Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

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Ende des Zweiten Weltkriegs hat die Angst nicht aus der Welt verschwinden lassen. Sie ist, im Gegenteil, noch größer und furchtbarer geworden und beginnt, Nationen zu paralysieren und Menschen unfähig zu machen, sich frei zu entscheiden.“46 Was als Wiederaufnahme der bekannten marxistischen Metapher erscheint, erfährt jetzt eine absichtsvolle, ja programmatische Transformation.47 Neumann nimmt nämlich nichts weniger als einen methodischen Positionswechsel vor, der angesichts all dessen, was er vorher publiziert hatte, für einen qualitativen Gedankensprung steht: Hatte Neumann in seiner Interpretation des Nationalsozialismus jeden psychologischen Ansatz abgelehnt und war damit auf riskanten Abstand vom Kreis um Max Horkheimer gegangen, so holt er genau diesen Schritt jetzt nach: Er vertieft sich nicht nur in eine intensive Freud-Lektüre und findet von hier aus zur psychoanalytischen Grundlegung der Angst, sondern liefert gleich noch ein ganzes Tableau von Argumenten hinzu, auf welche Weise die genannten Gesellschaftsprozesse, also vor allem die Zentralisierung und Bürokratisierung der politischen Macht, zu Faktoren werden, die Angst und Entfremdung zum Schicksal des modernen Menschen machen.

      Zwar versucht er an dieser deprimierenden Diagnose noch gewisse Differenzierungen anzubringen: „Man kann vielleicht sagen, dass das total repressive System depressive und Verfolgungsangst, das halbwegs freiheitliche Realangst institutionalisiert“48, heißt es in „Angst und Politik“, und in den posthum publizierten „Notizen zur Theorie der Diktatur“49 findet sich der Versuch, den Unterschied zwischen diktatorischen und demokratischen Systemen stärker zu machen und selber noch einmal sozialpsychologisch zu erklären. Doch hellt sich das Gesamtbild, zumindest was die politische Gegenwartsdiagnose betrifft, dadurch nur wenig auf: Neumanns Weltbild schien sich zuletzt einer düsteren Geschichtsphilosophie anzunähern, die gewisse Ähnlichkeiten mit den apokalyptischen Befürchtungen aufwies, wie sie von Horkheimer und Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ ausformuliert und zum Wendepunkt der eigenen Theorietradition erklärt worden waren.50 Hatte Neumann in den 1940er Jahren gegenüber solchen Generalisierungen offensichtlich noch Distanz gehalten, so wurde sein plötzlicher Unfalltod mit nur 54 Jahren für seine ganze Generation zum Fanal. Was lebensgeschichtlich absolut sinnlos erscheintder Autounfall auf einer schnurgeraden Schweizer Landstraße –, setzte auch dem „political scholar“ einen tragischen Endpunkt.

       V. Nachwort: Der „Behemoth“ als wirkungsgeschichtliches Stiefkind

      Dennoch: Blickt man aus der Mitte der 1950er Jahre auf die wechselvolle politisch-intellektuelle Biographie Franz Neumanns zurück, so tritt über alle Brüche hinweg ein Kontinuum hervor, das man in der stets erneuerten Verknüpfung von kritischer Theorie und politischem Engagement erblicken kann. Der Idealtypus des „political scholar“, könnte man resümieren, war das Ergebnis eines realtypischen Prozesses, der von der eher rechtstechnischen Praxis des Gewerkschaftsfunktionärs über das theoretisch ambitionierte Exil der 1930er Jahre in eine angestrengte Phase der Politikberatung führte, um schließlich in das spektakuläre Format des amerikanisch-deutschen Politikprofessors zu münden. Dennoch wird man Neumanns Stellung in der Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts nicht aus seinen späten Fragmenten begründen wollen, sondern aus dem Buch, das aus der breiten Masse der Emigrantenliteratur allein deswegen herausragt, weil es die erste Gesamtdarstellung des Nationalsozialismus, seiner „Struktur und Praxis“ war.

      Wie also stand der Autor Neumann zu seinem „Behemoth“, wie ist er selbst mit seinem Vermächtnis umgegangen? Hat er für sein „magnum opus“ eine nachhaltige Wirkung erwartet oder zumindest eine längerfristige Perspektive gesehen?

      Ich werde in den abschließenden Überlegungen einen Fauxpas begehen, den sich ein seriöser Historiker eigentlich nicht leisten darf: Ich werde nach etwas fragen, das Neumann nach 1945 nicht getan hat, und ich werde weiter über die Gründe spekulieren, die dieses Nicht-Tun bewirkt oder sogar erzwungen haben könnten. Die Freiheit dafür glaube ich mir nehmen zu können unter Berufung auf eine schmerzgeplagte Selbstreflexion, die Neumann sich offenbar nur privat gestattete und die dafür umso radikaler ausfiel. Die Formulierungen stammen aus seinen letzten Lebensmonaten und sind bekannt, auch beziehen sie sich weder direkt auf den „Behemoth“ noch auf seine theoretische Lebensleistung. Dennoch lohnt es sich, sie noch einmal ausführlich zu zitieren, nicht nur weil ihr Pathos zur Verallgemeinerung einlädt, sondern weil sich Neumann hier zu einer seltsamen Umkehrung der gewohnten Kausalität von Handlungsmotivation und Schuldzuschreibung bekennt, die man einem rationalistischen Charakter, der er lebenslang gewiss war, eigentlich nicht zutrauen möchte:

