Magic Tales - Verhext um Mitternacht. Stefanie Hasse
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Ich presste Zähne und Lippen fest aufeinander und wappnete mich für den Schmerz.
»Deine Magie wirkt nicht nur, wenn du sie aufrufst«, Abelarda nahm das Armband vorsichtig auf, um ja nicht den eingeflochtenen Hämatit zu berühren. »Du wirst dich anders fühlen, anders riechen und schmecken. Deine Instinkte könnten dich täuschen. Du wirst keine Magie wirken können, sie jedoch sehen.«
Die weitere Erklärung hing zwischen uns in der Luft. Wer die Magie sehen konnte, konnte auch verhext werden. Der Hämatit machte mich zu einer Wissenden wie die in die Welt der Hexen eingeführten Menschen. Mit meiner Mission würde ich dafür sorgen, dass man sie auch weiterhin einweihen musste, dass das Occultatum erneuert werden konnte und nicht alle Menschen wie früher das Leuchten der Magie sehen konnten und Jagd auf uns machten.
Ich holte tief Luft durch die Nase, roch den Lavendel, den Abelarda in ihrem Zimmer hängen hatte, ließ den Geschmack des Limonentees von ihrem Frühstück auf meiner Zunge zergehen, genoss noch ein letztes Mal die honiggleiche Süße, nach der ihre Fürsorge schmeckte.
Ein kaum hörbares Zischen brannte all die Gerüche weg. Ein Brennen setzte ein. Mein Herz begann zu rasen und alles geriet durcheinander. Meine Angst schmeckte plötzlich nach Karamell. Ich wollte meinen Arm zurückreißen, doch Abelarda hielt ihn fest und schloss mittels Magie den Verschluss des Armbands, während ihr Daumen beruhigend über meinen Handrücken fuhr.
Meine Hand wurde weiß wie der Tisch, auf dem sie lag. Ich sah zu, wie die sternenbildgleichen schwarzen Linien meiner Sigille aufleuchteten, als wirkte ich einen Zauber, ehe ihr Licht zusammen mit meinem Zeichen in den Stein gesogen wurde. Ich wollte aufschreien, doch es kam nur ein Stöhnen über meine Lippen. Der Schmerz der Verbrennung ließ nach und ich blinzelte die Tränen weg. Eine davon rollte über meine Wange. Schnell fuhr ich mit dem Handrücken darüber.
Die Welt wirkte verschwommen, weniger farbig und kontrastreich. Unsere Küche glänzte nicht wie zuvor, meine Nase nahm kaum mehr Abelardas vertrauten Lavendelduft wahr.
Ich hob die Hand und dachte an einen einfachen Zauber. Doch egal, wie stark ich mich konzentrierte und wie sehr ich den offenen Fensterflügel fixierte – er rührte sich nicht.
»Geht es dir gut?«, fragte Abelarda.
Weil ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich nur und schluckte vergeblich gegen den Kloß in meiner Kehle an, rutschte den Stuhl nach hinten und ging zum ersten Mal seit langer Zeit ohne von Magie verstärkte Sinne die langen Flure der Villa Mescinia entlang zu meinem Zimmer und spürte dabei die Hilflosigkeit all jener Hexen längst vergangener Jahrhunderte, die von Menschen enttarnt und mithilfe eines Hämatits gebändigt und getötet worden waren. Etwas, was nie wieder geschehen sollte. Nie wieder geschehen durfte.
~4~
TRISTAN
Der blauschimmernde Lufthauch streifte mich noch vor der eigentlichen Magie und ich stolperte aus dem Bus, geriet ins Taumeln und suchte vergeblich nach meinem Gleichgewicht. Im letzten Moment fand meine Hand Halt an der taufeuchten Wand des Wartehäuschens. Darauf klebte das inzwischen verblichene und verunstaltete alte Plakat zum 150. Jubiläum der Stadterhebung. Der Turm von Schloss Falk war gerade noch zu erkennen. Wie gerne würde ich ihn manchmal nutzen – in Situationen wie eben.
Der Westturm gehörte zur Silhouette von Falkhausen. Nur ahnte heute keiner mehr, dass in jenem Turm damals echte Hexen untergebracht waren.
