre graugrünen Augen wurden groß. Dann richtete sie ihren Blick wieder auf mich und wirkte nun ebenso unentschieden wie ich zuvor.
»Danke«, murmelte sie dann und sammelte hastig ihre Unterlagen zusammen und steckte sie in die Tasche. In Sachen Kommunikation waren wir beide offensichtlich echte Asse. Ich gab mir einen Ruck und wollte mich eben vorstellen, da platzte das Mädchen nur für mich hörbar heraus: »Wenn Herr Reeder monologisiert, kann ich am besten zeichnen. Er ist meine persönliche Muse.«
Bei der Vorstellung des grauhaarigen Herrn Reeder als Muse musste ich einfach lachen. Meine Nervosität verschwand und mein Lachen fühlte sich so ungewohnt und sogleich befreiend an und so echt, dass mein Gegenüber ebenfalls schüchtern grinste.
»Ich bin Ela«, stellte ich mich noch einmal vor, obwohl Herr Reeder am Anfang der Stunde meinen Namen genannt hatte. Ich schob meine Tasche weiter zur Tischmitte und streckte ihr meine Hand entgegen.
»Ich bin Alex. Und nochmals danke fürs Aufwecken.« Alex nahm meine Hand zögernd entgegen, drückte sie dann ganz leicht.
»Jederzeit. Aber wäre es nicht einfacher, wenn du seine Stimme aufnimmst und zu Hause zeichnest?«
Alex zuckte nur mit den Schultern. »Ich kann das alles.« Sie wedelte mit der Rechten, die noch immer den Bleistift hielt, in Richtung Tafel.
»Wirklich?« Ich konnte nicht anders, als unauffällig auf ihren Unterarm zu linsen, ob sie eine Sigille trug, während sie ihre restlichen Sachen einpackte. Der süddeutsche Zirkel war recht groß. Früher, vor der Hexenverfolgung, musste es in der Gegend vor Magie geprickelt haben. Auch wenn etliche Hexen getötet worden waren, gab es noch einige Familien von hier bis zum Bodensee. Aber Alex war keine von uns. Sie nahm ihren Rucksack am Tragegriff und sah mich schon beinahe gelangweilt an, ehe sie tief Luft holte und die Worte aus ihrem Mund polterten wie auswendig gelernt.
»Du bist, soweit ich weiß, im zweiwöchigen Austauschprogramm, daher machen wir es kurz und knapp: Ich bin diejenige, von der sich alle fernhalten, weil sie immer alles besser weiß und jeden korrigiert. Also schön, dich kennengelernt zu haben.« Sie wirbelte so schnell herum, dass mir ihre Haare ins Gesicht peitschten. Apfelduft umfing mich. Sie war es, die ich im Flur gerochen hatte! Das war ein Zeichen und als Hexe nahm ich so etwas sehr ernst.
»Und warum rennst du dann jetzt weg?«, rief ich ihr hinterher. Alex war schon beinahe bei der Tür angekommen, während ich noch meinen Rucksack schulterte. Ihre dunklen Brauen bildeten beinahe eine nahtlose Linie, als sie sich zu mir umwandte.
»Sieh dich an! Du wirst schon ganz schnell die angesagte Clique hier kennenlernen. Die Hyänen warten draußen sicher schon auf ein neues Rudelmitglied.«
Mein Unverständnis musste sich in meinem Gesicht widerspiegeln, dennoch reagierte Alex nicht und ging durch die Tür in den Flur. Ich folgte ihr die Spinde entlang, froh über ihren Apfelgeruch, der mich selbst blind durch die teils scheußlichen Gerüche hier hätte leiten können. Für die nachfolgenden Tage würde ich mir etwas überlegen müssen. Meine Nase war offensichtlich immer noch zu empfindlich, auch wenn der Hämatit die Magie unterdrückte.
