Standgericht. Franz Taut

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Standgericht - Franz Taut Zeitzeugen

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      »Er ist ein Kriegsgefangener. Hände weg!«

      Klingler senkte den Lauf seiner Maschinenpistole, lud durch, legte die Handfläche um den Kolben. Die drei Männer ließen den Amerikaner zögernd frei. Er sank langsam zu Boden und blieb dort sitzen, wobei er mit der gesunden Hand vorsichtig den gebrochenen Arm hielt.

      »Weg von ihm!«

      Die Männer wichen vor Klinglers Maschinenpistole und vor seinem entschlossenen Gesicht zur Seite und mischten sich unter die anderen. Aus der Menge hinter Klingler kam drohendes Gemurmel, und eine hohe Frauenstimme keifte: »Mörderfreund!«

      Klingler drehte sich langsam um. Er sah in bleiche Gesichter, die Augen drohend und voller Hass. Die Menge schob sich langsam näher. Und dazu die schrille Stimme des politischen Leiters, die zeterte: »Volksgenossen – sollen wir uns das bieten lassen?«

      Klingler wurde plötzlich sehr ruhig. Das war die Ruhe, die ihn im Gefecht manchmal überkam, und in der an die Stelle der Furcht Leere traten und Kälte. Er fühlte mehr, als dass er sah, dass der politische Leiter seine Pistolentasche aufnestelte. Blitzschnell trat er einen Schritt näher zu ihm, ließ den Kolben der Maschinenpistole los und schlug ihm mit dem Handrücken in sein feistes Gesicht.

      Er wusste genau, dass ihn das vors Kriegsgericht bringen konnte, aber genau so klar wusste er, dass er diese aufgepeitschte Menge allein durch die Drohung mit der Maschinenpistole nicht würde zurückhalten können. Es blieb ihm jetzt nur eines übrig: die Macht des Einpeitschers zu brechen.

      Der Braune ließ die Pistolentasche los, taumelte zurück und bedeckte sein Gesicht mit der Hand.

      Es wurde totenstill.

      »Ich habe gesagt, Hände weg. Sonst schieße ich!«

      Klingler hatte nicht laut gesprochen, aber seine Worte schnitten rasiermesserscharf in die Stille, und seiner Stimme war anzumerken, dass er es ernst meinte. Der Amerikaner sah ihn mit großen, erstaunten, ungläubigen Augen an.

      »Weg von hier! Alle!« Klingler sagte es mit der gleichen leisen und dennoch überall vernehmbaren Stimme. Und dann brüllte er den Parteibonzen im Kommandoton an: »Sie zuerst. Los, abhauen!«

      Der Goldfasan duckte sich wie unter einem neuen Schlag. Auf seinem bleichen, breiten Gesicht standen dicke Schweißtropfen. Unsicher blickte er zuerst auf-Klingler, dann auf die Maschinenpistole, drehte sich um, ging einige Schritte auf seinen Wagen zu, blieb stehen und sagte zurück über die Schulter: »Wir sprechen uns noch. Verlassen Sie sich drauf! Ich bin Gauamtsleiter Beutler. Merken Sie sich den Namen. Ich werde Sie finden, ich werde …«

      »Hau ab!«, knurrte Klingler verdrossen, und dann zu der Menge: »Und ihr auch!«

      »Zigarette?«, fragte er etwas später den Amerikaner, während der Mercedes des politischen Leiters in einer Staubfahne davonrollte und die anderen sich langsam in Bewegung setzten.

      Der Amerikaner nickte. Über sein schmutziges, blutverkrustetes Gesicht liefen Tränen. Klingler konnte es nicht mitansehen. Ungeschickt suchte er in der Tasche nach einer Packung Zigaretten, machte sie auf, zündete eine Zigarette an und schob sie dem Amerikaner zwischen die Lippen. Dann auch eine Zigarette für sich selbst. Während sie rauchten, wurden sie ruhiger.

      »Das war aber knapp!«, sagte Klingler.