Zwei Jungs aus meinem Bus gingen kopfschüttelnd an mir vorbei und ließen sich über meine Tollpatschigkeit aus. »Und so jemand unterrichtet im Gemeindezentrum Selbstverteidigung. Mein Cousin Max schwärmt ständig von ihm.«
»Vielleicht solltest du ihm mal erzählen, dass sein Idol zwei linke Füße hat.«
Es tat weh.
Nicht die Lästerei, sondern der Gedanke, dass der Typ Max von meiner Stolperei erzählen könnte. Wie gerne hätte ich ihm an den Kopf geworfen, dass er keine Ahnung hatte, weder er noch der Kerl an seiner Seite oder all die anderen, die gerade wie bunte Wellen aus den Bussen quollen und auf die Schule zustrebten. Schwatzend, miteinander scherzend, lachend. Oder ruhig und in sich gekehrt wie Alex, die gerade gedankenversunken an mir vorbeizog und mich nicht beachtete. Ich folgte ihr, achtete auf jeden Luftzug. Schrak beim Zischen der sich schließenden Bustüren zusammen und ignorierte die Blicke von Chris und Noah, die vor der Bäckerei standen und mich beobachteten.
Die Sonne wärmte meinen Rücken, während ich zusah, wie die letzten Busse abfuhren, die Wogen an Schülern versiegten. Ich stand noch immer vor dem Schulgebäude und wartete. Der Platz leerte sich zunehmend.
Kurz vor dem ersten Klingeln kam Mara endlich den Weg vom Parkplatz entlanggerannt, sodass ihr in allen Regenbogenfarben leuchtender Pferdeschwanz auf und ab hüpfte.
»Wann schaffst du es endlich, deinen Wecker früher zu stellen?«, rief ich und ging ihr entgegen. Im Schatten der Bäume war es noch empfindlich kalt, obwohl es schon Mitte April war, und ich rieb mir fröstelnd die Gänsehaut von den Armen.
Mara holte keuchend Atem, grinste mich dann nur an und schob ihre Brille den Nasenrücken hoch. »Er ist früher gestellt. Aber ich schwöre dir: Meine innere Uhr weigert sich, auf den Wecker zu hören. Es ist wie verhext!«
»Hexerei sieht anders aus, glaub mir.«
Leuchtende Sigillen, bläulichweiße Wellen. Oder bronzene Brunnenfiguren, die davonrennen wie kleine Kinder. Ich wurde die Bilder der vorletzten Nacht nicht los.
»Vielleicht solltest du abends einfach mal eine Folge weniger auf Netflix schauen und früher schlafen gehen«, sagte ich und schob sie in Richtung Haupteingang. »Sonst werden deine Augenringe bald den Rest deines Gesichts erobern.«
Mara streckte mir die Zunge raus, als ich ihr die Tür aufhielt. Ihre grünen Augen funkelten dabei amüsiert, sodass ich nicht auf die Umgebung achtete und wir beinahe in Noah hineinliefen.
»Wo kommt ihr so plötzlich her?« Mara wandte sich zu den beiden um und kniff die Augen zusammen. Statt zu antworten, grinste Noah nur. In seinen Augen funkelte etwas, das mir Sorgen bereitete, und ich zog Mara schnell von der Tür weg in den langen Flur des Altbaus der Schule hinein.
»Was können wir dafür, dass du so blind bist?«, rief Chris uns hinterher. »Vielleicht solltest du über eine stärkere Brille nachdenken?«
Natürlich konnte ich kaum verhindern, dass Mara auf die Herausforderung reagierte und sich zu Chris umdrehte. Er fuhr sich gerade durch die Haare. Dabei spannten sich Brustmuskulatur und Bizeps unter dem hautengen Shirt übernatürlich stark an. Am liebsten hätte ich über seine Eitelkeit gelacht, aber trotz meines täglichen Trainings war ich ihm nicht gewachsen. Magie schlug Jiu-Jitsu. Das war eine Tatsache, weshalb ich nur einen Gedanken hatte: Mara sollte besser keinen Hexer provozieren.
Diese war weder beeindruckt von Chris’ Muskulatur noch von seiner herbeigehexten überteuerten Designerkleidung, den perfekt gestylten dunklen Haaren, die er ohne Magie nie so perfekt verstrubbelt hinbekommen würde, oder seiner schneidenden Stimme. Sie straffte ihre Schultern und setzte zu einer Erwiderung an. Jeder einzelne Nerv, jeder Muskel meines Körpers war angespannt, auch wenn ich wusste, dass ich den beiden rein gar nichts entgegenzusetzen