Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant страница 261
»Der Krieg« warf Cornudet laut ein »ist eine Barbarei, sobald man den friedlichen Nachbar angreift; aber er ist eine heilige Pflicht, sobald es sich um die Verteidigung des Vaterlandes handelt.«
Die alte Frau senkte den Kopf.
»Jawohl, wenn man sich verteidigt, das ist etwas anderes. Aber müsste man dann nicht alle Könige umbringen, die so etwas nur zum Vergnügen treiben?«
»Bravo, Bürgerin!« rief Cornudet flammenden Auges. Herr Carré-Lamadon war in tiefes Nachdenken versunken. Obschon er für den Kriegsruhm schwärmte, so stellte er sich doch nach den Worten dieser einfachen Frau den Wohlstand vor, den so viele tausende, jetzt arbeitslose und deshalb kostspielige Hände dem Lande bringen müssten; wie viele Kraft, die man jetzt ungenützt erhalten müsste liesse sich da zu industriellen Zwecken verwenden, deren Bewältigung jetzt Jahrzehnte erforderte.
Loiseau hatte unterdessen seinen Platz verlassen und sich zu dem Wirt gesetzt. Der dicke Mann lachte, hustete und spuckte abwechselnd; sein dicker Bauch wackelte vor Vergnügen bei den Witzen seines Nachbarn. Er kaufte ihm sechs Fass Bordeaux ab zum nächsten Frühjahr, wenn die Preussen wieder abgezogen wären.
Das Souper war kaum zu Ende, als alle, von Müdigkeit überwältigt, ihre Zimmer aufsuchten.
Loiseau, der auf alles ein Auge hatte, ließ indessen seine Frau zu Bett gehen, während er selbst bald sein Auge bald sein Ohr an’s Schlüsselloch brachte, um »die Geheimnisse des Ganges,« wie er sie nannte, zu erforschen.
Nach Verlauf einer Stunde hörte er ein Geräusch, blickte schnell hindurch und gewahrte Fett-Kloss, die in einem spitzenbesetzten Schlafrock aus blauem Kaschmir noch unförmlicher aussah. Sie trug ein Nachtlicht und ging auf die Tür mit der bekannten Nummer am Ende des Ganges zu. Als sie nach einigen Minuten von dort zurück kam, öffnete sich seitwärts eine andere Türe. Cornudet nur im Hemd und Beinkleid kam hinter ihr her. Sie sprachen leise miteinander und blieben endlich stehen. Fett-Kloss schien ihm energisch den Eintritt in ihr Zimmer zu verwehren. Leider konnte Loiseau nicht alles verstehen; er fing nur einige Worte auf, als sie schliesslich doch lauter wurde. Cornudet drängte lebhaft.
»Gehen Sie doch!« sagte er, »seien sie nicht närrisch; was macht das Ihnen denn?«
»Nein, nein, Wertester«, sagte sie mit entrüsteter Miene, »es gibt Augenblicke, wo man so was nicht macht. Und dann, hier an diesem Orte wäre es geradezu eine Schmach.«
Er verstand sie entschieden nicht und fragte um den Grund.
»Warum?« sagte sie, mit noch erhobenerer Stimme. »Sie begreifen nicht, warum? Weil Preussen hier im Hause sind, vielleicht gleich im Zimmer nebenan.«
Er schwieg. Diese patriotische Scham einer Prostituierten, die unter den Augen des Feindes sozusagen, sich nicht preisgeben wollte, mochte doch in seinem Herzen noch einen Rest von Schamgefühl erwecken; denn er küsste sie nur und ging dann mit Katzentritten wieder auf sein Zimmer.
Loiseau war sehr erregt. Er verliess das Schlüsselloch, rannte im Zimmer hin und her, zog sein Nachthemd an, und lüftete die Decke, unter der seine Ehehälfte ruhte. »Hast Du mich lieb, Schatz?« fragte er sie mit einem Kusse weckend.
Dann wurde es still in ganzem Hause. Aber bald erhob sich irgendwo, aus einer unbestimmten Richtung, entweder aus dem Keller oder aus dem Söller kommend, ein mächtiges einförmiges gleichmässiges Schnarchen. Es wechselte mit kurzen und langen Tönen ab, wie ein unter Druck erzitternder Dampfkessel. Herr Follenvie schlief.
Da man beschlossen hatte, am anderen Morgen um 8 Uhr abzureisen, so fand sich früh alles pünktlich im Gastzimmer ein; aber der Wagen, dessen Dach mit Schnee bedeckt war, stand einsam, ohne Kutscher und Pferde im Hofe. Vergeblich suchte man ersteren in den Ställen, im Futterraum, in den Remisen. Da beschloss man etwas spazieren zu gehen, um sich den Ort anzusehen. Sie befanden sich auf dem Platze, in dessen Hintergrunde die Kirche lag mit niedrigen Häusern auf beiden Seiten, in denen man preussische Soldaten bemerkte. Der erste, den sie sahen, klaubte Kartoffeln aus; der zweite reinigte den Laden eines Barbiers. Ein dritter, bärtig bis unter die Augen, küsste ein weinendes Baby und schaukelte es auf den Knien, um es zu beruhigen. Dicke Bäuerinnen, deren Männer bei der »mobilen Armee« waren, zeigten den gutwilligen Siegern durch Gebärden, was sie zu tun hätten. Da gab es Holz zu spalten, Suppe zu kochen, Kaffee zu mahlen; ja einer wusch sogar das Leinenzeug seiner Hauswirtin, einer ganz hilflosen Alten.
Erstaunt fragte der Graf den Küster, der gerade aus der Sakristei kam. »Ja, diese da,« sagte die alte Kirchenratte, »sind wackere Kerle. Es sind keine Preussen was man so sagt. Sie sind von weiter her, ich weiß nicht wo. Sie haben alle Frauen und Kinder daheim, und der Krieg macht ihnen wahrhaftig kein Vergnügen. Bei ihnen zu Hause wird man sicher auch nach den Männern jammern, und die Ihrigen werden nicht besser dran sein, wie bei uns. Hier ist man übrigens augenblicklich ganz zufrieden. Sie betragen sich gut und arbeiten so gut wie bei sich zu Hause. Sehen Sie, mein Herr, arme Leute müssen sich gegenseitig helfen … Die Großen sind es nur, die den Krieg führen …«
Cornudet, sehr entrüstet über dieses freundschaftliche Verhältnis zwischen Siegern und Besiegten, ging heim; er zog es vor im Hôtel zu bleiben. »Sie bevölkern wieder,« sagte Loiseau scherzend. »Sie machen manches wieder gut,« entgegnete Herr Carré-Lamadon erregt. Der Kutscher war nirgends zu finden. Schliesslich entdeckte man ihn in einer Kaffeeschenke, wo er sich mit dem Burschen des Offiziers freundschaftlich zusammen niedergelassen hatte.
»Hat man Ihnen denn nicht befohlen, um 8 Uhr anzuspannen?« fragte ihn der Graf.
»Ganz recht; aber nachher hat man anders befohlen.«
»Was?«
»Überhaupt nicht anzuspannen?«
»Wer hat das verboten?«
»Nun, der preussische Offizier.«
»Warum