Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

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einnehmen, ebenso wie sie sich den Wiederaufbau der Verwaltung und die zukünftige Gestaltung der demokratischen Ordnung („Democratization“) nur unter bevorzugter Beteiligung von Kräften der einheimischen Arbeiterbewegung vorstellen konnten.

      Hatte diese spezifische Ausrichtung von Deutschlands Zukunft schon vor 1945 wenig Rückhalt bei den amerikanischen Entscheidungsträgern gefunden, so spielte sie bekanntlich in der späteren Ausgestaltung der Militärregierung keine Rolle mehr, sondern fiel der internationalen Neuausrichtung auf die Fronten des Kalten Krieges zum Opfer. Einen Zwischenschritt dahin kann man in den sog. Nürnberger Prozessen erblicken, für deren Organisation die USA die Hauptrolle spielten: Man weiß heute, dass Franz Neumann an der juristischen Vorbereitung dieses Prozesses beteiligt und bei der maßgeblichen Londoner Konferenz auch anwesend war.23 Und in der berühmten Anklagerede von Robert Jackson wurden nicht nur einzelne Formulierungen aus den Papieren des OSS übernommen wie z.B. die erwähnte „Speerspitzentheorie des Antisemitismus“, sondern auch der prinzipielle Aufbau der Anklage, in der die Kriegsverbrechen der Nazis als Ausfluss eines verschwörerischen „Masterplans“ und der Angriffskrieg im Osten sowie die Drangsalierung der eigenen Bevölkerung einschließlich des Massenmords an den Juden als „organisiertes Verbrechen“ bezeichnet wurden, wodurch der Schuldbegriff nicht auf Einzelpersonen beschränkt, sondern auf Institutionen und Organisationen ausgedehnt war. Diese soziologische Ausweitung der Anklage war durch die Leitkategorie des „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ nicht gedeckt und hat sich bekanntlich bei der Urteilsverkündung auch nicht durchgesetzt.

      Das Office of Strategic Services wurde im Sommer 1945 aufgelöst und die Forschungsabteilung ins State Departement transferiert, wo ihre Mitarbeiter zunehmend ins politische Abseits gerieten. Frustriert von der Wirkungslosigkeit ihrer Analysen in der amerikanischen Politik und gleichzeitig tief ernüchtert von den deutschen Entwicklungen unter der Militärregierung, verließ Franz Neumann 1947 den amerikanischen Staatsdienst und etablierte sich, als Erster aus dem Kreis der engagierten Emigranten, an der Columbia University in New York. Aber auch in diesem neuen Kontext beschränkte er sich nicht auf die akademische Tätigkeit, sondern nutzte jetzt die Chance, seine politische Stimme in aller Öffentlichkeit zu erheben. Der Satz, mit dem seine erste Publikation nach dem Krieg anhebt, ist gleichzeitig ein Aufruf und eine Warnung: „Erziehen ist schwierig; Umerziehen ist noch schwieriger; eine andere Nation umzuerziehen, ist nahezu unmöglich. Zu versuchen, die Deutschen mittels einer Militärregierung umzuerziehen, heißt, das Unmögliche zu versuchen.“24

      Mit dieser Mischung aus Skepsis und engagierter Analyse ist der Grundtenor angeschlagen, der Neumanns Interventionen zur Nachkriegsentwicklung charakterisiert, jetzt hat der „political scholar“ die für ihn typische Stimmlage gefunden und kündigt gleichzeitig eine gewisse Transformation des Zielpunktes für sein Engagement an. Es ging ihm jetzt nicht mehr primär um die Brechung der kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen, sondern um die Chancen für den demokratischen Wiederaufbau, aber natürlich ebenso sehr um die fortdauernden Hindernisse dafür. Geschickt positionierte er sich dabei zwischen der amerikanischen Deutschlandpolitik einerseits und den sich allmählich herausbildenden Akteuren der westdeutschen Gesellschaft andererseits. Während er sich in Kommentaren und kritischen Analysen in erster Linie an die amerikanische Öffentlichkeit wandte, scheute er sich nicht, den Finger in die Wunden der Kontinuitäten aus der Nazi-Gesellschaft zu legen, die durch die Versäumnisse der amerikanischen Besatzungspolitik mitbedingt seien. Dies galt für die Frage der immer weiter verwässerten Entnazifizierungsmaßnahmen ebenso wie für den mangelnden Umbau des überkommenen Bildungssystems, insgesamt sah er Nachkriegsdeutschland von einem Klima der politischen Apathie überzogen, die ihm als die schlimmste Hinterlassenschaft der totalitären „Kultur“ erschien.

