Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Rainer Huhle
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Das „Wir“ Jacksons und der Nürnberger Ankläger meinte schon in Nürnberg mehr als nur die Siegermächte. Es ist in der Idee internationaler Gerichtsbarkeit angelegt, dass sie für die Menschheit schlechthin sprechen will, oder zumindest für den guten, den „zivilisierten“ Teil der Menschheit. Das Jackson’sche „Wir“ hat sich denn auch in die Sprache der internationalen Strafgerichtshöfe und der sie begleitenden Publizistik fortgesetzt und dabei gegenüber Nürnberg noch an Deutlichkeit verloren. Wer da in wessen Namen eigentlich spricht, wird selten gefragt und hinterfragt.136
Die Wiederherstellung der Macht des Rechtes
Die Wiederherstellung der Stärke und Bedeutung des Rechts in der Welt gegen die „internationale Gesetzlosigkeit“137 war das ethische und rechtspolitische Kernanliegen in Jacksons Rede. Das Gespür dafür war es wohl, das dieser Rede ihre große Aufmerksamkeit bei den Zeitgenossen eintrug, die bis heute anhält. Jackson versuchte in Nürnberg zu erklären, warum er sich im Namen der Vereinigten Staaten zu dieser Mission berechtigt und beauftragt sah. Sein „amerikanischer Traum“138 von einer friedlichen internationalen Rechtsordnung beruhte auf einem Boden handfesten legitimen nationalen Eigeninteresses: Nach zwei Weltkriegen könnten und wollten die USA nicht immer wieder eine militärische Eingreiftruppe schicken, erklärte er, sein Land wolle nicht weiter seine Menschen opfern. Und er fügt ein bemerkenswertes Argument hinzu: Ohne eine gesicherte Friedensordnung käme es in seinem Land notwendigerweise zur Ausbildung eines militärisch-industriellen Komplexes, weil alle künftigen Kriege zu Weltkriegen werden könnten und ein neues Maß an Grausamkeit mit sich bringen würden. Diese globale und moderne Perspektive auf den Krieg ist das zentrale Motiv hinter dem universalistischen Pathos und dem legalistischen Ethos, das sich in dem vielzitierten Satz ausdrückt:
„Diesen Angeklagten einen vergifteten Becher reichen, bedeutet, ihn an unsere eigenen Lippen zu bringen. Wir müssen an unsere Aufgabe mit so viel innerer Überlegenheit und geistiger Unbestechlichkeit herantreten, daß dieser Prozeß einmal der Nachwelt als die Erfüllung menschlichen Sehnens nach Gerechtigkeit erscheinen möge.“139
Wir wissen heute, dass eher die Befürchtungen als die Hoffnungen Jacksons wahr geworden sind. Viele Lippen tranken vom vergifteten Becher. Nicht die Erfüllung des Strebens nach Gerechtigkeit, sondern straflos gebliebene Kriege der USA und der übrigen Mächte, die in Nürnberg zu Gericht saßen, haben die letzten 70 Jahre Weltpolitik geprägt. Die erhoffte Ära der Herrschaft der rechtlichen Vernunft in den internationalen Beziehungen blieb aus. Hat Jackson die Kräfte der „Realpolitik“ unter- und die Macht des Rechts überschätzt? Glaubte er tatsächlich, dass die in Nürnberg zu Gericht sitzenden Mächte sich an dem von ihm gesetzten Maßstab orientieren würden? Was in jedem Fall bleibt: Er hat mit seiner Rede den Grundstein dafür gelegt, dass die Richter dieses wegweisende Urteil fällen konnten:
„Zu behaupten, daß es ungerecht sei, jene zu strafen, die unter Verletzung von Verträgen und Versicherungen Nachbarstaaten ohne Warnung angegriffen haben, ist offenbar unrichtig, denn unter solchen Umständen muß der Angreifer wissen, daß er unrecht hat, und weit entfernt davon, daß es nicht ungerecht wäre, ihn zu strafen, wäre es vielmehr ungerecht, wenn man seine Freveltat straffrei ließe [… Die Nazi-Größen] mußten gewußt haben, daß sie allem Völkerrecht zum Trotz handelten, als sie mit vollem Vorbedacht ihre auf Invasion und Angriff gerichteten Absichten ausführten.“140
Und er hat seinen in Nürnberg aufgestellten Maßstab auch nach dem Urteil nicht aufgegeben. In einer Rede im großen Auditorium der Universität von Buffalo, nicht weit von seinem Heimatort Jamestown, sagte er am 4. Oktober 1946, wenige Tage nach Ende des Nürnberger Prozesses:
„Die Ankläger haben bei der Verurteilung von Deutschen hohe Maßstäbe gesetzt für das Verhalten zwischen Nationen und gegenüber dem eigenen Volk, Maßstäbe, nach denen ihr eigenes künftiges Handeln gemessen werden wird. Keine der Anklägernationen wird sich lange diesen Maßstäben in ihrer eigenen Praxis entziehen können, ohne sich die Verurteilung und Verachtung der Zivilisation zuzuziehen.“141
1 „Man kann Robert H. Jackson getrost als geistigen Vater und als Regisseur sowie als Garanten seiner Rechtsstaatlichkeit bezeichnen.“ Müller, Anklagereden, S. XIX.
2 Zur Psychologie dieser Mission, nicht zu ihrem völkerrechtlichen Gehalt, gab es immer auch Unbehagen gegenüber der selbstbewussten Überzeugung der Amerikaner: „Sie allein wissen, was gut ist, und zwar für alle.“ Smith, Anatomie, S. 61.
3 Am 1. Januar 1942 unterzeichneten 26 Staaten eine „Erklärung der Vereinten Nationen“ (United Nations), in der sie sich zum gemeinsamen Kampf gegen die Achsenmächte auf der Basis der Atlantik-Charta verpflichteten. Bis Kriegsende schlossen sich dieser Keimzelle der späteren UNO 21 weitere Staaten an.
4 Henry Morgenthau an Präsident Roosevelt, September 1944, abgedruckt in Smith, American Road, S. 27–29.
5 Gerhart, Jackson, S. 308–310. So auch Harris: „Zu seiner [Rosenmans] Unterstützung hatten das Außenministerium, das Kriegsministerium und das Justizministerium mit Hilfe von Richter Robert Jackson, […] den Entwurf für ein Protokoll verfasst.“ Harris, Tyrannei, S. 10 f.
6 Gerhart, Jackson; der Titel der Biographie: “Americas Adcovate: Robert H. Jackson”.
7 Biographische Daten, Hintergründe, Reden und Texte Robert H. Jacksons unter: www.roberthjackson.org. s.a. den Blog von John Barrett: http://thejacksonlist.com/.
8 Hockett, New Deal Justice, S. 217f.
9 Barrett (Roles, S. 513 f.) beschreibt die Ausbildung: „Jacksons akademische Bildung schloss keine College-Ausbildung irgendeiner Art und nur ein Jahr juristische Ausbildung ein. Er wurde 1913 mit 21 Jahren Rechtsanwalt, nachdem er hauptsächlich eine Ausbildung in einer Zwei-Mann-Kanzlei in Jamestown, New York absolviert hatte.“ (Übersetzung des Verfassers)
10 Hockett, New Deal Justice, 1996, S. 220.
11 Barrett, Roles, S. 514. John Barrett publizierte 2005 unter dem Titel “That Man” Jacksons Erinnerungen an FDR.
12 Zum Beispiel seine Rede von 1937: “The Struggle against Monopoly”.
13 Hockett, New Deal Justice; s.a. Borgwardt, A New Deal, die die Linien von der inneramerikanischen New Deal Justice zu Jacksons Nürnberger Rechtsverständnis herausarbeitet.
14 Gerhart, Jackson.