Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Rainer Huhle
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Country Lawyer, New Deal Lawyer, General Attorney
Wer war der Mann, der da nach Europa kam und als “America’s advocate”6 das Bild der USA in Nürnberg so stark prägen sollte wie kein anderer? Seine Herkunft aus dem hart-arbeitenden, ländlichen Milieu Pennsylvanias mit Farmern, Friedensrichtern und Lehrern in der Verwandtschaft prädestinierte ihn nicht unbedingt zu einer Karriere in der Bundespolitik. Er selbst schreibt seine Entwicklung und seinen Aufstieg dem Einfluss seiner Lehrer und Lehrerinnen an der High-School in Jamestown/New York zu, die so viele Interessen in ihm geweckt hätten.7 Als politische Heimat betont er seine Herkunft aus einer Tradition von „kompromisslosen Demokraten“ in einer „überwiegend republikanischen Umgebung. Seine Lebensphilosophie wird – auch von ihm selbst – als religions- und ideologiefrei sowie als pragmatisch gekennzeichnet.8 Nach seinem Jura-Studium,9 das er gegen den Willen seines Vaters und ohne dessen Geld an der Albany Law School begann und schon nach einem Jahr zugunsten eines Referendariats im Anwaltsbüro Frank H. Mott (einem Verwandten mütterlicherseits) aufgab, ließ er sich im Jahr 1913 als selbstständiger Rechtsanwalt in Jamestown nieder. Als “country lawyer” entwickelte er die nötige Eloquenz, aber auch das Bedürfnis, dem „natürlichen Gerechtigkeitsgefühl bei Leuten ohne Bildung entgegenzukommen“.10
Seine Ziele aber waren höher gesteckt und zunehmend politisch. Der Rechtsanwalt wurde zum Vorsitzenden des lokalen Unterstützerkomitees für die Präsidentschaftskampagnen Woodrow Wilsons 1912 und 1916. Noch vor dem Ersten Weltkrieg lernte er dabei Franklin D. Roosevelt (“FDR”) kennen,11 der nach der Wahl Wilsons zu dessen Marine-Staatssekretär geworden war. Aber Jackson wollte nach den ersten Erfahrungen zunächst nicht weiter in die Politik einsteigen. Erst 1934 nahm er ein Angebot aus Washington an: Finanzminister Henry Morgenthau machte ihn zum Abteilungsleiter im Bureau of Internal Revenue (Einkommensteuer-Abteilung). Da Jackson Kartell-Gesetze und die Kontrolle des “Big Business” als eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit betrachtete,12 wechselte er zur Anti-Trust-Abteilung des Ministeriums. Seine Erfahrungen mit den Methoden der Wirtschaftsmonopole waren prägend für Jacksons Betonung des Verschwörungscharakters der NS-Verbrechen und der sie tragenden kriminellen Vereinigungen, die er dann in Nürnberg verfolgte. Den Grund für die ökonomischen Probleme der USA in den späten 20er und frühen 30er Jahre sah er in der sehr starken und schnellen Konzentration von Macht und Wohlstand. Der “New Deal”, das sozial- und wirtschaftspolitische Projekt, mit dem die Demokraten unter Präsident Roosevelt auf die Wirtschaftskrise ab 1929 reagierten, umfasste nicht nur weitreichende sozialstaatliche Vorhaben, sondern auch Maßnahmen gegen die großen Trusts. Parallel bildete sich eine neue, progressive Strömung in der Rechtsprechung heraus, die eine im europäischen Verständnis sozialdemokratische Perspektive vertreten hat und als “New Deal Justice” bezeichnet wurde.13 Jackson war ein prominenter Vertreter dieser “New Deal Justice”, sein Biograph Gerhart nennt ihn im Untertitel seines Buches treffend einen “New Deal Advocate”.14
Währenddessen waren die demokratischen Staaten in Europa schon lange „unter Feuer“15 revolutionärer, antidemokratischer Ideologien geraten. Jackson setzte sich des Öfteren mit der Konkurrenz zwischen ihnen und einer demokratischen Weltanschauung auseinander.16 Der “New Deal Advocate” reflektiert dabei selbstkritisch das Gerechtigkeits- und Wohlfahrts-Problem moderner kapitalistischer Gesellschaften und unterstreicht die amerikanische, vor allem eben auch seine eigene rechtspolitische Antwort in Gestalt einer neuen Sozial- und Wirtschaftsgesetzgebung.
