Die Todesstrafe I. Jacques Derrida

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Die Todesstrafe I - Jacques  Derrida Passagen forum

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konnte eine solche Verpflichtung nur absoluten Wert besitzen. Es kam nicht darauf an, worin wirklich wessen Rolle bestand. Bontems musste das Wort, das er Buffet gegeben hatte, halten – auch dann, wenn er selbst nicht getötet hat, wenn er noch eine Chance hätte, seinen Kopf zu retten. Das ist es, was Buffet ausdrücken wollte, als er stehend mit metallischer Stimme ausrief: „Was ich nicht ertragen kann, ist, dass mein Kamerad nicht seine Verantwortung übernimmt.“ Seine Richter übersetzten „Verantwortung gegenüber der Justiz“ und sahen in Bontems – so stark war die Faszinationskraft Buffets – einen Schwächling, der sich davonstahl, und in Buffet einen Mann, der den Mut zu seinen Verbrechen besaß. Diese logische Interpretation wurde den Obsessionen und Wahnvorstellungen Buffets übergestülpt. Bontems sollte sehr wohl seine Verantwortung übernehmen, aber ihm, Buffet, gegenüber. Bontems sollte das feierliche Versprechen, das sie sich gegenseitig gegeben hatten und das sie in einem gemeinsamen Schicksal aneinander band, bis zuletzt halten. Für Buffet war der Gedanke, dass Bontems sich im letzten Moment entziehen und es nach dem Scheitern ihres tragischen Unternehmens vorziehen könnte, zu leben statt mit ihm zu sterben, zuweilen unerträglich. Dann wieder schien er völlig indifferent und gleichgültig zu sein. Er wurde wieder zum Fremden – zum Zuschauer.8