»Du weißt es wirklich nicht, oder?«, fragte sie nach einem kurzen Seitenblick und ich schüttelte langsam den Kopf. Sie schlängelte sich weiter zwischen Schülergruppen hindurch, die überall herumstanden. Das war eindeutig unhöflich und ich war drauf und dran, ihr das auch zu sagen – wenn sie nicht immer davongerannt wäre! Ich sah, wie sich ihr Brustkorb dehnte, als sie tief Luft holte und sich halb zur Seite drehte. Ich hatte weiterhin Mühe, mit ihr Schritt zu halten, was sie nicht im Geringsten veranlasste, langsamer zu werden. »Hör mir mal zu. Welche Schule du auch sonst immer besuchst …«
»Ich werde zu Hause unterrichtet«, unterbrach ich sie schnell. Sofort weiteten sich ihre Augen für einen Moment und ihre Schritte gerieten aus dem Takt, weshalb wir endlich etwas langsamer gingen. Ich war interessant für sie. Das war doch ein Anfang.
»Dann verkürzen wir das ganze Drama doch einfach und ich gebe dir einen kurzen Crashkurs in Sachen deutsches Schulsystem.« Sie blieb stehen und stellte sich mir direkt gegenüber auf. »Mit Strebern wie mir will keiner etwas zu tun haben. Es sei denn, jemand will meine Notizen oder Hausaufgaben. Und Menschen wie ich gehören niemals zu dieser einen Clique, die sich für besser hält als die anderen, deren Mitglieder hübscher sind, sich teure Kleider leisten und an Ausflügen teilnehmen können, ohne den Förderverein anzuschreiben …« Alex schluckte, was mir Zeit gab, sie zu unterbrechen.
»Aber was hat das mit mir zu tun?«
Sie fasste sich schnell wieder und sagte völlig emotionslos: »Du siehst aus wie eine von ihnen.« Dabei deutete sie mit der Hand den Flur entlang auf eine Gruppe lachender Schüler, die sich im Atrium rund um ein großes blaues Sofa versammelt hatten, das vor dem Schullogo mit den Silhouetten verschiedener Märchenfiguren stand. Die beiden Jungs erkannte ich sofort. Noah Brand sah aus wie eine weichgezeichnete Version von Christoph. So ähnlich sahen Gloria und ich uns nicht. Noah besaß noch einen Hauch kindlicher Züge, seine Haltung jedoch strahlte ungebändigtes Selbstbewusstsein aus.
Bei den Brüdern standen mehrere Mädchen, die, wenn man die aus menschlichen Zeitschriften bekannten Schönheitsideale zum Maßstab nahm, wohl gutaussehend waren.
»Ist es schlimm, wie eine von ihnen auszusehen?« Ich sah zurück zu Alex, die offenbar einen Moment länger über meine Frage nachdenken musste.
»Nein, ich denke nicht.« Es klang, als wäre sie nicht sehr überzeugt davon. Am Ende schwang deutlich ein Fragezeichen mit. Sie wollte noch etwas sagen, da lösten sich zwei der Mädchen aus der Gruppe und kamen auf uns zu. Alex wollte schon gehen, doch ich flüsterte ein »Bleib, bitte!«.
Unschlüssig sah sie von mir zu den Mädchen, schien jedoch neugierig genug, um abzuwarten, was passieren würde. Dennoch trat sie einen Schritt zur Seite, wie um den Ankömmlingen Platz zu machen.
»Du musst Ela sein. Willkommen am Grimm-Gymnasium«, sagte die eine mit honigsüßer Stimme, die für ein klebriges Gefühl in meinem Mund sorgte, während sie ihre blonden Locken über die Schulter warf. »Ich bin Patricia Gass, die Schülersprecherin. Rektorin Abt hat mich gebeten, dir alles zu zeigen.«
Ihre vermeintliche Freundlichkeit passte nicht zu dem abfälligen Blick, mit dem sie nun Alex bedachte.
Das Angebot war die perfekte Gelegenheit, mich der Gruppe Menschen anzuschließen, die