Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Rainer Huhle

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Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46 - Rainer Huhle

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detaillierten Vorwürfe darlegten. Gegen Schluss des Verfahrens hielten die Hauptankläger erneut ein zusammenfassendes Plädoyer.

      Von diesen Reden ist diejenige des amerikanischen Anklägers Robert H. Jackson als einzige ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangt. Ohne Zweifel war Jackson die prägende Figur des Verfahrens. Er war der Architekt des Tribunals, und seine Eröffnungsrede gilt zu Recht als eine der großen Reden des 20. Jahrhunderts. Sein Name und seine Rede prägen das historische Gedächtnis des Prozesses. Die Reden der drei weiteren Chefankläger, des Briten Hartley Shawcross, des Franzosen François de Menthon sowie des sowjetischen Anklägers Roman Rudenko, sind hingegen so gut wie unbekannt geblieben. Zu Unrecht, denn in ihnen finden sich ebenfalls Gedankengänge, die für den Umgang mit der NS-Vergangenheit in den jeweiligen Ländern und darüber hinaus bedeutsam waren. Sie alle waren zukunftsweisend für die nationale und internationale juristische Behandlung von Staatsverbrechen.

      Liest man die verschiedenen Reden, wird deutlich, dass es zwischen ihnen ebenso viele Gemeinsamkeiten wie Unterschiede gab. Gemeinsam war ihnen die absolute Verurteilung der NS-Verbrechen und die Überzeugung, dass alle in Nürnberg vor Gericht gestellten Angeklagten auch schuldig waren. Schließlich hatten sich die vier Ankläger ja auf den Anklagetext gegen diese Beschuldigten geeinigt und in den vorbereitenden Verhandlungen in London im Sommer 1945 auch die Verfahrensregeln und die materiellen Anklagepunkte gemeinsam im sogenannten Londoner Statut verabschiedet. Gemeinsam war ihnen auch die Überzeugung, dass die angeklagten Verbrechen so ungeheuerlich waren, dass bestimmte Entschuldigungsgründe von vornherein nicht zum Tragen kommen konnten. Das gilt zum Beispiel für die Feststellung, dass die Berufung auf Befehlsgehorsam keine Entschuldigung für hochrangige Funktionsträger sein könne. Es gilt auch für die Interpretation des sogenannten „Rückwirkungsverbots“, also des Rechtsprinzips, wonach niemand wegen einer Tat verurteilt werden kann, die zur Zeit ihrer Begehung gegen kein geschriebenes Gesetz verstieß. Doch schon hier lassen sich auch unterschiedliche Haltungen in den Reden der verschiedenen Ankläger feststellen. Das Rückwirkungsverbot hat im kontinentaleuropäischen, wesentlich durch geschriebenes Gesetz geprägten Rechtssystem mehr Gewicht als im angelsächsischen, das stärker ein Richterrecht ist, das sich von Fall zu Fall fortentwickelt. In der französischen Anklage und Prozessführung findet man diesem Punkt gegenüber entsprechend mehr Aufmerksamkeit als bei Shawcross und Jackson. Während die Franzosen bei der Bewertung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit hier mit Amerikanern und Briten übereinstimmten, legten sie beim Verbrechen des Angriffskriegs strengere Maßstäbe an.

      Gerade bei der Akzentuierung der einzelnen Anklagepunkte zeigten sich schon in den Eröffnungsreden teils deutliche Unterschiede zwischen den vier Rednern. Auch im weiteren Verlauf des Verfahrens wurde immer wieder sichtbar, dass die bei der Londoner Vorbereitungskonferenz in der Formulierung der Anklage mühsam überwundenen Differenzen weiter bestanden. Zwar muss bei der Lektüre der Reden berücksichtigt werden, dass die Ankläger eine Arbeitsteilung für den Vortrag der verschiedenen Anklagepunkte vereinbart hatten. Doch alle Ankläger nutzten ihre großen Auftritte zu Beginn und Ende des Prozesses dafür, auch ihre Gesamtsicht auf die Anklage deutlich zu machen. Die unterschiedlichen Gewichtungen sind daher, trotz Berücksichtigung der vereinbarten Schwerpunkte, aufschlussreich.

