Behemoth. Franz Neumann
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Die Analyse des Wirtschaftssystems ist Neumann ein besonderes Anliegen. Das marxistische Plädoyer für den methodischen Primat der Ökonomie und die Annahme vom fortgesetzt kapitalistischen Charakter des Wirtschaftens unterm Nationalsozialismus führen indes nicht dazu, die großen Umbrüche der 30er und frühen 40er Jahre zu verkennen. Detailliert wird ausgeführt und an der Reorganisation der Wirtschaft im Kraftfeld zwischen Staat und Großindustrie demonstriert, dass sich die machtvoll erstarkende Konjunktur im Nebeneinander und Ineinander von zwei großen Regelkreisen bewegt: Während der privatkapitalistische Sektor vor allem durch rapide Monopolisierung charakterisiert ist, die exakt dadurch eine ungeahnte Dynamik entfalten konnte, dass die dirigistischen Eingriffe des Staates (mittels Zwangskartellen, Preiskontrollen und nicht zuletzt der Regulierung des Arbeitsmarktes) für die Steigerung des Profitstrebens eingesetzt wurden, funktionierte der ebenfalls wachsende staatliche Sektor zwar direkt als Befehlswirtschaft, ohne jedoch die gesamte Ökonomie planwirtschaftlich zu transformieren. Im Gegenteil, die Pointe von Neumanns empirienaher Argumentation geht darauf, dass der aus der Logik der Rassenideologie folgende staatliche Eigentumsraub, konkret die „Arisierung“ der jüdischen Vermögen und die „Germanisierung“ der fremdländischen Industrien, vor allem den privaten Wirtschaftsgiganten zugute kam. In der zweiten Auflage des Buches von 1944, angesichts der fortgeschrittenen Kriegswirtschaft, wird dann nicht so sehr die Umkehrung dieses Gedankens erwogen, sondern die Verschmelzung von Politik und Wirtschaft im kollektiven Verbrechen konstatiert: „Die Praktiker der Gewalt werden mehr und mehr Unternehmer und die Unternehmer Praktiker der Gewalt“.19
Der dritte Teil des „Behemoth“ buchstabiert aus, was das soziologisch bedeutet, und entfaltet zu diesem Zweck eine kombinierte Klassen- und Elitentheorie, die später als „Polykratie-Theorie“ bekannt wurde: Neumann sieht in Deutschland eine neue und scharfgeschnittene Herrschaftsstruktur entstanden, die mit direkter Gewalt und ideologischem Terror durchgesetzt wurde und nur mit denselben Mitteln aufrechterhalten werden kann. Trotzdem erscheint die herrschende Klasse weniger als eine einheitliche Formation, sondern als ein wüstes Konglomerat von politischen, sozialen und ökonomischen Machtklumpen, deren Interessenkonkurrenz nur mühsam durch die in sich selber gestaltlose Volkstumsideologie überdeckt wird – einig sind sie sich lediglich in der rücksichtslosen Gewaltanwendung nach innen und außen. Den vier zentralen Säulen des Regimes – Partei, Staatsbürokratie, Armee und Wirtschaftsführung – steht die Masse der Bevölkerung macht- und hilflos gegenüber: Wie die Zerschlagung der demokratischen Institutionen zur Zerstörung der autonomen sozialen Milieus geführt hat, so ist die Arbeiterklasse dem direkten Diktat des Kapitals und der Ministerialbürokratie ausgeliefert – Zwangsorganisationen wie die „Deutsche Arbeitsfront“ sind nur gleißende Fassade, hinter der Lohndumping und Sklavenarbeit stattfinden.
Dass Neumanns Analyse der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung schließlich einmündet in einen rechts- und staatstheoretischen Traktat, war natürlich seiner Vorbildung als deutscher Jurist geschuldet – und ebenso wenig war es ein Zufall, wie dieser Traktat theoretisch munitioniert war und worauf er am Ende abzielte: Er kulminiert in der ebenso erschreckten wie erschreckenden These, dass die raison d’être des Regimes in der gezielten Zerstörung rechtlich garantierter Freiheiten greifbar und das dadurch entstehende Vakuum gefüllt wird durch den blanken Einsatz von Propaganda und Terror. Dementsprechend entsetzt lautet die Schlusspointe, die Neumann mit großem Gestus ausführt, dass der Nationalsozialismus ein organisiertes Chaos, ein „Non-State“ und damit ein so neuartiges wie monströses Gebilde sei, das im Kontrast zur gesamten europäischen Ideengeschichte stehe. Wenn also das Wesen des Nationalsozialismus vor allem in seiner unerhörten Destruktivität nach innen und in der kriegerischen Aggression nach außen besteht, was bedeutet das für seine Gegner und wie lässt sich der Kampf gegen einen solchen Aggressor überhaupt führen?
