Sophienlust Box 15 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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»In Ordnung, gehen wir weiter«, sagte sie, sobald sie wieder an Jochens Seite war. Ihr Ton war kühl und unpersönlich. Kein Wort des Dankes kam über ihre Lippen.
Gequält wandte er sich ab und stieg weiter. Die Stille der Bergeinsamkeit, die er sonst so liebte, lastete jetzt schwer auf ihm. Warum war sie nur so ungerecht? Sie wusste doch, dass er für sie und ihr Kind nur das Beste wollte. Er begriff überhaupt nicht die Verwandlung, die mit ihr vorgegangen war.
Es begann schon zu dämmern, als sie die Hütte erreichten. »Ihre« Hütte, wie sie sie in den vergangenen Tagen immer zärtlich genannt hatten. Hier hatten sie zueinandergefunden und sich Liebe und Treue versprochen. Und nun benahmen sie sich wie zwei Fremde, die einander nichts zu sagen hatten.
Jochen holte den mitgebrachten Proviant aus dem Rucksack. »Richtest du ein kleines Abendessen, Corinna?« Seine Stimme hatte einen fast demütigen Klang.
Doch Corinna nickte nur in abweisendem Hochmut. »Natürlich«, antwortete sie knapp. Aber als er ihr mit einigen Handgriffen helfen wollte, bat sie ihn, das bleibenzulassen.
Corinna benahm sich, als verüble sie ihm seine Gegenwart, als sei er ihr lästig. Er spürte, wie alles in ihm sich verkrampfte. Plötzlich kam sie ihm wie eine Fremde vor. Das war doch nicht mehr seine Corinna, die warmherzige, verständnisvolle Frau, die ihn noch vor einigen Tagen gebeten hatte, sie nie allein zu lassen, weil sie ihn brauchte. Spürte sie denn nicht, wie weh sie ihm tat?
Gekränkt und verletzt wandte er sich ab und setzte sich auf die Eckbank. Die Ellbogen auf den Tisch gestützt und den Kopf in die Hände vergraben, so wartete er, bis Corinna das Abendessen auf den Tisch stellte.
Sie selbst rührte fast nichts davon an. Auch Jochen verging der Appetit nach einigen Bissen. Er sah ihr zu, wie sie die Teller wieder abräumte, den Proviant im Rucksack verstaute und die kleine Küche der Hütte in Ordnung brachte.
»Bitte, setz dich zu mir«, bat er, sobald sie mit ihren Arbeiten fertig war und in der Mitte des niederen Raumes stand. Zaghaft streckte er ihr seine Hand entgegen. »Ich weiß, dass du leidest, und versichere dir, dass ich mit dir fühle. Aber bitte, lass uns jetzt einmal vernünftig und sachlich miteinander reden.« Es hatte ihn Überwindung gekostet, trotz ihrer abweisenden Haltung diese Bitte auszusprechen.
»Sachlich?« Sie schaute ihn jetzt voll an. In ihren Augen stand noch immer verletzende Abweisung. »Mein Kind ist todkrank, und du sprichst von Sachlichkeit!« Ihre Stimme verlor nun die Beherrschung. »Was für ein gefühlloser Mensch bist du eigentlich?«
»Mit Vorwürfen und Beleidigungen hilfst du deinem Kind auch nicht!« Er sprach jetzt strenger als beabsichtigt. »Ich weiß, dass Bärbel krank ist, und ich habe genauso viel Angst um sie wie du. Aber ich war es doch nicht, der sie krank gemacht hat, Corinna. Wieso strafst du mich für ihre Krankheit?«
Doch Corinna war keinem vernünftigen Argument zugänglich. In ihre Augen schlich sich wieder jene Mischung aus Hass und Verachtung, die es Jochen unmöglich machte, die Mauer der Abwehr, die sie umgab, zu durchbrechen.
»Nicht du, sondern ich habe Strafe verdient«, hörte er sie in bitterem Tonfall sagen. »Ich habe mich von dir verleiten lassen, in diesen Urlaub zu fahren, statt bei meinem Kind zu bleiben.«
Jochen rang um Fassung. »Bärbel wäre auch krank geworden, wenn du bei ihr geblieben wärst.«
»Nein, das wäre sie nicht«, rief Corinna. »Ich hätte nur bei ihr bleiben müssen, dann wäre das alles nicht passiert. Das ist jetzt die Strafe dafür, dass ich sie allein gelassen habe, dass ich nur an mich gedacht habe. Aber das wird nie wieder geschehen. Künftig werde ich nur noch für mein Kind dasein, wenn es weiterlebt.« Ihre Worte verloren sich in einem Schluchzen.
