David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens Klassiker bei Null Papier

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alt.

      Ich ließ mir er­zäh­len, dass sie sich bis an ihr Ende au­ßer­or­dent­lich da­mit brüs­te­te, in ih­rem gan­zen Le­ben nie­mals auf dem Was­ser ge­we­sen zu sein, höchs­tens auf ei­ner Brücke, und dass sie bei ih­rem Tee, dem sie sehr zu­ge­tan war, stets ihre Ent­rüs­tung über die Gott­lo­sig­keit der See­leu­te aus­sprach, die sich auf dem Mee­re »her­um­trie­ben«.

      Es war ver­ge­bens, ihr vor­zu­stel­len, wie vie­le An­nehm­lich­kei­ten wir, den Tee zum Bei­spiel mit in­be­grif­fen, die­ser Un­sit­te ver­dan­ken. Stets er­wi­der­te sie mit noch grö­ßerm Nach­druck und mit in­stink­ti­vem Be­wusst­sein von der Ge­walt ih­res Ein­wan­des: »Man hat sich trotz­dem nicht her­um­zu­trei­ben.«

      Um mich aber nicht selbst her­um­zu­trei­ben und ab­zu­schwei­fen, will ich wie­der zu mei­ner Ge­burt zu­rück­keh­ren.

      Ich er­blick­te in Blun­der­sto­ne in Suf­folk oder da­her­um, wie man in Schott­land sagt, das Licht der Welt. Ich bin ein nach­ge­bor­nes Kind. Mei­nes Va­ters Au­gen schlos­sen sich sechs Mo­na­te frü­her, als die mei­ni­gen sich öff­ne­ten.

      Es liegt et­was Selt­sa­mes für mich in dem Ge­dan­ken, dass mein Va­ter mich nie­mals ge­se­hen hat, und noch Selt­sa­me­res in der schat­ten­haf­ten Erin­ne­rung aus mei­ner ers­ten Kin­der­zeit an den wei­ßen Grab­stein auf dem Kirch­hof. Ich emp­fand un­säg­li­chen Kum­mer, dass er dort drau­ßen al­lein lie­gen muss­te in der dunklen Nacht, wäh­rend un­ser klei­nes Wohn­zim­mer warm und hell war von Feu­er und Licht und das Tor un­se­res Hau­ses – fast grau­sam kam es mir manch­mal vor – für ihn ver­rie­gelt und ver­schlos­sen.

      Eine Tan­te mei­nes Va­ters, folg­lich eine Groß­tan­te von mir, von der ich bald mehr zu er­zäh­len ha­ben wer­de, galt als die an­ge­se­hens­te Per­son in un­se­rer Fa­mi­lie. Miss Trot­wood oder Miss Betsey, wie mei­ne arme Mut­ter sie im­mer nann­te, wenn sie ihre Angst vor die­ser schreck­li­chen Per­sön­lich­keit so weit über­wand, sie über­haupt zu er­wäh­nen, war ver­hei­ra­tet ge­we­sen mit ei­nem Man­ne, der jün­ger als sie selbst und sehr hübsch war. Al­ler­dings nicht in dem Sinn des Sprich­worts, »hübsch ist, wer sich hübsch be­trägt«, – denn er stand stark in dem Ver­dacht, dass er Miss Betsey durch­zu­prü­geln pfleg­te und ein­mal so­gar we­gen ei­ner strit­ti­gen Un­ter­stüt­zungs­fra­ge schnel­le, aber ent­schlos­se­ne Vor­be­rei­tun­gen ge­trof­fen hät­te, sie aus ei­nem Fens­ter im zwei­ten Stock hin­aus­zu­wer­fen.

      Die­se of­fen­kun­di­gen Be­wei­se un­ver­träg­li­cher Ge­müts­art be­wo­gen schließ­lich Miss Betsey, ihn mit Geld ab­zu­fer­ti­gen und eine Schei­dung auf ge­gen­sei­ti­ge Übe­rein­kunft durch­zu­set­zen.

      Er ging mit dem Ka­pi­tal nach In­di­en und wur­de dort nach ei­ner wil­den Le­gen­de in un­se­rer Fa­mi­lie ein­mal auf ei­nem Ele­fan­ten rei­ten ge­se­hen in Ge­sell­schaft ei­nes Babu. Es wird wohl ein Pa­vi­an ge­we­sen sein – oder eine Be­gum! Wie dem auch sei, ehe zehn Jah­re um wa­ren, kam aus In­di­en die Kun­de von sei­nem Tod.

      Wie mei­ne Tan­te es auf­ge­nom­men hat, weiß nie­mand. Gleich nach der Schei­dung nahm sie ih­ren Mäd­chen­na­men wie­der an, kauf­te sich ein Häu­schen in ei­nem Wei­ler weit drau­ßen an der See­küs­te und leb­te dort mit ei­ner ein­zi­gen Die­ne­rin in un­er­bitt­li­cher Zu­rück­ge­zo­gen­heit.

