David Copperfield. Charles Dickens
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Meine Mutter aber konnte sich nicht helfen, und ihre Tränen flossen, bis sie sich ausgeweint hatte.
»Nimm deine Haube ab, Kind«, sagte Miss Betsey, »damit ich dich sehen kann.«
Meine Mutter war viel zu sehr eingeschüchtert, um dieses seltsame Verlangen abzuschlagen, selbst wenn sie gewollt hätte. Daher entsprach sie dem Wunsche und tat es mit so zitternden Händen, dass ihr Haar, das sehr reich und schön war, sich löste und auf ihre Schultern herabfiel.
»Gott bewahre!« rief Miss Betsey, »du bist ja noch ein wahres Wickelkind.«
Allerdings sah meine Mutter selbst für ihre Jahre noch sehr jugendlich aus. Sie ließ den Kopf hängen, als ob es ihre Schuld wäre, und sagte schluchzend, dass sie auch fürchte, sie sei ein wahres Kind von einer Witwe und werde auch ein Kind von einer Mutter sein, wenn sie am Leben bliebe.
In der kurzen Pause, die darauf folgte, kam es ihr fast vor, als ob Miss Betsey ihr Haar berührte, und zwar nicht mit unsanfter Hand; aber wie sie schüchtern hoffend aufblickte, hatte sich die Dame mit aufgeschürztem Kleid bereits hingesetzt, die Hände über ein Knie gefaltet, die Füße auf das Kamingitter gestützt, und starrte grimmig ins Feuer.
»Um Gotteswillen?« fragte Miss Betsey plötzlich. »Warum eigentlich Krähenhorst?«
»Sie meinen das Haus, Madame?«
»Warum Krähenhorst?« fragte Miss Betsey. »Hühnerhof wäre passender gewesen, wenn ihr beide einen Begriff vom praktischen Leben gehabt hättet.«
»Mr. Copperfield hat ihm den Namen gegeben«, erwiderte meine Mutter. »Als er das Haus kaufte, meinte er, es müsste hübsch sein, wenn Krähen darin nisten würden.«
Der Abendwind fegte in diesem Augenblick so gewaltig durch die alten hohen Ulmen im Garten, dass sowohl meine Mutter wie Miss Betsey unwillkürlich hinaussahen. Als sich die Bäume zueinander neigten wie Riesen, die sich Geheimnisse zuflüsterten, und gleich darauf in heftige Bewegung gerieten und mit ihren zackigen Armen wild in der Luft herumfuhren, als ob diese Geheimnisse zu grässlich für ihre Seelenruhe wären, wurden ein paar alte, vom Sturm zerzauste Krähennester auf den höchsten Zweigen wie Wracks auf stürmischer See hin und hergeworfen.
»Wo sind die Vögel?« verhörte Miss Betsey.
»Was?« Meine Mutter hatte an etwas anderes gedacht.
»Die Krähen – wo sie hingekommen sind?«
»Es waren überhaupt nie welche da, seit wir hier gelebt haben«, sagte meine Mutter. »Wir dachten – Mr. Copperfield dachte, es sei ein großer Krähenhorst, aber die Nester waren alt und von den Vögeln längst verlassen.«
»Echt David Copperfield«, rief Miss Betsey. »David Copperfield, wie er leibt und lebt! Nennt das Haus Krähenhorst, wo gar keine Krähe da ist, und nimmt die Vögel auf guten Glauben, weil er die Nester sieht.«
»Mr. Copperfield ist tot«, gab meine Mutter zur Antwort, »und wenn Sie sich unterstehen, unfreundlich über ihn zu sprechen –«
Ich glaube, meine arme, liebe Mutter hatte einen Augenblick die Absicht, sich an der Tante tätlich zu vergreifen. Diese hätte sie wohl leicht mit einer Hand bezwungen, selbst wenn meine Mutter in einer bessern Verfassung für einen solchen Kampf gewesen wäre als an diesem Abend. Aber es blieb bei einem schüchternen Aufstehen. Dann setzte sich meine Mutter wieder schwach nieder und fiel in Ohnmacht.
Als sie wieder zu sich kam, sah sie Miss Betsey am Fenster stehen. Es war mittlerweile ganz dunkel geworden, und so undeutlich sie einander unterschieden, hätten sie doch auch das nicht ohne den Schein des Feuers können.
»Nun?« fragte Miss Betsey und trat wieder zu dem Stuhl, als hätte sie bloß einen Blick aus dem Fenster geworfen, »und wann erwartest du –?«
»Ich zittere am ganzen Leibe«, stammelte meine Mutter. »Ich weiß nicht, was es ist, ich sterbe sicherlich.«
»Nein, nein, nein«, sagte Miss Betsey; »trink eine Tasse Tee!«
»Ach Gott, ach Gott, meinen Sie, dass mir das guttun wird?« rief meine Mutter in hilflosem Tone.
»Selbstverständlich!« sagte Miss Betsey. »Es ist alles bloß Einbildung. Wie heißt denn das Mädchen?«
»Ich weiß doch nicht, ob es ein Mädchen sein wird, Madame«, sagte meine Mutter unschuldsvoll.
»Gott segne dieses Kind!« rief Miss Betsey aus, unbewusst den Sinnspruch auf dem Nadelkissen in der Schublade des oberen Stocks anführend, aber nicht mit Anwendung auf mich, sondern auf meine Mutter. »Das meine ich doch nicht. Ich meine doch das Dienstmädchen.«
»Peggotty«, sagte meine Mutter.
»Peggotty!« wiederholte Miss Betsey entrüstet. »Willst du damit sagen, Kind, dass ein menschliches Geschöpf in eine christliche Kirche gegangen ist und sich hat Peggotty taufen lassen?«
»Es ist ihr Familienname«, sagte meine Mutter schüchtern. »Mr. Copperfield nannte sie so, weil ihr Taufname derselbe ist wie meiner.«
»Heda, Peggotty!« rief Miss Betsey und öffnete die Zimmertür. »Tee! Deine Herrschaft ist ein bisschen unwohl, aber rasch!«
Nachdem sie diesen Befehl so gebieterisch ausgesprochen, als wäre sie von jeher Herrin dieses Hauses, und aus dem Zimmer hinausgespäht hatte, um nach der erstaunten Peggotty zu sehen, die bei dem Klang einer fremden Stimme mit einem Licht den Gang entlangkam, schloss sie die Tür wieder und setzte sich nieder wie zuvor, die Füße am Kamingitter, das Kleid aufgeschürzt und die Hände über ein Knie gefaltet.
»Du meintest, es werde ein Mädchen werden«, sagte Miss Betsey. »Ich zweifle keinen Augenblick daran. Ich habe ein Vorgefühl, dass es ein Mädchen wird. Nun, Kind! Von dem Moment der Geburt dieses Mädchens an –«
»Vielleicht ists ein Knabe«, erlaubte sich meine Mutter, sie zu unterbrechen.
»Ich sagte dir bereits, ich habe das Vorgefühl, dass es ein Mädchen ist«, entgegnete Miss Betsey. »Widersprich mir nicht immer. Also von