Jochen stand auf und trat zu ihr. Doch als er die Hand ausstreckte, zuckte sie wie vor einem giftigen Insekt zurück. »Wage es nicht, mich anzurühren. Ich hasse dich!«
Jochen taumelte zurück. Gekränkt, verletzt und gedemütigt sank er auf die Ofenbank. Corinna hastete in den hinteren Teil des Raumes, der als Schlafzimmer diente. Sie kroch in ihren Schlafsack und wühlte das Gesicht in das Kopfpolster.
Jochen wusste nicht, wie lange er reglos auf der Ofenbank sitzen geblieben war. Als er aus seiner Starre erwachte, blinkten ihm durch das Fenster vom nachtdunklen Himmel die aufgegangenen Sterne entgegen. Er blickte sich befremdet um. Schemenhaft erkannte er Corinnas Umrisse unter dem Schlafsack. Wenn er an ihre letzten Worte dachte, zuckte ein brennender Schmerz durch seinen Körper.
Er wollte aufstehen, doch seine Knie gaben nach, sodass er zurück auf die Bank sank. Nein, er konnte jetzt nicht hingehen und sich neben sie in den Schlafsack hüllen, als sei nichts geschehen. Ich werde auf der Ofenbank schlafen, beschloss er.
Da vernahm er aus dem Winkel, in dem die Betten standen, ein leises Schluchzen. Erstaunt horchte er auf. Wenn Corinna fähig war zu weinen, dann konnte sie doch nicht so gefühllos sein, wie er glaubte.
Er erhob sich nun doch und ging zu ihr.
Zusammengerkümmt wie ein kleines Kind lag sie in dem Daunensack. Ihre Schultern wurden von einem lautlosen Weinkrampf geschüttelt.
Ohne ein Wort zu sagen, breitete Jochen seinen Schlafsack auf dem Lager neben ihr aus, schlüpfte hinein und schloss ihn am Hals, denn es wurde empfindlich kalt in der Nacht. Corinnas Weinen wertete er als ein gutes Zeichen. Vielleicht musste man ihre grobe Reaktion dem Schock zuschreiben. Vielleicht würde sie sich am nächsten Morgen wieder beruhigt haben.
*
Anja Frey erwachte von einem leisen klagenden Laut. Mit einem Satz war sie aus dem Bett. Schon schob sie die nur angelehnte Tür zum Krankenzimmer vollends auf. Das leise Wimmern wiederholte sich. Es kam von Bärbels Bett.
Die Ärztin trat lautlos zu der kleinen Patientin und sah, dass sie schlief. Doch ihre Lippen bewegten sich, und ihre Fingerchen verkrampften sich in der Bettdecke. »Mutti, Mutti, wo bist du?«, stöhnte das Kind und warf sich gequält herum.
Sofort setzte sich Anja auf die Bettkante und ergriff die fiebrigen Hände der Kleinen. Ihre Temperatur musste sich wieder erhöht haben, das merkte Dr. Anja Frey sofort.
Sie strich Bärbel über die Stirn und hoffte, sie würde in einen ruhigeren Schlaf zurückfinden. Doch da öffnete das Kind die Augen. Bei dem schwachen Lichtschein, der von Anjas Nachttischlampe aus dem Nebenzimmer kam, erkannte das Mädchen die sitzende Gestalt an seinem Bett. »Mutti«, flüsterte die Kleine erleichtert. »Liebe Mutti, du bist gekommen.« Ihre Finger tasteten wieder nach Anjas Hand und krallten sich darin fest. »Bleibst du jetzt immer bei mir? Ich … ich hab’ solche Angst …« Ihr schwaches Stimmchen verlor sich wieder, die Augen fielen ihr zu.
Beunruhigt lauschte Anja den Atemzügen der Kleinen. Sie waren unregelmäßig und schwer. Da beschloss die Ärztin, die Nacht am Bett des Kindes zu verbringen.
Sie griff nach der Lehne des Stuhles, der am Fußende des Bettes stand, und stellte ihn lautlos daneben. Dann wachte sie in der Dunkelheit Stunde um Stunde, bis der Morgen graute.
Bärbels Schlaf war unruhig und wurde immer wieder von leisem Stöhnen unterbrochen. Oft tupfte Anja Frey ihr die heiße Stirn ab, ergriff Bärbels Händchen und redete beruhigend auf sie ein. Tatsächlich wurde die Kleine dann, obwohl sie keines der tröstenden Worte verstand, stets ruhiger und fiel wieder in einen leichten Schlummer.
Erst