Jackson und das Ende der US-amerikanischen Neutralität
Präsident Roosevelt berief Jackson 1940 zum “General Attorney”, der in den USA die Ämter des Generalstaatsanwalts und des Justizminister vereint. 1941 wechselte er an den Obersten Gerichtshof (Supreme Court) der USA. Außenpolitik war also weder sein primäres Arbeits- noch Interessengebiet. Die US-amerikanische Außenpolitik hatte jedoch inzwischen die Position der strikten, nach klassischem Völkerrecht gebotenen, in eine aktive Neutralität verändert, die es auch völkerrechtlich zu begründen galt. Dieser Aufgabe stellte sich Jackson vor allem in seiner Rede vom 27. März 1941 in Havanna, die sich an die lateinamerikanischen Nachbarn richtete.17 In ihrem allgemeinen Teil setzte sich Jackson mit der Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen, sowie der Angemessenheit des traditionellen Völkerrechtes auseinander. Er betonte emphatisch, dass das Völkerrecht zu den höchsten Gütern der modernen Zivilisation gehöre. Daran ändere auch nichts, dass es missachtet werde. Hier klingt schon die später in Nürnberg mit der Verteidigung ausgetragene Kontroverse über die Gültigkeit vor allem des internationalen Friedensrechts durch.
Was die Regeln der Neutralität angeht, begründete er seine (und Roosevelts) Ansicht, dass es eine „dritte Kategorie“ von Staaten außer den Kriegführenden und Neutralen geben müsse. Denn: Was ist zu tun gegenüber einem Staat, der die Regeln völkerrechtlicher Verträge, in deren Rahmen das Prinzip der Neutralität seinen Stellenwert hat, selbst systematisch bricht? Die USA müssten sich an der Seite Großbritanniens für die Erhaltung der völkerrechtlichen Strukturen gegen diejenigen engagieren, die sie zerstören.
Diese Veränderung bedurfte der innen- und rechtspolitischen Begründung und Durchsetzung, nicht zuletzt gegen die noch immer starken neutralistischen und antimilitaristischen Stimmungen im eigenen Land. Die Vereinigten Staaten waren politisch noch nicht „kriegstüchtig“. Die Verlängerung des “Selective Training and Service Act” (militärische Dienstpflicht) von 1940 wurde mit nur einer Stimme Mehrheit im August 1941 erreicht. Ebenfalls kontrovers war das “Lend-Lease”-Abkommen, das letztendlich eine kostenlose Unterstützung der Alliierten durch US-amerikanische Waffenlieferungen ermöglichte. In einem engen völkerrechtlichen Sinne aber waren die Vereinigten Staaten nach wie vor ein neutrales Land, dem eine konkrete militärische Unterstützung einer Kriegspartei nicht erlaubt war. In der Atlantik-Charta vom 14. August 1941 erklärte Roosevelt dennoch – zusammen mit Churchill – klar als Kriegsziel die Niederwerfung Hitler-Deutschlands und danach die Errichtung eines „demokratischen Friedens“. Im Artikel VI ist die Hoffnung formuliert, „dass nach der endgültigen Vernichtung der Nazi-Tyrannei ein Frieden geschaffen werde, der allen Völkern erlaubt, innerhalb ihrer Grenzen in vollkommener Sicherheit zu leben, und der es allen Menschen in allen Ländern ermöglicht, ihr Leben frei von Furcht und von Not zu verbringen.“ Erst im Dezember 1941, also nach der Kriegserklärung aus Deutschland, waren für Präsident Roosevelt „die Fesseln und Zweideutigkeiten“18 der Neutralitätspolitik beseitigt und der Weg für eine direkte Unterstützung Großbritanniens und später auch der Sowjetunion offen.
Der Weg in den Krieg an der Seite Großbritanniens bildete den Erfahrungshintergrund Jacksons, aus dem heraus sich seine Argumentationen für Nürnberg entwickelten. Aus dem Juristen wurde so der Rechtspolitiker und Völkerrechtler im Machtzentrum Washington. Justice Jackson gehörte vor allem als Bundesrichter, aber auch durch seine persönlichen Beziehungen zum Präsidenten zum Kreis der Männer,19 die die entscheidenden Konzepte für den Umgang mit Nazi-Deutschland in der Zeit nach dem Krieg ausarbeiteten. Zögernd und vorsichtig begann man auch auf Berichte von Kriegsverbrechen und Gräueln an den Zivilbevölkerungen (noch unter dem Sammelbegriff “atrocities”) zu reagieren. In einer Rundfunkrede erklärte Roosevelt am 12. Oktober 1942:
„Die Vereinten Nationen haben beschlossen, die Identität derjenigen Naziführer festzustellen, die für diese zahllosen barbarischen Akte verantwortlich sind. Jedes dieser Verbrechen wird sofort gewissenhaft untersucht und ständig wird Beweismaterial für künftige Gerichtsverhandlungen gesammelt“ 20
Untersuchung und Anklage von Angriffskrieg, Kriegsverbrechen und Gräueltaten waren damit Teil der Gesamtplanung geworden, aber auch die rechtlichen Schwierigkeiten kamen in den Blick – und konnten auch bis ins Frühjahr 1945 US-intern nicht ausgeräumt werden. In seinem Memorandum für den Präsidenten und die Außenminister vom 22. Januar 194521 geht Jackson bereits detailliert auf die juristischen Schwierigkeiten der Verfolgung von “atrocities” ein, die nicht mit dem Krieg zusammenhängen, also dem, was später als „Verbrechen gegen