Behemoth. Franz Neumann
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In der geschickten Überwindung dieser Widerstände zeigte sich einmal mehr das politikpraktische Genie, das Franz Neumann aus der Gruppe der anderen Wissenschaftsemigranten heraushebt. Er war es nämlich, der die Existenzfrage für die Politikwissenschaft von Anfang an mit der Forderung nach ihrer institutionellen Selbständigkeit verknüpfte und dafür alle verfügbaren finanziellen und konzeptuellen Ressourcen mobilisierte.39 Dazu gehörte zwar auch, die Autorität der amerikanischen Besatzungsmacht für sich geltend zu machen, aber mehr noch stand Neumann für eine Haltung, die aus der negativen Erfahrung der Emigration positive Schlussfolgerungen zog, in ihm verkörperte sich eine kollektive Kraftleistung, die für die politikwissenschaftlichen Emigranten zu verallgemeinern ist: Sie alle waren erst im Verlauf der Emigration selber „gestandene“ Vertreter der „political science“ geworden und repräsentierten daher in persona eine alternative Wissenschaftstradition, die sie gegenüber ihren deutschen Kollegen mit fachlicher Autorität und politischem Selbstbewusstsein, aber auch mit Feingefühl und Geschick zu vertreten verstanden.40
Die Gründung der Politikwissenschaft in Westdeutschland war in theoretischer wie institutioneller Hinsicht ein komplexer und langwieriger Prozess, doch wurde die „Demokratiewissenschaft“ in West-Berlin rasch zum Vorbild dafür, wie Wissenschaft und Demokratie auch in Deutschland in ein konstruktives Verhältnis zueinander kommen konnten.41 Für diese wissenschaftspolitische Wende kam Franz Neumann nichts weniger als eine Schlüsselrolle zu: Der eigentliche „Clou“ seines Vorgehens in Berlin war eine Art von Doppelstrategie und bestand darin, auf der einen Seite der wiedererrichteten „Hochschule für Politik“ durch verstärkte Forschungsaktivitäten eine solide wissenschaftliche Grundlage zu verschaffen, auf der andern Seite aber die Freie Universität dazu zu zwingen, der Politikwissenschaft eine institutionelle Bleibe zu geben, und zwar als selbständige Disziplin. Diese Strategie ist alles in allem erfolgreich gewesen, wenn man von internen Turbulenzen personeller wie konzeptueller Art einmal absieht und eine gewisse zeitliche Verzögerung abrechnet: Das „Institut für Politische Wissenschaft“ wurde 1958 und die „Hochschule für Politik“ 1959 regulärer Bestandteil der Freien Universität, und zwar als gut ausgestattete, selbständige und miteinander kooperierende wissenschaftliche Einrichtungen.42
Versteht man die Ablehnung der Wirtschaftsdemokratie als die negative Seite des „political scholar“ und die Gründungsimpulse für die bundesrepublikanische Politikwissenschaft als seine positive Seite, so ergibt sich daraus gleichwohl keine ausgewogene Gesamtbilanz. Diesen Eindruck erhält man jedenfalls, wenn man den Versuch unternimmt, aus Neumanns Publikationen selber, aus den anlassbezogenen Vorträgen und den theoretischen Entwürfen so etwas wie den roten Faden herauszupräparieren. Das ist keineswegs einfach zu bewerkstelligen, haben doch auch die ausführlicheren Aufsätze erkennbar fragmentarischen und skizzenhaften Charakter und lassen sich nur schwer zu einem konsistenten Gesamtbild oder gar einer geschlossenen Theorie zusammenfügen. Dennoch ist es möglich, eine durchgehende Tendenz auszumachen, die freilich als eine in sich widersprüchliche Konstellation erscheint. Wenn Neumann zeit seines Lebens eine eher technizistische Auffassung von Theorie und Methode hatte, so verstärkte sich in den 1950er Jahren der Gegenpol: Der späte Neumann zeigt ein intensives Interesse an der politischen Theorie und besonders an ihrer Geschichte, was sich vor allem in seiner kontinuierlichen Lehrtätigkeit an der Columbia University niedergeschlagen hat.