III. Krieg und Nach-Krieg: Politikberatung und Deutschlandpolitik
In der Tat muss man die nun folgende Strecke in Neumanns Lebensgeschichte insgesamt als Antwort auf diese Frage verstehen: Sie führte ihn ab 1942 nach Washington und in die Institutionen des amerikanischen war-effort, zuerst in den Board of Economic Warfare und dann in den neugegründeten Geheimdienst, das Office of Strategic Services (OSS), wo er sich rasch als die leitende Figur in der Research and Analysis Branch etablierte. Zwar war dieser Schritt auch durch die finanziellen Engpässe des Instituts für Sozialforschung mitbedingt, aber maßgeblicher dafür wurden die politischen Zielvorstellungen, die Neumann mitbrachte und die sich am Ende des „Behemoth“ in aller Deutlichkeit formuliert finden: Neumann stellte sich unmissverständlich hinter die Politik der Alliierten, verband diese Parteinahme aber nicht nur mit der Forderung nach der militärischen Niederwerfung des Hitler-Regimes, sondern erklärte, dass ein nachhaltiger Sieg nur erreichbar sei, wenn er den demokratischen Wiederaufbau in Deutschland zum Hauptziel erhebe, dieser aber seinerseits einen veränderten sozio-ökonomischen Unterbau erhalte. In dieser Verklammerung steckte nichts weniger als ein Konflikt, der sich in dem Maße dramatisieren sollte, wie der Krieg gegen Hitler eskalierte und sich die Nachkriegsziele der amerikanischen Politik konkretisierten.
Das halbe Jahrzehnt, das Franz Neumann im amerikanischen Staatsdienst verbrachte, war lange Zeit skandalumwittert. Heute gehört es zu den am besten erforschten Episoden nicht nur einer speziellen Fraktion der sog. Frankfurter Schule, sondern der Ideengeschichte der sozialwissenschaftlichen Emigration nach 1933 insgesamt20: Wie Franz Neumann, Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer in den Geheimdienst überwechselten, wie sich eine ganze Truppe weiterer Emigranten zu ihnen gesellte, in welche Richtung die hochkompetenten Deutschlandexperten die Direktiven ihrer Auftraggeber zu lenken verstanden und wie weit sie mit der Verfolgung eigener politischer Ziele kamen – mit dergleichen Fragen lässt sich die gigantische Masse an Stoffsammlungen, Strategiepapieren und politischen Expertisen aufschlüsseln, die einerseits als wissenschaftliche „Feindanalysen“ gedacht waren und andererseits Handlungsanweisungen dafür geben sollten, was zunächst militärisch und dann politisch gegen Hitler-Deutschland zu tun sei. Hier können nur zwei der brisantesten Themenkreise erwähnt werden, die im Laufe des Krieges und besonders gegen sein Ende im Frühjahr 1945 ins Zentrum der Aufmerksamkeit getreten sind:
Während die Neumann-Gruppe anfangs davon ausgegangen war, dass die innere Opposition gegen Hitler noch über einen gewissen Handlungsraum verfügte und die deutsche Bevölkerung durch die Kriegsverluste vielleicht auf Distanz zum Regime gehen könnte, verflüchtigte sich diese Hoffnung rasch. Ein markanter Anhaltspunkt ist der 100-seitige Anhang, den Neumann 1944 der zweiten Auflage des „Behemoth“ hinzufügte, auch weil hier die neuesten Lageberichte des OSS bereits Eingang gefunden hatten, die ein weit negativeres Bild ergaben: Im Zuge der Kriegswirtschaft und besonders der Expansion nach Osten sah Neumann eine progressive Verschmelzung der vier Herrschaftseliten am Werke, wobei der Einfluss von Parteiführung und Wirtschaftsmonopolisten auf Kosten der Staatsbürokratie gesteigert erschien und der direkte Befehl und die Ausweitung des Terrors zu unwiderstehlichen Herrschaftsinstrumenten geworden waren. Die Schlusspointe lautete jetzt, dass die anarchische Struktur des „Behemoth“ zur Vollendung gebracht, die perverse Pluralität der Herrschaftseliten im kollektiven Verbrechen zusammengeschweißt war, und zwar mittels eines hochsignifikanten Vorgangs, den Neumann mit der „Speerspitzentheorie des Antisemitismus“ zu verstehen versuchte.21
Schon ab 1943 war, in Naherwartung der deutschen Niederlage, die Planung der Nachkriegsordnung ins Zentrum der Forschungsarbeit getreten, ein Riesenkomplex, für dessen Kennzeichnung sich die Kurzformel von den „four D’s“ eingebürgert hat22: Dem Primat der Kriegsführung entsprechend, stand zunächst das Ziel der „Demilitarization“ im Vordergrund, und zwar in der radikalen Form der „unconditional surrender“. Zweifelsfrei konsentiert von den militärischen und den zivilen Behörden, zwischen denen der Geheimdienst positioniert war, war auch die „Denazification“, d.h. die Entmachtung der Nazi-Partei und aller ihr angeschlossenen Organisationen, was angesichts der fast vollständigen Gleichschaltung der deutschen Gesellschaft einer Herkulesaufgabe gleichkam. Differenzen zu den amerikanischen Zielen hingegen taten sich, zumindest bei Franz Neumann und den ehemaligen Mitarbeitern des Instituts für Sozialforschung, darin auf, dass sie die Grundstruktur