Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

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man schwerlich annehmen kann, dass Neumann nicht wusste, welch hochexplosives Gemisch sowohl für die deutsche Öffentlichkeit als auch für die wissenschaftliche Forschung in seiner Nationalsozialismus-Analyse steckte, bieten sich als Antwort auf diese Fragen vor allem zwei Überlegungen an: Vergleichsweise einfach stellt sich die Vermutung dar, dass Neumann, wie u.a. dem kurzen Essay über „Ökonomie und Politik im 20. Jahrhundert“53 zu entnehmen ist, mit der marxistischen Grundierung des „Behemoth“ nicht mehr umstandslos übereinstimmte, und vielleicht wollte er dem in der Nachkriegszeit grassierenden Antikommunismus auch deswegen ausweichen, weil er die in ihm steckenden antisemitischen Reste spürte. In den dunklen Kern einer verwickelten Wirkungsgeschichte aber stößt man erst durch, wenn man sich – Marxismus hin oder her – die unbeirrte Strukturanalyse vor Augen hält, die mit ihr zusammenhängende Polykratie-Theorie von den vier Säulen des Nationalsozialismus und die höchst provozierende These, dass die Verbrechen der totalitären NS-Diktatur das Resultat eines Prozesses waren, an dem die ganze deutsche Gesellschaft mitgewirkt hat.

      Nimmt man also umgekehrt an, dass Neumann nur zu genau wusste, welche Hypothek darin für die Zukunft der neuen deutschen Demokratie steckte, so kann man in seiner auffällig defensiven Haltung bezüglich der deutschen Publikation des „Behemoth“ ein tiefes Misstrauen gegen seine ehemaligen Landsleute, aber auch eine ebenso tiefe Resignation gegenüber seinem eigenen Werk und Wirken sehen. Dieser Gedanke gewinnt an Schärfe, wenn man sich fragt, ob Neumanns Zurückhaltung gegenüber der Übersetzung des „Behemoth“ ins Deutsche, d.h. in die Sprache der Täter, vielleicht mit dem Gefühl zu tun gehabt haben könnte, dass er dem dunkelsten Kapitel der Nazi-Diktatur, dem (erst später so genannten) „Holocaust“ mit seiner Analyse letztlich nicht gerecht geworden ist. Dieses Gefühl könnte umso bedrängender geworden sein, als Neumann die Vorstellung einer historischen Kollektivschuld nach dem Krieg offenbar nicht mehr fremd war, die aber natürlich für ihn selber, wie vorne vermutet, nur als Identifikation mit dem jüdischen Opferkollektiv Sinn gemacht haben kann.

      Wo und wie also taucht der Holocaust in Franz Neumanns „Behemoth“ auf? Dass er nicht sofort als Genozid, d.h. als organisierter Massenmord an den Juden, in Erscheinung tritt, hängt natürlich mit dem frühen Erscheinungsdatum des Buches zusammen: Der Erarbeitungszeitraum der ersten Auflage liegt vor den maßgeblichen Entscheidungen des NS-Regimes im Laufe des Jahres 1941. Dennoch gibt es im (ersten) Teil über das politische System des Nationalsozialismus ein eigenes und ausführliches Kapitel54 über die Vorgeschichte des Antisemitismus und seinen hohen Stellenwert im deutschen 19. Jahrhundert, auch erkennt Neumann zweifelsfrei, dass der Antisemitismus zentraler Bestandteil der NS-Ideologie wurde und dass er nach 1933 als direktes Instrument für die schrittweise Entrechtung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung gedient hat. Im (zweiten) Ökonomieteil wird dann die sog. „Arisierung“ der jüdischen Betriebe, sowohl im Reichsgebiet wie später in den eroberten Gebieten, dargestellt und mit großer Bitterkeit als Teil der staatlich gelenkten Monopolbildung verurteilt.55 Dominant für all diese Passagen ist jedoch eine stark funktionalistische Auffassung, die sich nicht damit auseinandersetzt, ob sich die antijüdische Politik rein instrumentell überhaupt verstehen lasse. Folglich taucht die Judenverfolgung auch dort nicht mehr eigens auf, wo – im dritten Teil des „Behemoth“ – die Arbeiterbewegung als der prädestinierte „Feind“ des Nationalsozialismus dargestellt wird.

      Dieses Bild verändert sich auf dem Weg zur zweiten Auflage des „Behemoth“, wobei man vorausschicken muss, dass Neumann mittlerweile für den amerikanischen Geheimdienst tätig geworden war und offenbar nur mehr die Zeit fand, einen ergänzenden, aber immerhin 100-seitigen Anhang zu schreiben. Die Veränderungen sind gravierend und halten doch am genannten funktionalistischen Bias fest: Während 1942 als der eigentliche Gegner des Nationalsozialismus die politische Arbeiterbewegung erscheint, die zwar zerschlagen und atomisiert, aber dennoch noch nicht völlig demoralisiert ist, sieht Neumann 1944, zumal nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler, die Chancen für einen erfolgreichen Widerstand so gut wie verschwunden. Umso mehr setzt er jetzt auf den militärischen Angriff von außen, dessen Erfolg für ihn u.a. davon abhängen wird, dass die Westmächte und vor allem die USA sich nicht nur als demokratische Alternative darstellen, sondern auch die Voraussetzungen für eine sozial gerechtere Gesellschaftsordnung schaffen. Überlegungen, ob die militärischen Operationen auch dazu dienen könnten oder sollten, die in Osteuropa bereits voll in Gang befindliche und den alliierten Entscheidungsträgern durchaus bekannte Vernichtungsmaschinerie gegen die Juden zu stoppen, werden dabei nicht angestellt.