      Der Amerikaner nickte, obwohl er Klingler nicht verstanden hatte. Und dann sah Klingler, wie sich über sein Gesicht ein Lächeln ausbreitete, bis es langsam die immer noch entsetzten Augen erreichte.

      »Thanks!«, sagte er, nur das, und Klingler lächelte zurück. Kurze Zeit darauf übergab er den Amerikaner zwei Landesschützen, die auf dem Weg nach Aachen waren. Beide waren über sechzig, trugen schwer an ihren langen französischen Gewehren, und beide sahen mit großem Respekt zu dem Feldwebel auf.

      »Passt gut auf! Da treiben sich Leute herum, die ihm an die Pelle wollen.« Er sah in die Richtung, in der die Meute abgezogen war. Zwei, drei standen noch vorn am Waldrand und blickten zurück. »Wenn’s nicht anders geht, dann schießt. Bringt ihn zum …«

      »Ich weiß Bescheid, Herr Feldwebel«, sagte der eine der beiden Schützen. »Da gibt’s so ein Lager in einer Kaserne. Da sitzen haufenweise Gefangene ’rum.«

      »Ihr seid mir für ihn verantwortlich, verstanden?«

      »Jawohl, Herr Feldwebel.«

      Bevor Klingler weiterfuhr, nickte er dem Amerikaner beruhigend zu, als wollte er sagen: Keine Angst, jetzt passiert dir nichts mehr. Der Amerikaner winkte zurück, und seine Zähne leuchteten weiß auf in einem breiten, dankbaren Lächeln.

      »’ne Menge Glück gehabt«, sagte der eine Landesschütze zu dem Amerikaner, der humpelnd zwischen ihnen ging. »Wäre der Feldwebel nicht gekommen …«

      »Wir haben es von Weitem gesehen«, sagte der andere. »Junge, Junge, sind die Leute verrückt heutzutage.«

      Und der Erste wieder: »Ich heiße Fritz, verstehst du? Und der da heißt Franz. Und – wie heißt du?«

      Der Amerikaner zuckte fragend die Schultern.

      »Wie du heißt, habe ich gefragt, Name, verstehen?«

      »Oh, I am Chris, you know? Christoph Weng.«

      »Was hat er gesagt?«, fragte der andere.

      »Er heißt Christoph Weng«, sagte er.

      »Das hört sich richtig deutsch an.«

      Die alten Männer lachten dem Amerikaner zu, und alle drei verstanden sich gut.

      Die Straße führte ein Stück geradeaus und bog dann scharf rechts ab um eine Waldzunge. Sie gingen im Gleichschritt, der Amerikaner hinkte, und die Schritte seiner Schnürstiefel mit den Gummisohlen waren kaum zu hören neben dem harten, knirschenden Schritt der beiden Landesschützen.

      »Hör mal«, sagte der eine nach einer Weile, »hast du eine Zigarette? Ihr habt ja immer ’ne Menge davon.«

      »Yeah?«

      »Zigarette. Verstehst du? Rauchen!« Mit der Hand machte er eine verdeutlichende Geste.

      »No.« Der Amerikaner schüttelte bedauernd den Kopf. »The people … you know?« Er machte mit der gesunden Hand die Gebärde des Stehlens.

      »Er sagt, die Leute hätten ihm alles weggenommen.«

      »Ist eine verdammte Schweinerei«, sagte der andere. »Er tut ja auch bloß , was ihm befohlen wird.«

      »Barras ist Barras«, sagte der Erste. »Hier oder dort. Befehl ist Befehl. Stimmt’s? Ich war im ersten Krieg, Verdun, verstehst du?«

      »Ah – you Verdun?«

      »Der versteht alles«, sagte der Zweite. »Hat ja auch einen deutschen Namen.«

      »Verdun, Somme … na und so weiter«, sagte der Erste. »Aber da gab’s so was nicht. Ein Gefangener war ein Gefangener. Ein Mensch, verstehst du? Ich kann mich erinnern, wie wir einen Flieger abgeschossen hatten, einen Engländer. Damals konnte man noch mit dem Gewehr ein Flugzeug herunterholen. Er hat im Kasino mit dem Kommandeur

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