      „Warum ich das Land so liebe und doch so verabscheue“, schreibt er an Helge Pross, die junge Soziologin aus Deutschland, zu der er sich nach der Trennung von seiner zweiten Frau offenbar hingezogen fühlte. „Vielleicht ist es ein Schuldgefühl, das ganz tief sitzt: Wie oft habe ich mir nach 1933 die Frage vorgelegt, wo meine Verantwortlichkeit für den Nationalsozialismus eigentlich steckt. Denn ich glaube an kollektive Schuld – aber dann kann ich mich ja davon nicht ausnehmen ...Wir, die wir in Opposition zu der Reaktion standen, waren alle zu feige. Wir haben alle kompromittiert. Ich habe ja mit eigenen Augen gesehen, wie verlogen die SPD in den Monaten Juli 1932 bis Mai 1933 war (und nicht nur damals) und habe nichts gesagt. Wie feige die Gewerkschaftsbosse waren – und ich habe ihnen weiter gedient. Wie verlogen die Intellektuellen waren – und ich habe geschwiegen. Natürlich kann ich das rational rechtfertigen mit der Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus, aber im Grunde genommen war Angst vor der Isolierung dabei. Dabei hatte ich große Beispiele: Karl Kraus, Kurt Tucholsky. Und ich habe immer in der Theorie den sokratischen Standpunkt für richtig gehalten, dass der wahre Intellektuelle immer und gegenüber jedem politischen System ein Metöke, ein Fremder sein muss. So habe ich also mitgemacht beim Ausverkauf der Ideen der sogenannten deutschen Linken ...“51

      Eine tiefenhermeneutische Interpretation dieser so singulären wie schmerzlichen Selbstoffenbarung ist sicherlich riskant, aber angesichts der zeitgleich vollzogenen Hinwendung zu Freud doch auch naheliegend. Plausibel könnte die folgende Gedankenreihe sein: Dominant in Neumanns Worten ist erstens ein selbstquälerisches, vor allem aber ein überzogenes Schuldgefühl, das sein tatsächliches Verhalten in den Jahren 1932/3, seinen Mut und seine offensichtliche Risikobereitschaft seltsam herunterspielt oder sogar unterschlägt – die Quittung war doch Anfang Mai 1933 auf dem Fuß gefolgt, als Neumanns Büro von den SA-Schergen besetzt wurde und er mit Sicherheit verhaftet worden wäre, hätte er sich nicht bereits auf der Flucht befunden. Das führt zweitens zu der Vermutung, dass hinter dem Objekt dieser Schuldgefühle – der angeblichen politischen Feigheit, die als moralisches Versagen interpretiert wird – ein ganz anderes, allerdings hochtabuisiertes Objekt steht, aus dem sich das (übertriebene) Schuldgefühl speist. Damit stößt man drittens auf jene psychologische Grundkonstante, die für die erste Generation der Emigranten verallgemeinert werden kann, aber bei den jüdischen Emigranten eine ganz besondere Schärfe aufweisen musste. Gemeint ist der sog. Überlebenskomplex, d.h. das quälende Schuldgefühl derer, die dem Holocaust entronnen sind. Daraus schließlich könnte viertens verständlich werden, warum Neumann die ihm eigentlich fremde Denkfigur der kollektiven Schuld überhaupt für sich reklamieren kann: Die Kollektivität, die er „eigentlich“ meinte und die er gleichzeitig vor sich selber versteckte, war die der jüdischen Opfergemeinschaft.

      Transponiert man diese psychologische Spekulation auf die objektivere Ebene der Wissenschaftsgeschichte, dann stellen sich nicht weniger dringliche Fragen, sie betreffen die Geistesverfassung der westdeutschen Nachkriegsepoche und lassen sich für Neumanns Stellung zu ihr vielleicht so ausbuchstabieren: Warum hat er gerade seinen „Behemoth“, dieses in den USA außerordentlich geschätzte Standardwerk, über den Nationalsozialismus so seltsam unter Verschluss gehalten? Warum hat er, wenn er doch so maßgeblichen Einfluss auf die Gründung der Politikwissenschaft genommen hat und dafür über große Finanzmittel verfügte, nicht für seine rasche Übersetzung ins Deutsche gesorgt? Warum hat er seine ehemaligen Landsleute nicht direkt mit seinem wissenschaftlichen Vermächtnis konfrontiert, was bedeutet hätte, vor allem die Eliten des neuen Deutschland zur Auseinandersetzung mit ihren erheblichen NS-Kontinuitäten zu zwingen? Bekanntlich hat es bis zum Jahr 1977 gedauert, bis der „Behemoth“ in der äußerst verdienstvollen Übersetzung

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