Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

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die theoretische Anstrengung befeuerte. Vielleicht muss man einen krassen Widerspruch dieser Art ins Zentrum rücken, um die Ausrichtung und Reichweite, aber auch die Wucht und den inneren Widerstreit zu verstehen, die sich in Neumanns theoretischem Denken in den 1930er Jahren Ausdruck verschafften. Er folgerte daraus einerseits entschieden die notwendige Rückkehr zur marxistischen Gesellschaftstheorie, differenzierte diesen Schritt aber andererseits durch Annahmen aus der zeitgenössischen soziologischen und politischen Theorie, für die Harold Laski und Karl Mannheim Pate standen. Die Dissertation, mit der Neumann 1936 an der London School of Economics promoviert wurde, orientiert sich ganz an diesem zweifachen Methodenprogramm und entwirft eine großflächige Strukturgeschichte der Rule of Law bzw. des Rechtsstaates in der bürgerlichen Gesellschaft:

      Beginnend mit einer pointierten Methodenkritik des Weimarer Staatsrechts, wird in einem weit ausgreifenden Exkurs die „Entzauberung des Rechts“ (Max Weber) an der Ideengeschichte des abendländischen Rechtsdenkens von Thomas von Aquin bis zu Hegel durchdekliniert – mit dem lapidaren Ergebnis, dass der Konflikt zwischen Recht und Macht, zwischen Freiheitssphäre und Staatsouveränität zwar jeweils verschieden artikuliert wurde, aber theoretisch durchgehend ungelöst blieb. Der zweite, der Hauptteil der Arbeit konzentriert sich auf die neuere Entwicklung seit dem Liberalismus und entwirft ein Theoriemodell, das speziell dem Gesetzesrecht drei Hauptfunktionen zuweist: Das Gesetz (definiert durch Allgemeinheit, Bestimmtheit und Nicht-Rückwirkung) ist staatlich gesetztes Recht (im Gegensatz zum Naturrecht) und garantiert erstens die Berechenbarkeit der Ökonomie, es sorgt zweitens politisch für die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Eigentumsordnung und verdeckt dies gleichzeitig, und es steht drittens für ein ethisches Minimum, das im individuellen Rechtsschutz kristallisiert ist.

      Dieses Konstrukt aber, so wird unmissverständlich behauptet, ist selber nur ein Idealtypus, eine theoretische Abstraktion, die zwar im englischen Parlamentarismus und im deutschen Rechtsstaatsverständnis eine gewisse Realisierung erreichte, deren wirkliche Geschichte aber anders verlief und anders verlaufen musste – zum einen, weil schon der liberale Staat sich seines irrationalen Machtüberschusses niemals entledigt hatte, und zum andern, weil dieser Staat und sein Recht im Zuge der Industrialisierung zunehmend unter das Diktat des Kapitals und seines inneren wie äußeren Expansionsstrebens gerieten. Das Letztere wird besonders deutlich greifbar an der jüngsten Entwicklung in Weimar-Deutschland, in dem das Gesetzesrecht zunehmend nicht nur für die Aufrechterhaltung des Monopolkapitalismus instrumentalisiert, sondern damit auch seiner formalen Eigenschaften beraubt wurde, um schließlich, mit dem Übergang vom autoritären zum totalitären Staat, ganz kassiert zu werden.13 Diese Diagnose war sicherlich einigermaßen grobmaschig gewebt, aber sie hielt auch ein ganzes Arsenal scharfgeschliffener analytischer Instrumente bereit, um zu verstehen, was die politische Stunde geschlagen hatte.

      Jedes politische Exil ist per se oder zumindest in den meisten historischen Fällen eine schwierige, wenn nicht ruinöse Konstellation, was erfolgreiches politisches Handeln betrifft, ebenso oft erweist es sich für viele intellektuelle Leistungen, für künstlerische oder wissenschaftliche Ideen zumal als eine Wüste der Sprach- und Wirkungslosigkeit. Für Franz Neumann trifft das nur teilweise zu: Da er in England keine Perspektive mehr für sich sah, wanderte er 1937 in die USA weiter und erhielt in New York, vermittelt durch Harold Laski, eine Anstellung in Max Horkheimers Institute of Social Research. Zwar ist es von einiger Aussagekraft, dass Neumann seine Londoner Dissertation weder in den 1930er Jahren noch später publiziert hat, als er selbst Professor an der Columbia University geworden war – immerhin hat er in gekürzter Form einige ihrer Ergebnisse in der Zeitschrift für Sozialforschung publiziert, auch wenn dabei der aufreizende Theorieimpuls und seine methodischen Folgerungen deutlich abgeschwächt wurden.14 Das aber hinderte Neumann nicht daran, sein ureigenes Projekt weiterzutreiben. Obwohl er hauptsächlich für die Finanzangelegenheiten engagiert worden war, verstand er es, die Kontaktmöglichkeiten des Instituts zu nutzen und in eine lebhafte Forschungs- und Diskussionsgemeinschaft vor allem mit Otto Kirchheimer und Herbert Marcuse einzutreten, die schon vorher zum Institut gestoßen waren.

