Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

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jetzt von den Spezialthemen löste und sowohl juristisch wie politisch ins Allgemeinere ausgriff: „Die politische und soziale Bedeutung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung“ (1929); „Die soziale Bedeutung der Grundrechte in der Weimarer Verfassung“ (1930); „Über die Voraussetzungen und den Rechtsbegriff einer Wirtschaftsverfassung“ (1931); „Koalitionsfreiheit und Reichsverfassung“ (1932) – so lauteten jetzt die Titel seiner Aufsätze und Broschüren, von denen die letztere Buchlänge hatte und u.a. im Seminar von Carl Schmitt diskutiert worden war.5

      Die Öffnung des juristischen Diskurses hin zu Fragen der Sozialpolitik war natürlich keine Erfindung von Neumann und seinen Mitstreitern, sondern dem Arbeitsrecht von Anfang an inhärent. Wie Hugo Sinzheimer, der sich seinerseits auf die Studien des Österreichers Karl Renner berief, schon vor 1918 gefordert hatte, war die rechtliche Regulierung der Lohnarbeit ein zentrales Ziel der politischen Arbeiterbewegung gewesen und damit ein langfristiges Projekt, das der marxistischen Kritik am Kapitalismus entsprang und untrennbar mit dem Fernziel einer sozialistischen Gesellschaft verbunden war.6 Neu und vielversprechend war aber die Konstellation, die sich durch die vergleichsweise starke Stellung von Sozialdemokratie und Gewerkschaften ergeben hatte: Sie hatten, gestärkt auch durch die Niederschlagung der Novemberrevolution, bei der Aushandlung der Weimarer Verfassung weitreichende politische und soziale Grundrechte durchsetzen können.

      Wenn man den Weimarer Reformismus insgesamt durch seine legalistische Strategie charakterisieren kann, d.h. durch den Glauben, dass die Rechtsform das geeignete Instrument zur Herbeiführung des Sozialismus sei, so steckte darin nichts weniger als eine geschichtsphilosophische Heilserwartung. Es ist von einiger Bedeutung, sowohl den Voraussetzungen wie den Folgen dieser Utopie im zeitgeschichtlichen Horizont nachzuspüren. Der Weimarer Reformismus setzte primär – und unterschied sich genau damit von der „permanenten Revolution“ der Kommunisten (Trotzki) – auf den progressiven Ausbau des Rechtsstaates, er sah in der Rechtsform die historische „Dialektik von politischer und sozialer Demokratie“ in Gang gesetzt und brach damit der marxistischen Geschichtsauffassung, die nach wie vor die Leitideologie auch der Sozialdemokratie war, gleichsam die Spitze ab. Sie war reformorientiert, blieb aber eben auch in den „historischen Block“ der bürgerlichen Klassengesellschaft eingebunden, wie Antonio Gramsci es genannt hat.

      Neumanns wissenschaftliche und politische Anfänge in der Weimarer Republik passten sich in diese Konstellation ein, wobei man jedoch den ebenfalls von Gramsci geprägten Begriff des „organischen Intellektuellen“ nicht umstandslos auf ihn anwenden sollte: Der Aufbau des Arbeitsrechts ebenso wie die Idee der gewerkschaftsgebundenen Wirtschaftsdemokratie entsprachen sicherlich eher den zentristischen, wenn nicht den konservativen Kräften innerhalb der Arbeiterbewegung7, doch stechen an Neumanns Beiträgen zu diesen Politikfeldern, die gewiss gesellschaftspolitisch hochsignifikant waren, vor allem zwei Eigenschaften hervor: Sie enthalten sich großenteils der ideologischen Begründung aus dem Fundus der marxistischen Weltanschauung, und sie sind dementsprechend über weite Strecken rein technisch-juristisch gehalten, was als ihre Stärke gemeint war, aber sich bald als Schwäche erweisen sollte.

      So ist z.B. Neumanns Situationsanalyse im Krisenjahr 1929 immer noch in die nüchterne Formel gepackt, es sei „die rechtliche Formulierung für eine Situation zu finden, die nicht mehr rein kapitalistisch, aber auch nicht sozialistisch ist“.8 In diesem Zwischenreich, das mehr ein logischer Ermöglichungsraum als ein realpolitischer Handlungsraum war, sah er die Hoffnungen angesiedelt, die sich mit der Institutionalisierung und der rechtlichen Ausgestaltung der Wirtschaftsdemokratie verbanden. Als seine Grundpfeiler sollten die freien Gewerkschaften auf der einen Seite, die großen Wirtschaftsverbände auf der anderen Seite fungieren, die paritätisch, aber unter strenger Aufsicht des Staates die sozialen Machtverhältnisse zugunsten der Arbeiterschaft umgestalten sollten. Mehr oder weniger ausgespart war dabei, wie sehr die tatsächlichen Wirtschaftsstrukturen längst in Richtung auf Monopol- und Kartellbildung verändert, wie schwach also die Arbeiterorganisationen bereits waren, bevor sie von den dramatischen Turbulenzen der Weltwirtschaftskrise erfasst wurden. Es war bekanntlich die Unlösbarkeit der wirtschaftspolitischen Konflikte, die den schon vorher bemerkbaren republikfeindlichen Tendenzen Oberwasser verschafften und ihnen dann ab 1930 zum Durchbruch im Staatsapparat selber verhalfen.

