Standgericht. Franz Taut

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Standgericht - Franz Taut Zeitzeugen

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style="font-size:15px;">      »So seien Sie doch vernünftig … lassen Sie die Leute aussteigen«, versuchte Klingler zu vermitteln. »Was sind das überhaupt für Leute?«

      »Ich habe meine Befehle!«, schrie Wenzel.

      »Befehle oder nicht – Sie verstopfen die Straße!«, brüllte der Feldgendarm zurück, und Klingler sagte: »Reg dich ab! Machen wir die Kiste einfach auf!«

      »Bin ja neugierig, was da drin ist«, sagte ein Unteroffizier. Die Gruppe um Wenzel löste sich auf, alle gingen zum Autobus, und der Unteroffizier begann an der Klinke zu rütteln. Klingler stand daneben und plötzlich war es ihm, als höre er ein Geräusch, das nicht hierhergehörte, doch ja … es war ein alltägliches, immer wieder erlebtes, gefürchtetes, verhasstes, todbringendes Geräusch: Jabos flogen mit gedrosselten Motoren an!

      Er wusste es, bevor er sie sah. Und während er vom Autobus weglief, über den Straßengraben sprang und ins Feld lief, um möglichst weit von der Kreuzung zu sein, wenn sie ihre Bomben warfen und mit den Bordwaffen zu schießen begannen, schrie eine Stimme: »Volle Deckung! Jabos!«

      Klingler warf sich hin, und das leise Brummen der Motoren und das Rauschen des Windes um die Tragflächen der Flugzeuge wurde zu einem heulenden Gebrüll.

      Die Kreuzung war wie leergefegt. Aus dem Autobus aber kam jetzt das Geschrei vieler Menschenstimmen, und es war lauter als das Motorengeräusch der anfliegenden Flugzeuge.

      Klingler hörte es und presste sein Gesicht in die Erde … er wollte nichts mehr sehen.

      Dann fielen die Bomben. Klingler fühlte sich vom Luftdruck emporgehoben, dann presste es ihn gegen den Boden, Erdbrocken trommelten auf seinen Rücken, und in seinen Ohren begann es zu singen. Das war knapp!

      Er sah auf. Mitten auf der Kreuzung stand immer noch der Autobus, und aus seinem Innern drang das panische, angstvolle Geschrei menschlicher Stimmen. Einschüsse in den Seitenwänden und in den vergitterten und vernagelten Fenstern. Gleich mussten die Jabos zum zweiten Mal anfliegen. Der Autobus und die ineinander verkeilten Fahrzeuge standen schließlich wie auf einem Präsentierteller da für Bordwaffenbeschuss.

      Klinger drehte sich auf den Rücken. Der Himmel war leer. Waren die Jabos wirklich weg?

      Er stand auf, und langsam kamen auch die anderen aus der Deckung.

      »Macht endlich die Kreuzung frei!«, schrie einer.

      »Holt ’n Panzerspähwagen, der kann ihn rausziehen!«, rief ein anderer.

      Klingler lief zu seinem Krad, stieg auf, gab Gas. Hier hatte er nichts mehr zu suchen.

      Zwanzig Minuten später war er in Aachen.

      Langsam fuhr er durch den erstickenden Staub und Qualm, der über der Stadt lag. Der Dom schien unversehrt, aber sonst war Aachen ein Trümmerhaufen.

      Klingler versuchte es durch eine Seitenstraße. Dort stand ein ausgebrannter Straßenbahnwagen und daneben lagen zwei halbverkohlte Leichen. Und erst jetzt registrierte er den süßlichen Leichengeruch, der ihn die ganze Zeit über begleitet hatte und der mit der Staubund Dunstglocke über der Stadt lag. Weiß Gott, wie viele Menschen unter diesen Trümmern lagen …

      Und immer neue Sperren und Umleitungen. In einer breiten Straße, die einigermaßen verschont geblieben war, drängten sich Frauen und Kinder mit Koffern, Taschen und Bündeln. SA-Männer mit nagelneuen Karabinern standen herum und taten wichtig. Weiter unten stand ein Major des Heeres hoch aufgerichtet in seinem Kübelwagen und hielt eine Ansprache an die Zivilisten.

