Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

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zu einem Teil des bürokratischen Lebensstils.5 Bürokratie und Religion, oder vielmehr die weltliche und die geistliche Bürokratie zusammen, wurden die vorzüglichsten Agenturen gegen den Sozialismus. Die ideologische Begleitung war die unaufhörliche Verteufelung des Materialismus und die Verherrlichung des philosophischen Idealismus. So kleidete Heinrich von Treitschke, der herausragende deutsche Historiker dieser Zeit, seine Lobeshymnen auf die Macht, den Staat und die großen Männer in die gleiche Sprache des modernen Idealismus, wie sie in jeder Universität, jeder Schule, von jeder Kanzel immer wieder zu hören war. Zwischen der Konservativen Partei, der Protestantischen Kirche und dem preußischen Beamtentum wurde ein fester Bund geschlossen.

      Der zweite Schritt war die Umwandlung der Armee in ein handfestes Werkzeug der Reaktion. Seit Friedrich II. von Preußen war das Offizierskorps stets überwiegend aus dem Hochadel rekrutiert worden, dem man natürliche Führungsqualitäten zuschrieb. Friedrich II. zog sogar ausländische Adlige preußischen Bürgerlichen vor, die er ebenso wie die Männer, die in seinen Armeen dienten, als »Kanaillen« und Vieh betrachtete.6 Die Napoleonischen Kriege vernichteten diese Armee und bewiesen, daß die einzig und allein durch brutale Disziplin zusammengehaltenen Truppen den revolutionären Heeren Frankreichs weit unterlegen waren. Unter Gneisenau und Scharnhorst wurde die deutsche Armee dann reorganisiert und sogar in begrenztem Umfang demokratisiert, doch hielt diese Entwicklung nicht lange an. 1860, als Manteuffel seine große Säuberung beendet hatte, waren weniger als 1000 von 2900 Linieninfanterieoffizieren Nicht-Adlige. Sämtliche Offiziersränge in der Gardekavallerie sowie 95 Prozent in der übrigen Kavallerie und den besseren Infanterieregimentern waren mit Adligen besetzt.7

      Genau so wichtig war es, die Armee an die bürgerliche Gesellschaft anzupassen und mit ihr auszusöhnen. Mit dem Niedergang des Liberalismus innerhalb des Bürgertums und der wachsenden Bedrohung durch die sozialistische Bewegung gab die Bourgeoisie in den 80er Jahren ihre frühere Opposition gegen das Heereserweiterungsprogramm auf. Es entwickelte sich ein Bündnis zwischen den zwei ehemaligen Feinden; die Gestalt des »feudalen Bourgeois« erschien auf der Bühne. Institutioneller Nährboden dieses neuen Typs war der Reserveoffizier, der weitgehend aus der unteren Mittelschicht rekrutiert wurde, um das ungeheure Personalproblem zu lösen, das durch die Vergrößerung der Armee auf eine Kriegsstärke von 1 200 000 Mann im Jahre 1888 und auf 2 000 000 Mann (3,4% der Gesamtbevölkerung) im Jahre 1902 entstanden war. Der neue »feudale Bourgeois«8 besaß den ganzen Dünkel des alten adligen Feudalherrn, aber wenig von seinen Tugenden und seiner Bindung an Treueverhältnisse und die Kultur. Er repräsentierte eine Koalition von Armee, Bürokratie, Großgrund- und Fabrikbesitzern zum Zwecke der gemeinsamen Ausbeutung des Staates.

      Im Frankreich des 19. Jahrhunderts wurde die Armee in das Bürgertum eingegliedert; in Deutschland dagegen wurde die Gesellschaft in die Armee eingegliedert.9 Die strukturellen und psychologischen Mechanismen, die für die Armee typisch waren, schlichen sich immer mehr in das zivile Leben ein, bis sie es schließlich fest im Griff hatten.10 Der Reserveoffizier war die Schlüsselfigur in diesem Prozeß. Rekrutiert aus der »gebildeten« und privilegierten Schicht der Gesellschaft, trat er an die Stelle des weniger privilegierten, aber liberaleren Landwehroffiziers. (Reaktionäre hatten der Landwehr immer mißtraut und in ihren Offizieren »den wichtigsten Hebel für eine Emanzipation des Mittelstandes« gesehen.)11 Im Jahre 1913, als der Nachwuchs an Reserveoffizieren aus den privilegierten Schichten sich für die geplante Vergrößerung der Armee als zu gering erwies, stellte das preußische Heeresministerium lieber still seine Erweiterungspläne zurück, als daß es einer »Demokratisierung« des Offizierskorps die Tore geöffnet hätte.12 Ein Rechtsanwalt verlor sein Reserveoffizierpatent, weil er einen Liberalen in einer cause célèbre verteidigte; ebenso erging es einem Bürgermeister, der den Pächter eines städtischen Grundstückes nicht daran gehindert hatte, eine sozialistische Versammlung abzuhalten.13 Was die Sozialisten angeht, so war es klar, daß ihnen die nötigen ›moralischen Qualitäten‹ eines Offiziers abgingen.