      Mein Va­ter muss­te einst ihr Lieb­ling ge­we­sen sein, aber sei­ne Hei­rat hat­te sie töd­lich be­lei­digt, da mei­ne Mut­ter nach ih­rer An­sicht nur eine »Wach­s­pup­pe« war. Sie hat­te mei­ne Mut­ter wohl nie ge­se­hen, wuss­te aber, dass sie sehr jung war – noch nicht zwan­zig.

      Mein Va­ter und Miss Betsey sa­hen ein­an­der nie wie­der. Er war dop­pelt so alt als mei­ne Mut­ter, als er sie hei­ra­te­te, und von zar­ter Ge­sund­heit. Ein Jahr dar­auf starb er; wie ich schon ge­sagt habe, sechs Mo­na­te, ehe ich zur Welt kam.

      So la­gen die Din­ge an je­nem, wie ich wohl sa­gen darf, er­eig­nis­vol­len und wich­ti­gen Frei­tag. Ich weiß na­tür­lich über sie nichts aus eig­ner An­schau­ung und stüt­ze mei­ne Erin­ne­run­gen auch nicht auf eig­ne Sin­nes­wahr­neh­mung.

      Mei­ne Mut­ter saß am Feu­er, kör­per­lich schwach und geis­tig sehr nie­der­ge­drückt, schau­te, die Au­gen voll Trä­nen, in das Feu­er und sann trü­be nach über das Schick­sal des vor der Ge­burt ver­wais­ten Kin­des, des­sen An­kunft bin­nen kur­z­em er­war­tet wur­de, und über ihre ei­ge­ne Zu­kunft.

      Es war ein hel­ler, win­di­ger Herbst­nach­mit­tag, und sie saß be­trübt und nie­der­ge­schla­gen da und von ban­gen Zwei­feln er­füllt, ob sie wohl glück­lich die zu er­war­ten­de schwe­re Stun­de über­ste­hen wer­de, als sie, ihre Au­gen trock­nend, auf­blick­te und durch das ge­gen­über­lie­gen­de Fens­ter eine frem­de Dame in den Gar­ten her­ein­kom­men sah.

      Beim zwei­ten Blick hat­te mei­ne Mut­ter schon die si­che­re Ah­nung, dass es Miss Betsey wäre. Die un­ter­ge­hen­de Son­ne schi­en über den Gar­ten­zaun auf die frem­de Dame, und die­se schritt auf die Türe zu mit ei­ner so un­beug­sa­men Stren­ge in Ge­sicht und Hal­tung, dass es nie­mand an­ders sein konn­te.

      Als sie das Haus er­reich­te, lie­fer­te sie noch einen an­de­ren Be­weis ih­rer Iden­ti­tät. Mein Va­ter hat­te oft er­wähnt, dass sie sich sel­ten wie ein ge­wöhn­li­cher Chris­ten­mensch be­neh­me; und nun trat sie wirk­lich, an­statt die Glo­cke zu zie­hen, an das nächs­te Fens­ter und drück­te ihre Nase mit sol­cher Ener­gie ge­gen das Glas, dass die­se im Au­gen­blick ganz platt und weiß wur­de, wie mei­ne Mut­ter oft er­zähl­te.

      Sie be­kam dar­über einen sol­chen Schre­cken, dass ich es mei­ner Über­zeu­gung nach nur Miss Betsey zu dan­ken habe, wenn ich an ei­nem Frei­tag zur Welt kam.

      Mei­ne Mut­ter war in ih­rer Auf­re­gung auf­ge­stan­den und hin­ter den Stuhl in eine Ecke ge­tre­ten. Miss Betsey sah sich durch die Schei­ben lang­sam und for­schend im Zim­mer um, wo­bei sie am an­de­ren Ende der Stu­be an­fing, und wen­de­te au­to­ma­ten­haft wie ein Tür­ken­kopf auf ei­ner Schwarz­wäl­der­wand­uhr das Ge­sicht, bis ihre Bli­cke auf mei­ner Mut­ter haf­ten blie­ben. Dann zog sie die Brau­en zu­sam­men und wink­te wie je­mand, der zu be­feh­len ge­wohnt ist, dass man ihr die Türe auf­ma­chen sol­le. Mei­ne Mut­ter ge­horch­te.

      »Mrs. Da­vid Cop­per­field ver­mut­lich«, sag­te Miss Betsey mit ei­ner Em­pha­se, die sich wahr­schein­lich auf die Trau­er­klei­der mei­ner Mut­ter und auf ih­ren Zu­stand be­zog.

      »Ja«, ant­wor­te­te mei­ne Mut­ter schüch­tern.

      »Ha­ben Sie schon von Miss Trot­wood ge­hört?« frag­te die Dame.

      Mei­ne Mut­ter ent­geg­ne­te, sie habe das Ver­gnü­gen ge­habt, hat­te aber da­bei das un­an­ge­neh­me Ge­fühl, nicht da­nach aus­zu­se­hen, als ob es ein über­wäl­ti­gen­des Ver­gnü­gen ge­we­sen wäre.

      »Jetzt steht sie vor Ih­nen«, sag­te

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