      Vor allem den Franzosen, mit anderer Argumentation aber auch den sowjetischen Anklägern, war nicht nur der Anklagepunkt des Angriffskriegs im Grund fremd. Insbesondere das amerikanische Konzept der „Verschwörung“ lehnten sie erkennbar ab. Das Rechtsprinzip des „fair trial“, der Garantien einer fairen Verteidigung, wurde wiederum von den Amerikanern besonders hochgehalten, während es für die sowjetischen Vertreter kein Thema war. Solche Unterschiede ziehen sich bis in die Urteilsfindung, bei der Sowjets und Franzosen für alle Angeklagten die Todesstrafe verlangten, während Briten und vor allem Amerikaner für differenzierte Urteile stimmten.

      Die amerikanische Anklage setzte die Akzente genau umgekehrt. Innerhalb der US-Regierung war Robert H. Jackson ein entschiedener Gegner der durchaus vorhandenen Vertreter einer Kollektivschuldthese und der daraus folgenden politischen Strategien gewesen. Seine Betonung einer umfassenden „Verschwörung“ der Angeklagten zur Begehung ihrer Verbrechen machte politisch Sinn im Zusammenhang der sehr bald auf Wiederaufbau und Wiedereingliederung eines von Nazis bereinigten Deutschlands gerichteten amerikanischen Besatzungspolitik. Sie entsprang aber auch einer genuin amerikanischen Rechtsfigur in der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und organisiertem Verbrechen, an der Jackson in seiner Zeit im Justizministerium beteiligt gewesen war.

      Für die Amerikaner wiederum war der Angriffskrieg das wesentliche Ziel dieses verschwörerischen „Nazi-Plans“. Die Sowjets hingegen klagten nicht, wie Amerikaner und Briten, den Angriffskrieg als grundsätzlichen Völkerrechtsverstoß an, sondern den konkreten Angriffskrieg gegen ihr Land. Für Frankreich wiederum stand weniger der Angriffskrieg als die Verbrechen gegen die Menschheit bzw. das „Verbrechen gegen den menschlichen Geist“ im Mittelpunkt.

      Es sind gerade auch solche Unterschiede, die es lohnen, die Anklagereden genau zu lesen. Die einführenden Essays dieses Bandes sollen dabei Hintergrundinformation liefern, Botschaften auch zwischen den Zeilen der Reden beleuchten und insgesamt helfen, sie im zeitgeschichtlichen politischen und juristischen Kontext zu lesen. Auch die durchaus ungewöhnlichen Biografien der Ankläger verdienen Interesse, denn keiner der Ankläger war durch seine bisherige berufliche Laufbahn auf ein solches Verfahren auf der Basis „revolutionärer Grundlagen“ – so der britische Ankläger Shawcross – vorbereitet. Gleichwohl, auch das wird in den Essays herausgearbeitet, repräsentieren die Reden nicht nur die individuellen Ansichten der vier Ankläger, sondern das Ergebnis intensiver und oft kontroverser Diskussionen in den einzelnen Ländern. Hinter ihrer oft geschliffenen Rhetorik verbirgt sich ein nüchternes Fazit dieser Diskussionen.

      Doch die hier wieder vorgelegten Texte waren ja gesprochene Reden, rhetorisch eindrucksvolle Reden, und müssen als solche gelesen und gewürdigt werden. Von den vier Eröffnungsreden und den vier Schlussplädoyers wird hier je eine Rede der vier Mächte nachgedruckt und mit kommentierenden Essays begleitet. Bei den Anklägern der USA, Frankreichs und der Sowjetunion haben wir uns für die Eröffnungsrede entschieden, weil in ihnen die grundlegenden Ideen der jeweiligen Anklage am deutlichsten formuliert sind. Beim britischen Ankläger bringen wir dagegen die Schlussrede, weil sie die substantiellere der beiden großen Reden ist und weil in ihr, in Absprache mit den übrigen Anklägern, noch einmal eine Gesamtsicht auf die Anklage und eine gebündelte juristische Antwort auf die Einwände der Verteidiger zum Tragen kommen sollte.

      Der

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