      Der dritte Schritt war die Aussöhnung zwischen Agrar- und Industriekapital. Die große Krise von 1870 hatte die Landwirtschaft hart getroffen. Zusätzliche Schwierigkeiten entstanden durch die Einfuhr amerikanischen Getreides, die steigenden Preise für Industriegüter14 und die gesamte Handelspolitik des Reichskanzlers Caprivi, die von dem Bestreben beherrscht wurde, die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse niedrig zu halten. In eine verzweifelte Lage getrieben, organisierten die Agrarier 1893 den Bund der Landwirte und begannen einen Kampf für Getreide-Schutzzölle,15 der beim Industriekapital Empörung auslöste.

      Ein Handel von historischer Bedeutung setzte dem Konflikt ein Ende.16 Die industriellen Gruppen drängten auf ein großes Flottenprogramm; die Agrarier, die dem zuvor entweder ablehnend oder gleichgültig gegenübergestanden hatten, gaben durch ihr Hauptsprachrohr, die preußische Konservative Partei, ihre Einwilligung, für die Flottenvorlage zu stimmen, wenn die Industriellen als Gegenleistung ihre Forderung nach Schutzzöllen unterstützten. Die Politik der Verschmelzung aller entscheidenden kapitalistischen Kräfte wurde schließlich unter der Führung von Johannes von Miquel vollendet, der zunächst 1884 als Führer der Nationalliberalen und später als preußischer Finanzminister von 1890 bis 1901 die rechtsgerichtete Mehrheit seiner Partei hinter Bismarcks Politik brachte und seine berühmte Sammlungspolitik einleitete, die Zusammenfassung aller »vaterländischen Kräfte« gegen die Sozialdemokratie. Ihren höchsten Ausdruck fand die Sammlungspolitik in der direkten Verknüpfung der Getreidezölle mit dem Flottenbau im Jahre 1900. Die Nationalliberalen, das katholische Zentrum und die Konservative Partei hatten zu einer gemeinsamen materiellen Basis gefunden.

      Das Ende des Ersten Weltkrieges und die unmittelbare Nachkriegszeit zeigten bald, daß das Bündnis der Reaktion auf zu zerbrechlichem Boden stand. Es gab keine allgemein anerkannte Ideologie, die es zusammengehalten hätte (ebensowenig existierte eine loyale Opposition in Gestalt einer kämpferischen liberalen Bewegung). Es ist eine auffällige Tatsache, daß das Deutsche Kaiserreich die einzige Großmacht ohne jedwede anerkannte Staatstheorie war. Wo lag zum Beispiel der Sitz der Souveränität? Der Reichstag war keine parlamentarische Institution. Er konnte weder die Ernennung noch die Entlassung von Kabinettsmitgliedern erzwingen. Politischen Einfluß konnte er, insbesondere nach Bismarcks Entlassung, nur indirekt ausüben; nie mehr als dies. Die verfassungsmäßige Position des preußischen Landtages war noch schlechter; mit Hilfe seiner eigens dafür erdachten »Theorie der Verfassungslücke« war Bismarck sogar in der Lage gewesen, seine Budgets ohne parlamentarische Bewilligung zu verabschieden.

      Die souveräne Macht des Reiches lag beim Kaiser und den in der zweiten Kammer (dem Bundesrat) versammelten Fürsten. Die Fürsten leiteten ihre Autorität aus dem Gottesgnadentum her; dieser Begriff aus dem Mittelalter – in der absolutistischen Form, die er im 17. Jahrhundert angenommen hatte – war das beste, was das Deutsche Kaiserreich als eigene Verfassungstheorie anzubieten hatte. Das Ärgerliche daran war jedoch, daß jede Verfassungstheorie eine pure Illusion ist, wenn sie nicht von der Mehrheit des Volkes oder zumindest von den entscheidenden Kräften der Gesellschaft akzeptiert wird. Für die meisten Deutschen war das Gottesgnadentum ein offenkundiger Unsinn. Wie hätte es auch anders sein können! In einer Ansprache am 25. August 1910 in Königsberg gab Wilhelm II. eine seiner zahlreichen ›Von-Gottes-Gnaden-Proklamationen‹ ab. Er sagte folgendes:

      »Hier war es, wo der Große Kurfürst aus eigenem Recht zum souveränen Herzog in Preußen sich machte, hier setzte sich sein Sohn die Königskrone aufs Haupt … Friedrich Wilhelm I. stabilisierte hier seine Autorität ›wie einen Rocher de bronze‹ … Und hier setzte sich Mein Großvater wiederum aus eigenem Recht die preußische Königskrone aufs Haupt, noch einmal bestimmt hervorhebend, daß sie von Gottes Gnaden allein ihm verliehen sei und nicht von Parlamenten, Volksversammlungen und Volksbeschlüssen, und daß er sich so als auserwähltes Instrument des Himmels ansehe ... Als Instrument des Herrn Mich betrachtend ... gehe Ich Meinen Weg.«

      Die unzähligen Witze und Karikaturen, in denen diese spezielle Neuformulierung der Theorie verspottet wurde, lassen wenig Zweifel daran, daß keine politische Partei sie ernst nahm – außer

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