      Der andere Zug, den ich hervorheben möchte, betrifft das Datum des Buches und des Prozesses, der Exekution. Es handelt sich um das Jahr 1972, ein historisches Datum von virtuell weltweiter Dimension, denn während des Prozesses, aber zu spät, nach Badinters Plädoyer, spricht sich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten (am 29. Juni 1972) für die Abschaffung der Todesstrafe aus – oder fällt jedenfalls ein Urteil, das man, mit einigen Zweideutigkeiten, über die ich noch sprechen werde, in eine Abschaffung de facto, wenn nicht de jure, der Todesstrafe übersetzt. Eine Abschaffung, die nicht von Dauer sein wird, wir werden noch darauf zurückkommen, da die Todesstrafe 1977 praktisch wiedereingeführt werden wird. Der Abschaffung der Todesstrafe werden in den Vereinigten Staaten nur fünf Lebensjahre beschieden gewesen sein, wenn man so sagen kann. Es stimmt jedoch, dass am 29. Juni 1972, mit fünf zu vier Stimmen, mit der kleinstmöglichen Mehrheit, der Oberste Gerichtshof erklärt (und da haben wir nun das Argument, das ich mit dem Übernamen Argument der Grausamkeit versehe, in diesem Theater der Grausamkeit9, das die Geschichte der Todesstrafe, die Geschichte als Geschichte der Todesstrafe darstellt) [dass also der Oberste Gerichtshof erklärt], dass in den drei Einzelfällen, die ihm zur Prüfung vorgelegt wurden (Vergewaltigung in Texas, Vergewaltigung und Mord in Georgia), dass in diesen drei Fällen – der Gerichtshof äußert sich zu Einzelfällen, sein Urteil besitzt aber verallgemeinerbare Bedeutung für die Rechtsprechung –, der Gerichtshof die Todesstrafe nicht abschafft, sondern erklärt, dass in diesen drei typischen Fällen die Todesstrafe eine „grausame“ und unangemessene Bestrafung sei, die gegen den achten und den vierzehnten Zusatzartikel der Verfassung verstoßen würde. Mit anderen Worten: Der Gerichtshof äußert sich nicht zum Prinzip der Verurteilung zum Tode, sondern zur Grausamkeit ihrer Vollstreckung (das ist das berühmte Urteil Furman gegen Georgia, auf das wir noch zurückkommen werden). Die Ambivalenz dieser Entscheidung, die umso fragiler war, als sie mit einer Stimme Mehrheit erfolgte (fünf Richter gegen die vier von Nixon ernannten), diese Ambivalenz erklärt die Fragilität, die Prekarität und die geringe Dauerhaftigkeit dieser Rechtsprechung. In Anbetracht dessen, dass diese Entscheidung von 1972 fünf Jahre lang vorbereitet und erwartet worden war, so dass von 1967 bis 1972 alle Hinrichtungen in den Vereinigten Staaten ausgesetzt worden waren, ist die letzte, eben im Jahre 1967, die eines Mannes aus Colorado gewesen, der seine Frau und seine Kinder getötet hatte, und der in einer Gaskammer erstickt wurde; in Anbetracht auch der Tatsache, dass nach 1972 die Quasi-Abschaffung der Todesstrafe bis 1977 fortbestand, einem Datum, zu dem einige Bundesstaaten, die man bisweilen als „todbringende“10 bezeichnet, ihre Gesetze geändert haben, um die Todesstrafe und ihre Vollstreckung angeblich weniger „grausam“ und also mit dem achten und dem vierzehnten Verfassungszusatz kompatibel zu machen (weniger grausame, weniger willkürliche und weniger diskriminierende Gesetze); und nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass derselbe Oberste Gerichtshof anschließend diese revidierten Gesetze 1976 für gültig befunden hat (Urteil Gregg gegen Georgia), nun, < in Anbetracht all dessen > wird die praktische Abschaffung der Todesstrafe, oder zumindest die allgemeine Aussetzung ihrer Anwendung, nur zehn Jahre gedauert haben (1967-1977), und weitere zehn Jahre später, 1987, hat der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe erneut bestätigt, und zwar zu einem Zeitpunkt, da ein Schwarzer einen Polizisten getötet hatte. Die Dinge noch schlimmer machend, hat derselbe Oberste Gerichtshof, immer noch mit fünf zu vier Stimmen, 1989 entschieden, dass der Hinrichtung von zum Tode Verurteilten, die zwischen 16 und 18 Jahr alt sind (Minderjährigen zum Zeitpunkt des Verbrechens), oder die geistig behindert sind, von nun an nichts mehr im Wege stehe (was bis dahin ausgeschlossen war und all die Probleme aufwirft, auf die wir noch zurückkommen werden). Jean Imbert ruft, unter anderem, in Erinnerung (in La Peine de mort11), dass aufgrund dieses Gesetzes zum Beispiel rückwirkend gerechtfertigt wurde, dass in Virginia ein schwarzer Landarbeiter im Alter von 37 Jahren hingerichtet worden war (auf dem Elektrischen Stuhl), während psychiatrische Gutachter ihm den Geisteszustand eines Achtjährigen bescheinigt hatten. Gleichzeitig gilt es, da wir uns gerade mit diesem Kapitel der jüngsten Geschichte der USA beschäftigen, daran zu erinnern, dass derselbe Gerichtshof 1986 schwarzen Angeklagten erlaubt hat, gegen den Ausschluss von Schwarzen aus einer Geschworenenjury Einspruch zu erheben. Amnesty International, das die Vereinigten Staaten diesbezüglich unentwegt anprangert, spricht von einer „schrecklichen Lotterie“, da in Florida, Texas, Georgia oder Kalifornien die Wahrscheinlichkeit, für dasselbe Verbrechen die Todesstrafe zu erhalten, für einen Schwarzen zehn Mal größer ist als für eine weiße Frau. Dazu muss man wissen, dass in einer aktuellen Umfrage 79 % der Amerikaner die Todesstrafe befürworten. 1981 hatte ein Mitglied des Senats oder des Abgeordnetenhauses – ich weiß es nicht mehr genau – erklärt: „Unsere Funktion besteht darin, dem Willen der Wähler zu folgen“, und der Oberste Gerichtshof bezog sich im Jahre 1989 auf „das Fehlen eines nationalen Konsenses“, um sich zu weigern, geistig Behinderte von der Verhängung der Todesstrafe auszuschließen.12 Wenn man diese Situation mit der in Frankreich vergleicht, wo eine Mehrheit der Parlamentarier (einschließlich solcher von der Rechten, Jacques Chirac zum Beispiel) 1981 für eine Abschaffung < der Todesstrafe > gestimmt haben, von der sie wussten, dass sie zur Mehrheit einer öffentlichen Meinung im Gegensatz stünde, falls diese auf dem Wege einer Umfrage oder eines Referendums konsultiert werden würde, nun, so haben wir da zwei Konzepte oder zwei Umsetzungen der demokratischen Repräsentation. Soll ein Repräsentant den gegenwärtigen Stand der öffentlichen Meinung der Mandanten repräsentieren im Sinne von widerspiegeln [refléter] oder reproduzieren, oder trägt er eher Verantwortung dafür, einer noch formbaren und schlecht geformten oder schlecht informierten Meinung mittels Reflexion und Entscheidung Orientierung zu bieten? Und wenn dieses gewaltige Problem auch über das Gebiet des Strafrechts und der Todesstrafe hinausgeht, so ist es gleichwohl nicht unwichtig, dass diese Differenz gerade in Bezug auf die Todesstrafe derart klar und deutlich zutage tritt. Diese Frage der, sagen wir, parlamentarischen Demokratie (diese Frage des demos zwischen Demokratie und Demagogie) darf, vor allem in Bezug auf die Todesstrafe, nicht nur innerhalb der Grenzen des Nationalstaats betrachtet werden. Die nationalen Entscheidungen werden stets, wir werden es sehen, durch internationalen Druck universeller Art oder in Form der Universalität der Menschenrechte induziert, sei es direkt oder indirekt. Selbst in Frankreich wurde das Votum des Parlaments schon allein dadurch in eine bestimmte Richtung gelenkt, dass in der im Entstehen begriffenen Europäischen Union die Todesstrafe bereits abgeschafft oder auf dem Wege zu ihrer fortschreitenden und tendenziell unumkehrbaren Abschaffung war.

      Bevor wir die USA verlassen, um einen bestimmten historischen Chiasmus zu datieren, nämlich, dass im Jahre 1972, als Badinter L’Exécution schrieb, die Todesstrafe in Frankreich noch in Kraft war und in den Vereinigten Staaten soeben abgeschafft wurde, während sie zehn Jahre später in Frankreich abgeschafft und in den USA wiedereingeführt worden sein wird, bevor wir also die USA verlassen, hier noch einige Präzisierungen hinsichtlich der Fakten: Aktuell halten 38 von 50 Bundesstaaten der Vereinigten Staaten an der Todesstrafe für Mord unter erschwerenden Umständen fest. Je nach Bundesstaat wird der Tod mittels Elektrischem Stuhl, Giftinjektion, Gaskammer, Hängen oder Erschießen

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