      Trotzdem ist es nach wie vor ein Geheimnis, wie es für Neumann in so kurzer Zeit möglich war, das Werk zu schreiben, das die erste große Publikation des Instituts für Sozialforschung in den USA werden und sein eigenes „magnum opus“ bleiben sollte: Das Buch trug, in gleichzeitiger Anspielung auf das Alte Testament und auf Thomas Hobbes, den Titel „Behemoth“ und erschien 1942 bei Oxford University Press.15 Es versprach eine kompakte Darstellung von Politik und Gesellschaft des Nationalsozialismus, löste diesen Anspruch auch voluminös ein und wurde daher in der amerikanischen Öffentlichkeit sofort als Standardwerk über die neueste Entwicklung in Deutschland begrüßt. Und da die USA gerade der Anti-Hitler-Koalition beigetreten waren, stand das Buch eines bislang unbekannten Exilanten aus Deutschland auch für eine politische Botschaft, die ebenso klar war, wie sie mit bemerkenswerten Ambivalenzen aufwartete: Neumann gab sich wenig Mühe, seine marxistische Grundorientierung zu verbergen, modifizierte diese lediglich durch neuere Theorien aus Soziologie, Rechtswissenschaft und Ideengeschichte und behauptete mit großer Verve, dass nur so das politische Ungeheuer, als das der Nationalsozialismus von vielen Zeitgenossen empfunden wurde, historisch zu verstehen, analytisch zu bewältigen und moralisch zu bändigen sei. Zu besiegen aber sei es nur, wenn die Westmächte mit ihrer Kriegserklärung gegen Hitler Ernst machen würden.16

      Die folgenden Zeilen können keine inhaltliche Würdigung eines mehr als 600 Seiten umfassenden Buches sein, sondern wollen lediglich die Leitbegriffe herausstellen, die Neumanns Analyse den Weg weisen und die am Ende zu einem Gesamturteil verknüpft werden.17 Vielfältig in der Tat, ja überbordend ist, was da an historischen Zusammenhängen, an neuesten Gesetzestexten und Verwaltungsverordnungen, an ökonomischen und sozialen Daten, schließlich an kriegerischen Machenschaften referiert wird, um „Germany’s New Order“ anschaulich zu machen.18 Aber erst aus der Zusammenschau der politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen ergibt sich das ganze Bild: Nur so wird greifbar, wie die nationalsozialistische Bewegung historisch auf den Weg kam, die politische Macht eroberte und dann die deutsche Gesellschaft, so rasch wie folgenreich, zu einem Regime aus Ideologie und Terror verschmelzen konnte, das die innere Opposition beseitigen, Europa mit Krieg überziehen und nichts weniger als ein rassistisches und genozidales Imperium errichten konnte. Neumanns Analyse gliedert sich in drei große Abschnitte: das politische System des Nationalsozialismus, die Organisation der Wirtschaft und die Sozialstruktur der deutschen Gesellschaft.

      Einleitend schildert Neumann noch einmal die Ausgangslage der Weimarer Republik und hebt die Faktoren hervor, die von Anfang an Verunsicherung und Instabilität mit sich brachten. Was die Rolle der reformistischen Arbeiterbewegung betrifft, so erscheint ihm das Ende der ersten deutschen Demokratie sowohl selbstverschuldet als auch das logische Ergebnis der Aufkündigung des Klassenkompromisses durch Junkertum und Großindustrie, auch wenn die „nationale Revolution“ ihre eigenen Wege einschlug und dann von der völkisch-antisemitischen Bewegung überholt wurde.

      Die Analyse des politischen Systems des Nationalsozialismus im engeren Sinn setzt auf eine These, die bereits die Exposition von Neumanns Gesamtinterpretation ist: Zwar sei die Feindschaft gegenüber Liberalismus und Demokratie in die Rhetorik des „totalen Staates“ gehüllt worden, doch bedeute das nicht, dass der Anspruch der NS-Bewegung auf die Subordination der staatlichen Gewalt umstandslos verwirklicht worden sei. Vielmehr gehen Staat und Partei eine schwer definierbare Symbiose ein, die in heftig umkämpften Kompromissen schließlich zur erfolgreichen Gleichschaltung des politischen wie des sozialen Lebens führt. Noch am ehesten wird für Neumann dieses neuartige Gebilde aus alltäglicher Gewalt und bürokratischer Rationalität beschreibbar, wenn man sich an den Weber’schen Begriff der charismatischen Führerherrschaft hält und diesen durch eine ausführliche Bestandsaufnahme der ideologischen Formierung und der praktischen Anwendung der NS-Weltanschauung anreichert. In diesem Sinne rekonstruiert Neumann die Ursprünge der Begriffe Volk und Rasse im deutschen 19. Jahrhundert sowie ihre „Modernisierung“ zum politischen Antisemitismus, vor allem aber interessiert er sich für ihre Benützung zur rechtlichen und ökonomischen Diskriminierung der Juden. Der Feinderklärung nach innen entsprechen nach außen die Theorien vom deutschen „Lebensraum“

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