Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Rainer Huhle
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„Der Angriffskrieg“, der „Grad der Betroffenheit“ und die „Angst vor der Geschichte“
Kriegsverbrechen gegen sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter
„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und Holocaust
Die Slawen als Opfer der Verbrechen gegen das Völkerstrafrecht
Deutungsmuster des Nationalsozialismus und des NS-Staates
Die Eröffnungsrede des sowjetischen Hauptanklägers Roman Rudenko am 8. Februar 1946494
„Recht ist ein lebendiges, wachsendes Wesen.“
Professor Jahrreiß erklärt deutsches Völkerrecht
Die Antwort des britischen Anklägers
Die Schlussrede des britischen Hauptanklägers Hartley Shawcross am 26. Juli 1946635
Rainer Huhle
Einleitung
Als Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts der UN-Sicherheitsrat zwei internationale Sondergerichtshöfe zur Untersuchung und Verurteilung von Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda einsetzte, und erst recht, als 1998 in Rom beschlossen wurde, einen Internationalen Strafgerichtshof einzusetzen, da erinnerte man sich in aller Welt auch wieder an das Internationale Militärtribunal (IMT) von Nürnberg, in dem über 22 hochrangige Nationalsozialisten Recht gesprochen wurde. Die „Nürnberger Prinzipien“, von der UNO nach Ende des IMT beschlossen1 und dann über Jahrzehnte nahezu vergessen, wurden wiederentdeckt. „Nürnberg“ wurde zum Ausgangs- und Bezugspunkt dieser neuen internationalen Strafgerichtshöfe erklärt, zum „Meilenstein in der Entwicklung des Völkerrechts“,2 zum „Wegweiser zu einer weltweiten Gesellschaft […], die sich auf Wert und Würde der menschlichen Persönlichkeit gründet.“3
Diese Rückblicke auf Nürnberg als Meilenstein, Ursprung, Geburtsstätte oder andere Gründungsmetaphern für das Völkerstrafrecht sind zweifellos berechtigt. Indem sie aber eine Entwicklungslinie „Von Nürnberg nach Den Haag“ unterstellen, den Nürnberger Prozess also vor allen als Vorläufer für das heutige Völkerstrafrecht sehen, geraten die spezifischen historischen Umstände der Nürnberger Verfahren samt ihrer Errungenschaften und Fehler leicht aus dem Blick. Wenn heute fast einhellig positiv auf „Nürnberg“ Bezug genommen wird, geht unter, wie sehr jeder einzelne Aspekt des Internationalen Tribunals seinerzeit umkämpft war, wie viele Rechtsauffassungen nicht nur zwischen Anklägern und Verteidigern, sondern auch innerhalb der „Vier siegreichen Nationen“ in Nürnberg und in den jeweiligen Staaten aufeinander stießen. Und damit geht eine Quelle rechtspolitischer Debatten verloren, die bis heute bedeutsam sind und produktiv sein können.
Verloren geht auch das Verständnis dafür, dass ein internationales Strafverfahren wegen politischer Verbrechen notwendigerweise ein politischer Prozess ist, der immer auch politisch motiviert ist,4 dass dies aber kein Makel ist, wenn er gleichzeitig ein Versuch ist, diese politischen Absichten innerhalb der Schranken des Rechts zu verwirklichen. Der Nürnberger Prozess war nicht alternativlos, er war in der Tat, wie der amerikanische Ankläger Robert H. Jackson es formulierte, „eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, das die Macht jemals der Vernunft eingeräumt hat.“5 Von den in ganz Europa in weit größerem Umfang bei Kriegsende durchgeführten Hinrichtungen ohne oder mit „kurzem Prozess“ redet heute kaum noch jemand. Das Wagnis, mit einem großen politischen Prozess nicht nur ein Urteil über die NS-Täter zu sprechen, sondern sich gleichzeitig dem Urteil der Weltöffentlichkeit und der Geschichte zu stellen, macht „Nürnberg“ zu dem lieu de mémoire, jenem Erinnerungsort auch der Rechtsgeschichte, der es ohne Zweifel geworden ist.6
Die Zeitgenossen, nicht zuletzt die Akteure selbst, waren sich dieser historischen Bedeutung des Prozesses bewusst, ebenso der damit verbundenen Herausforderung an ihr Handeln. Zwar sprachen am Ende die acht Richter das historische Nürnberger Urteil, den sichtbarsten Part in dem Prozess hatten jedoch, entsprechend der Dramaturgie eines im Wesentlichen von angelsächsischem Recht geprägten Verfahrens, die Ankläger. Es waren auch die Ankläger, die schon bei der Ausarbeitung der Rechtsprinzipien des Prozesses auf der Londoner Konferenz die Hauptrolle spielten. Jede der „Vier siegreichen Mächte“ war mit einem Anklagestab in Nürnberg vertreten, und jeder der vier Hauptankläger hielt eine große Eröffnungsrede und ein umfassendes Schlussplädoyer.
In diesen Reden mussten sie sich nicht nur in der Kunst des rhetorisch geschliffenen Plädierens beweisen. Sie mussten vor allem die rechtspolitischen, ja philosophischen Grundlagen ihrer Anklage deutlich machen. Und sie taten das nicht nur mit Blick auf das Verfahren, auf die Notwendigkeit, die Richter zu überzeugen, sondern auch im Bewusstsein ihrer historischen Mission und Rolle. Die Reden der Ankläger enthalten alle juristischen und politischen Probleme des Prozesses, die Widersprüche und Defizite ebenso wie die großen rechtspolitischen Durchbrüche in diesem Verfahren. Darüber hinaus spiegeln sich in ihnen auch ihre jeweilige Sicht auf die Verbrechen des Nationalsozialismus und ihre Zukunftsvisionen auf ein internationales Strafrecht für Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschheit. In den Reden der Ankläger kristallisiert sich das, was „Nürnberg“ ausmacht, am konzentriertesten und deutlichsten. Jeder der vier Hauptankläger trug seine