      Man kann die politische Arglosigkeit, wenn nicht die Selbsttäuschung der Reformstrategen am Ende der Weimarer Republik recht gut durch eine Anekdote erläutern. Franz Neumann hatte 1930 auf die pessimistische Krisendiagnose der Weimarer Verfassung, die sein jungsozialistischer „Genosse“ Otto Kirchheimer vorgelegt hatte, negativ reagiert: Vordringlich sei nicht die marxistische Kritik des gegebenen Staates, vielmehr sei es „die zentrale Aufgabe der sozialistischen Staatstheorie, den positiven sozialen Gehalt des zweiten Teils der Weimarer Verfassung zu entwickeln und konkret darzustellen … Wenn Kirchheimer in seiner Überschrift, die sehr stark kommunistischen Gedankengängen nahekommt, ,Weimar – und was dann?‘ fragt, dann kann die Antwort nur lauten: ,Erst einmal Weimar‘!“9

      Franz Neumann hat diese defensive Haltung in wirtschaftspolitischen Dingen lange beibehalten, während sich Kirchheimer bekanntlich seit 1930 daran machte, das ganze Ausmaß der antidemokratischen Reaktion zu dokumentieren: In der Justizpraxis ebenso wie im akademischen Staatsrecht, in der Verselbständigung der Bürokratie gegenüber dem Parlament ebenso wie im Notverordnungsregime des Reichspräsidenten sah er Kräfte am Werke, die das Legalitätsgerüst der Weimarer Republik unterminierten und auf einen autoritären Staat hinarbeiteten.10 Erst als Neumann 1932 neben seiner Gewerkschaftsarbeit zusätzlich als Syndikus der SPD tätig wurde, positionierte er sich in der größeren politischen Öffentlichkeit und ergriff Partei z.B. gegen die Einschränkungen der Pressefreiheit.11

       II. Im Exil: Radikalisierung der Theorie und Analyse des Nationalsozialismus

      Die Machtergreifung Hitlers erlebte Franz Neumann als Schock. Jetzt war er so exponiert, dass er sofort in den Fokus der nationalsozialistischen Verfolgung geriet: Als am 2. Mai 1933 SA-Schergen sein Büro im Kreuzberger Gewerkschaftshaus stürmten, entging er nur knapp der Verhaftung und machte sich wenig später auf den Weg nach London. Wieder ist es erstaunlich, wie schnell er sich im englischen Exil zurechtfand: Neumann hielt sich nicht lange mit der schmerzlichen Zerstörung seines beruflichen Wirkungsfeldes auf, vielmehr nutzte er seine wohl schon vorher bestehenden Beziehungen zur englischen Labour-Party, um sich neu zu orientieren. Durch die Vermittlung von Harold Laski erhielt er ein Stipendium und begann ein Promotionsstudium an der London School of Economics, in dem sich seine bisherigen Erfahrungen in Deutschland im angelsächsischen Wissenschaftssystem sozusagen zu spiegeln begannen. Vorher Gegner jedes politischen Radikalismus, verwandelte sich der deutsche Gewerkschaftsjurist nicht nur in einen fulminanten Kritiker des Hitler-Regimes, sondern stürzte sich atemlos in die theoretische Arbeit. Er nutzte das Exil für eine grandiose Ausweitung der theoretischen Perspektive.

      Bereits im Herbst 1933 war Neumann mit einem englischen Aufsatz hervorgetreten, der den „Decay of German Democracy“ mit dem Ausdruck der Verzweiflung konstatierte und dabei sowohl analytisch aufs Ganze ging als auch mit herber Selbstkritik nicht sparte. Es folgte eine Reihe von Interventionen und Pamphleten, die unter dem Pseudonym „Leopold Franz“ nach Deutschland eingeschmuggelt wurden, um den Widerstand gegen Hitler zu unterstützen. Das interessanteste von ihnen ist eine kleine, aber scharfgeschnittene Geschichte der deutschen und europäischen Gewerkschaftsbewegung, die mit einer knappen eigentumsrechtlichen Grundlegung beginnt und dann ihre Etappen – von der Entstehung über die rechtliche Anerkennung im Liberalismus bis zur Instrumentalisierung durch die fortschreitende Monopolisierung des Kapitals – im Einzelnen schildert. Am Ende dieser Entwicklung steht die schrittweise und schließlich die völlige Vernichtung der freien Gewerkschaften, die der totalitäre Staat und besonders seine extreme Ausformung im Nationalsozialismus durchgesetzt haben. Geradezu diabolisch stieß Neumann dabei die Tatsache auf, dass dieser Destruktionsprozess noch mit denselben theoretischen Mitteln analysiert werden konnte wie die Zukunftsversprechungen, die vorher damit verbunden gewesen waren.12

      Es war also ein Selbstzerstörungsvorgang allergrößten

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