Stellt man all diese Faktoren in Rechnung, so lassen sich die Leitmotive identifizieren, die Neumann gegen Ende seines Lebens umgetrieben haben müssen. Und verknüpft man sie angesichts seines plötzlichen und tragischen Unfalltodes im Herbst 1954 zu einem Denkfaden, dann kann man daran vielleicht sein eigentliches Vermächtnis festmachen. Dieser Denkfaden ist brüchig und reißt so abrupt ab wie der Lebensfaden seines Autors, aber er lässt am Ende doch erkennen, dass hier ein theoretisch hochambitionierter Kopf alles andere als optimistisch auf seine Zeit, jedenfalls nicht erwartungsfroh in die Zukunft blickte. Was sich vielmehr in den Vordergrund drängte, waren bedrohliche Tatsachen, in denen sich persönliche Erinnerungen mit aktuellen Beobachtungen wissenschaftlicher Art überlagerten und zu einem pessimistischen Geschichtsbild zu verdichten schienen. Dem entspricht beim späten Neumann eine Art von hintergründigem Denkzwang, der von einem apriorischen Gegensatz zwischen Macht und Freiheit ausgeht und – auf dem Umweg einer wenig ermutigenden Empirie – schließlich in die Akzentuierung von Entfremdung und Angst mündet. Und genau so lauten auch die Titel der Schriften aus den letzten beiden Jahren: „Zum Begriff der politischen Freiheit“ (1953) sowie „Angst und Politik“ (1954).
Der erste dieser Aufsätze ist explizit theoretisch angelegt und greift ein grundsätzliches Problem des politischen Denkens auf, das seinen Platz im Kanon der modernen Fächer noch zu finden hat. Einleitend konstatiert Neumann daher: „Die Soziologie befasst sich vielfach nur mit der Beschreibung des Faktischen; die politische Theorie mit der Wahrheit. Die Wahrheit der politischen Theorie ist die Freiheit. Daraus ergibt sich ein grundsätzliches Postulat: Da keine politische Ordnung die politische Freiheit vollkommen verwirklichen kann, muss die politische Theorie immer kritisch sein. Eine konformistische politische Theorie ist keine Theorie.“43 Was aus der Geschichte des politischen Denkens altbekannt klingen mag, ist für Neumann ein nach wie vor ungelöster Konflikt, wenn nicht sogar ein unlösbarer Widerspruch: „Das Problem der politischen Philosophie und ihr Dilemma ist die Aussöhnung von Freiheit und Zwang … Die Geschichte der modernen politischen Theorie seit Machiavelli ist die Geschichte dieses Versuchs, Recht und Macht, Gesetz und Gewalt in Einklang zu bringen. Es gibt keine politische Theorie, die nicht beides unternimmt.“44
Solche Sätze klingen nicht nur schroff, sondern sie sind von geradezu dezisionistischer Schärfe und mögen manchem seiner Studierenden noch lange in den Ohren geklungen haben. Um sie zu verstehen, kann man sich an den formalen Argumentationsgang halten, der die überlangen Ausführungen zu gliedern versucht und dabei den ehemaligen Juristen entschieden hinter sich lässt; er demonstriert nämlich unmissverständlich, dass Neumann sich weder mit einem neoliberalen Freiheitspathos à la „freedom and democracy“ (Bertolt Brecht) noch mit dem negativen Freiheitsverständnis der Jurisprudenz begnügt, die in Rechtstiteln eine hinreichende Garantie für eine gute Ordnung erblickt. Wirkliche Substanz erhält der Freiheitsbegriff nach Neumann nur, wenn den Individuen und den gesellschaftlichen Gruppen tatsächliche, extensive und positive Handlungsmacht zur Verfügung steht. Neumann spricht hier vom kognitiven und vom Willenselement der Freiheit und meint damit die rationale Durchdringung der gesellschaftlichen Prozesse einerseits, die Möglichkeit ihrer aktiven und effektiven Mitgestaltung andererseits – oder genauer, da diese Mitgestaltung in der modernen Gesellschaft offenbar immer begrenzter wird, wenigstens die demokratische Kontrolle der politischen Macht.
Aber genau hier treten die geschichtsgestaltenden Tatsachen penetrant in den Vordergrund, sie beherrschen sowohl die Wirtschaftsentwicklung wie die staatliche Organisation und laufen auf den einen neuralgischen Punkt zu: auf die offenbar unumkehrbare Zentralisierung der politischen und sozialen Macht sowie auf ihre fortschreitende bürokratische Ausformung, was, zusammen mit der generellen Technisierung aller anderen Lebensprozesse (einschließlich der Kultur), einen Zustand heraufführt, der zur hochgehängten Freiheitsidee in einen destruktiven Gegensatz tritt. So mündet die Dreierfolge der genannten Freiheitstypen am Ende des Aufsatzes folgerichtig in die Darstellung der „gegenwärtigen Krise der politischen Freiheit“45, wobei interessant ist, dass zunächst das maßgebliche Signalwort, das Neumann wenig später für die Ausmalung dieser Krise benützt, noch nicht fällt, während der Tatbestand selber schon ganz präsent ist: „Entfremdung“, d.h. die Gefährdung der politischen Freiheit durch die Isolierung der Bürger von der und durch die Politik.
Dieser Schritt bleibt dem Vortrag vorbehalten, den Neumann im Frühjahr 1954 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Freie Universität