      Viele dieser Kritikpunkte finden sich in einer Broschüre zusammengestellt, die Neumann 1950 unter dem lapidaren Titel „German Democracy“ publiziert hat und die hier als Anschauungsbeispiel für sein Bild von der noch ganz jungen Bundesrepublik referiert wird25: Fünf Jahre sind seit der Niederlage des Nationalsozialismus vergangen, seit einem Jahr tagt im provinziellen Bonn ein frei gewähltes Parlament. Aber was sich als das neue demokratische System herauskristallisiert, betrachtet Neumann mit großer Skepsis. Dahinter steht die bohrende Frage, wie, sozusagen über Nacht, aus einer erkennbar pro-nazistischen Mehrheit ein genuin pro-demokratisches Volk hervorgegangen sein soll. Waren es nicht eher die außenpolitisch determinierten, von den Besatzungsmächten diktierten Prämissen, die den Deutschen die demokratischen Institutionen mehr oder weniger verordnet haben? Konsequenterweise sieht er im Grundgesetz und besonders in seinem exzessiven Grundrechtsteil so etwas wie einen „Verfassungsfetischismus“26 am Werke, eine Haltung, die juristische Garantien mit einer lebendigen Demokratiekultur zu verwechseln droht, ebenso wie er in der starken Stellung des Kanzlers und in der aus der NS-Zeit übernommenen Ministerialbürokratie eine strukturelle Beeinträchtigung des parlamentarischen „Souveräns“ vermutet. Auch den aus den Parteien entspringenden Willensbekundungen begegnet er mit Misstrauen, nicht nur, weil die SPD sich weitgehend nach dem Weimarer Modell reorganisiert hat, sondern mehr noch, weil die CDU/CSU sich als diffuses Mitte-Rechts-Bündnis darstellt, dessen Profil hauptsächlich von einer autoritären Großvater-Figur geprägt ist. Über Konrad Adenauer heißt es: „Er ist ein äußerst intelligenter und geschickter Politiker, ganz sicher antinazistisch, aber mit ausgeprägten autoritären Charakterzügen.“27

      Nimmt man die Restaurationstendenzen in den erklärten Rechtsparteien sowie die Reaktionsbildungen in der Industrie und im großen Heer der Heimatvertriebenen hinzu, so ergibt sich keine rosige Perspektive: „So ist es durchaus möglich, dass sich ein substantieller Teil der Bevölkerung tatsächlich einer neo-nazistischen Lösung zuwenden wird, obschon der Aufstieg eines zweiten Hitler innerhalb einer Generation unrealistisch scheint.“28 Und da das natürlich verhindert werden muss, lautet der kategorische Imperativ: strikte Ablehnung einer deutschen Wiederbewaffnung und weitere, ja verstärkte Kontrollen durch die amerikanische Besatzungsmacht, die vor allem den Schutz der Freiheitsrechte, die reaktionären Tendenzen in der Industrie und in den kleinen Rechtsparteien sowie die Einrichtung einer demokratischen Erziehung und eine gerechte Umverteilungspolitik im Auge behalten soll. Die westdeutsche Demokratie erscheint Neumann offenbar als ein schwaches, hauptsächlich von den Besatzungsmächten gestütztes Pflänzchen, das noch nicht autochthon eingewurzelt ist.

      Dass damit jedoch kein abschließendes Urteil gefällt, der engagierte Beobachter vielmehr bereit war, seine skeptische Grundhaltung zu überprüfen und neue Tatsachen der Nachkriegsentwicklung zur Kenntnis zu nehmen, zeigt ein späterer, eher beiläufiger Aufsatz aus dem Jahr 1954. Unter dem Titel „Germany and World Politics“ nahm Neumann seine vorherige kategorische Ablehnung der deutschen Wiederaufrüstung zurück, allerdings nur unter der Bedingung, dass der deutsche Wehrbeitrag in eine europäische Verteidigungsgemeinschaft eingebaut werde. Auch der Regierungsstil Adenauers erschien ihm jetzt eher als ein Stabilitätsfaktor, während er in aller Nüchternheit darauf hinwies, dass der von Regierung wie SPD-Opposition je verschieden intonierte Wiedervereinigungswunsch nichts als Augenwischerei sei: Seine Unerfüllbarkeit sei der Preis, den man für die wirtschaftliche und militärische Westintegration zu zahlen habe. Dessen mögliche Kompensation durch die in Gang gesetzten Planungen für ein Vereintes Europa aber konnte er nicht mehr erleben.29

       IV. Politikprofessor in New York und Berlin

      Franz Neumanns Wirken an der New Yorker Columbia University erscheint aus der ideengeschichtlichen Distanz wie ein Blitzlicht: Kurz und grell leuchtet es auf, ebenso rasch ist es erloschen. Zum Political Science Department hatte er schon seit Anfang der 1940er Jahre Kontakt gehalten, 1948 wurde er dort zum Visiting Professor und 1950 zum Full Professor berufen. Zwar war Neumann damit im intellektuellen Establishment der amerikanischen Ostküste angekommen, doch entsprach er weder als Person dem „normalen“ Bild eines amerikanischen Professors, noch erschöpfte sich seine Tätigkeit in der Ausfüllung eines Lehrstuhls, dessen Denomination auf „Government“ lautete. Vielleicht kommt man der Realität am nächsten, wenn man annimmt, dass sich Neumann in den 1950er Jahren tatsächlich dem Idealtypus des „political scholar“ annäherte, sozusagen zu seinem Realtypus

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