      Welche schrecklichen Veränderungen waren mit Deutschland vor sich gegangen? Das war keine »Heimat« mehr, das konnte nicht die Welt sein, nach der sich Klingler wie alle seine Kameraden gesehnt hatte: Frieden, Ruhe, zärtliche Frauenhände, weichklingendes Mädchenlachen … Die Frauen trugen farblose Kopftücher, ihre Gesichter waren grau und verbittert, grau waren ihre Kleider … eine graue, freudlose Welt in Aufruhr und Angst.

      So schnell wie möglich wollte er aus dieser aus den Fugen geratenen Welt zurück zu den Seinen. Die Seinen: Das war seine Einheit. Die gepeinigte Stadt blieb zurück. Klingler atmete auf.

      Am Beginn einer Senke musste er scharf abstoppen. Mit dem Rücken zu ihm versperrte eine dicht gestaute Menschenmenge die Straße. Klingler hupte laut und anhaltend. Niemand beachtete ihn. Wütend stieg er ab und ging hin. Es waren Zivilisten, fast nur Frauen in abgetragenen Jacken, und sie alle starrten auf eine Szene auf der Straße vor ihnen, die Klingler nicht sogleich sehen konnte. Und alle waren sie seltsam still.

      Dann sah er, was dort vorne geschah. Drei Männer – wahrscheinlich waren es Bauern – schleiften einen Fallschirm über die Straße. An den Fallschirmseilen hing ein Mann in olivfarbener Fliegerkombination: ein amerikanischer Pilot. Er wehrte sich nicht. Widerstandslos, einer leblosen Puppe gleich, hing er in den Gurten, und nur den Kopf hatte er gehoben, um ihn vor dem Straßenschotter zu schützen.

      Klingler schob sich durch die Menge, die ihm nur widerwillig Platz machte.

      »Na, endlich!«, sagte eine hohe, scharfe Männerstimme. Von der Seite her, wo er bis jetzt still gewartet hatte, trat ein untersetzter Mann in der gelbbraunen Uniform eines politischen Leiters der Partei zu dem hilflos daliegenden amerikanischen Flieger.

      »Steh auf!«

      Der Amerikaner rührte sich nicht. Er starrte an dem breitbeinig vor ihm stehenden Parteiführer vorbei. Seine Augen waren leer, ausdruckslos, als hätten der Schmerz und die Furcht jegliches Leben aus ihnen verbannt. Aus einer tiefen Risswunde an seiner Stirn sickerte langsam Blut die Schläfe hinab. Sein linker Arm war gebrochen, seine Uniform zerrissen.

      »Steh auf, du Schwein!«

      Die Männer stellten den Piloten auf die Beine. Klingler sah, wie der Amerikaner die Lippen zusammenpresste, als wollte er einen Schmerzensschrei unterdrücken. Vorsichtig griff er nach seinem linken, leblos herabbaumelnden Arm, hob ihn und presste ihn mit der gesunden Hand an die Brust. Das Blut aus seiner Stirnwunde lief jetzt über die Augenbraue, verklebte das Auge, tropfte vom Kinn auf die Uniform.

      »Haltet ihn fest!«, befahl der politische Leiter den drei Männern und wandte sich dann der Menge zu. Erst jetzt konnte Klingler sein Gesicht sehen: breit, fett, verkniffene Augen. Seine Mundwinkel und das Kinn zitterten vor verhaltener Erregung, und als er sprach, zitterte auch seine Stimme. Er, ein Hoheitsträger der Partei, schrie er, fordere gemeinsam mit dem Reichsminister Dr. Goebbels alle Anwesenden auf, den Mörder in Uniform, den amerikanischen Gangster, der unzählige wehrlose Frauen und Kinder auf dem Gewissen habe, diesen Terrorflieger … Er verhaspelte sich, schluckte und sagte schließlich: »Zu richten!«

      Und dann, nach einer kurzen, atemlosen Pause fügte er schrill und hysterisch hinzu: »Totschlagen! Schlagt ihn tot!«

      Klingler sah das Grauen in den Augen des Amerikaners, er starrte auf die Wunde auf seiner Stirn und sah plötzlich eine andere Wunde an der gleichen Stelle: Leuchtend rotes Blut, so rot wie dieses hier, lief über die schwarze Haut des amerikanischen Postens, den er bei seiner Flucht niedergeschlagen hatte. Und er wusste jetzt, was er zu tun hatte.

      »Einen Augenblick!«

      Klingler rief es laut, bestimmt, schob zwei, drei Frauen, die vor ihm standen, rücksichtslos beiseite und ging schnell auf den Parteiführer und den Amerikaner zu.

      »Hände weg!«

      »Wer

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