      Was sich im ausführlichen Anhang von 1944 jedoch findet, ist eine bemerkenswerte Verschärfung des Blickes, die keinen Zweifel mehr daran lässt, dass die physische Ausrottung der Juden integraler Bestandteil des imperialistischen Expansionskrieges im Osten ist, ja dass die Vernichtungswut regelmäßig mit besonderer Schärfe gegen die jeweiligen jüdischen Bevölkerungsteile gerichtet ist. Neumann übernimmt hier, wie bereits erwähnt, aus seinem eigenen OSS-Papier vom Mai 1943 wortwörtlich die „Speerspitzentheorie des Antisemitismus“, bezeichnet den seit 1942 vor allem im Osten zentrierten Massenmord als „planvolle Ausrottung der Juden“, aber kehrt dann doch wieder zur funktionalistischen Interpretation zurück: Der Holocaust wird in den größeren Zusammenhang eingebettet und ist für ihn das „Testfeld universaler terroristischer Methoden, die sich gegen alle jene Gruppen und Institutionen richten, die sich dem Nazisystem nicht voll und ganz unterworfen haben“.56

      Es ist eine der schwierigen, aber auch interessanten Interpretationsfragen, ob mit dieser Zuspitzung der ganzen Wahrheit des Holocaust tatsächlich ins Auge gesehen oder ob ihr letztlich doch wieder funktionalistisch, d.h. rationalisierend ausgewichen wurde. Eine Überlegung könnte z.B. so lauten: Bezieht man die Schlusspointe, mit der Neumanns Anhang von 1944 endet, nämlich dass die Wirtschafts- und Parteieliten immer mehr miteinander verschmelzen, zurück auf die vorher formulierte These, dass die wichtigste Funktion des offiziellen Antisemitismus darin bestehe, das Täterkollektiv im organisierten Verbrechen zusammenzuschweißen57, dann kann von einer Verharmlosung des Judenmords schwerlich die Rede sein. Gerade die funktionale Analyse, besonders wenn sie sozialpsychologisch ausformuliert wäre, könnte sich dann als ein gangbarer Weg erweisen, um dem Holocaust den adäquaten Platz im Verständnis des NS-Herrschaftssystems zuzuweisen: Seine generalisierende Interpretation würde dann nicht mehr in apriorischen Widerspruch zu seiner „historischen Singularität“ treten, um die Kurzformel aus dem sog. Historikerstreit zu verwenden, vielmehr erschiene der Holocaust als singulärer Teil einer allerdings universellen Vernichtungslogik!

      Wenn Franz Neumann Überlegungen dieser Art nicht angestellt, sich ihnen jedenfalls öffentlich nicht gestellt hat, wie ist bezüglich des Genozids an den Juden die Wirkungsgeschichte des „Behemoth“ in der längeren Perspektive verlaufen? Der beredteste Zeuge dafür ist Raul Hilberg, der Anfang der 1950er Jahre an der Columbia University bei Franz Neumann studiert hat und heute als einer der Pioniere der historischen Holocaust-Forschung gilt.58 In den Erinnerungen an seinen Lehrer verweist Hilberg zunächst auf die starke psychische Abwehr, mit der Franz Neumann auf sein Vorhaben reagierte, die „Vernichtung der europäischen Juden“, wie der spätere Titel von Hilbergs Standardwerk heißt, als Thema einer Master- und dann einer Doktorarbeit zu akzeptieren. Die Abwehr konzentrierte sich besonders auf den Aspekt der erzwungenen jüdischen Mitwirkung an der Durchführung des Holocaust, also auf genau das, was später bei Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“ zum Skandalon wurde, und führte sogar zu der Forderung, die entsprechenden Kapitel aus der Doktorarbeit zu streichen. „Ich glaube, in diesem Punkt verhielt sich Neumann wie jeder andere dem Judentum tief verpflichtete Mensch, als der er auf den ersten Blick ja gar nicht erschien, der er aber doch war“59, erinnert sich sein ehemaliger Schüler. Aber wieder war das nur die eine Seite. Die andere, die positive Seite der verwickelten Wirkungsgeschichte des „Behemoth“ hat sich, wenn man so will, gegen die Verzagtheit seines Autors durchgesetzt. Nicht nur, dass Neumann seinem Doktoranden dann doch schon ganz früh Zugang zu den maßgeblichen Originaldokumenten des Nürnberger Prozesses verschaffte, vielmehr orientierte sich Hilberg für den Fortgang seiner Forschungen ganz direkt an den theoretischen Prämissen seines Lehrers: „Ich übernahm seine Vorstellung, dass im Nationalsozialismus ein Nicht-Staat,

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