Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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einen ganz un­ver­hoff­ten mäch­ti­gen Bei­stand, moch­te sie nun be­ab­sich­tigt ha­ben ihr zu hel­fen, oder moch­te sie rein ohne das ge­rings­te Ver­ständ­nis für die Sach­la­ge ihre Mei­nung aus­spre­chen. Was sie da sag­te war über je­den Zwei­fel er­ha­ben; ihr Glau­be war un­er­schüt­ter­lich wie ein Fels; ohne Zö­gern, ohne Ge­wis­sens­bis­se gab sie ihre Op­fer­wil­lig­keit zu er­ken­nen. Sie be­griff das Op­fer Abra­hams, wie sie sag­te, voll­stän­dig; denn sie wür­de un­be­dingt Va­ter und Mut­ter tö­ten, wenn sie den Be­fehl des Him­mels dazu er­hiel­te. Ih­rer Mei­nung nach kön­ne Gott nichts miss­fal­len, was zu ei­nem löb­li­chen Zwe­cke ge­sch­ehe. Die Grä­fin hat­te ih­ren Vor­teil wahr­ge­nom­men, und sie, ohne dass sie es merk­te, eine er­bau­li­che Um­schrei­bung des al­ten Grund­satzes »der Zweck hei­ligt die Mit­tel« aus­füh­ren las­sen.

      »Sie den­ken also Schwes­ter,« frag­te sie »dass Gott je­des Op­fer an­nimmt, und die Tat ver­zeiht, wenn der Be­weg­grund ein rei­ner ist?«

      »Wer woll­te das be­zwei­feln, Ma­da­me? Eine an sich ta­delns­wer­te Hand­lung wird durch die Ab­sicht, die uns lei­tet, ver­dienst­lich.«

      So fuh­ren sie noch lan­ge fort, den Wil­len Got­tes aus­ein­an­der­zu­set­zen, sei­ne Ent­schei­dun­gen ge­wis­ser­mas­sen vor­weg zu neh­men; sie schrie­ben ihm schliess­lich ein In­ter­es­se an Din­gen zu, die ihn in der Tat gar nichts an­gin­gen.

      Al­les die­ses war na­tür­lich ge­schickt ver­schlei­ert; aber je­des Wort der ehr­wür­di­gen Schwes­ter leg­te eine Bre­sche in die Wi­der­stands­kraft der Pro­sti­tu­ier­ten. Dann lenk­te die Un­ter­hal­tung sich auf das Or­dens­haus, die Obe­rin, die Schwes­ter selbst und ihre klei­ne Nach­ba­rin, die Schwes­ter Ni­ce­pho­ra. Man hat­te sie nach Ha­vre be­ru­fen, um dort im La­za­reth die Pfle­ge der Blat­tern­kran­ken zu über­neh­men. Sie be­schrieb das Aus­se­hen die­ser ar­men Sol­da­ten und schil­der­te alle Ein­zeln­hei­ten der Krank­heit. Und wäh­rend sie nun durch die Lau­ne die­ses Preus­sen zu­rück­ge­hal­ten wür­den, stür­be viel­leicht eine gan­ze An­zahl Fran­zo­sen, die durch ihre Pfle­ge hät­ten ge­ret­tet wer­den kön­nen. Die Pfle­ge kran­ker Sol­da­ten sei ihre Spe­zia­li­tät. Sie wäre in der Krim, in Ita­li­en, in Ös­ter­reich mit­ge­we­sen. Wäh­rend sie so ih­ren Rei­se­ge­fähr­ten er­zähl­te, ent­pupp­te sie sich vor de­ren Au­gen plötz­lich als eine je­ner wack­ren mu­ti­gen Or­dens­frau­en, die da­für ge­schaf­fen zu sein schei­nen, im Kampf­ge­wühl die Ver­wun­de­ten auf­zu­he­ben und mit ei­nem Wort die ro­he­s­ten Schmier­fin­ken zum Ge­hor­sam zu brin­gen. Sie war eine ech­te Schwes­ter Ra-ta-plan, de­ren ge­furch­tes mit zahl­lo­sen Lö­chern be­deck­tes Ge­sicht selbst ein Bild der Ver­wüs­tung des Krie­ges bot.

      Als sie ge­en­det hat­te, sprach kei­ner ein Wort; so aus­ge­zeich­net schie­nen ihre Aus­füh­run­gen ge­wirkt zu ha­ben.

      So­fort nach dem Es­sen be­gab man sich schnell hin­auf und erst ziem­lich spät am an­de­ren Mor­gen ka­men die Rei­sen­den wie­der zu­sam­men.

      Das Früh­stück ver­lief ru­hig. Man woll­te das Sa­men­korn, das die alte Schwes­ter aus­ge­streut hat­te, erst auf­ge­hen las­sen, um dann die Frucht umso bes­ser ein­zu­heim­sen.

      Die Grä­fin schlug Nach­mit­tags einen Spa­zier­gang vor. Wie ver­ab­re­det, nahm der Graf den Arm von Fett-Kloss und blieb mit ihr et­was hin­ter den an­de­ren zu­rück.

      Er sprach mit ihr in ver­trau­li­chem, vä­ter­li­chem et­was her­ab­las­sen­dem Tone, wie ihn ge­setz­te Her­ren bei sol­chen Mäd­chen gern an­wen­den. Er nann­te sie »mein Kind,« be­han­del­te sie zu­gleich aber ein we­nig von oben her­ab, sich mit sei­ner un­be­streit­ba­ren Ehren­haf­tig­keit brüs­tend.

      »Sie zie­hen also vor,« sag­te er di­rekt auf sein Ziel los­steu­ernd, »uns mit Ih­nen zu­gleich all den Ge­walt­tä­tig­kei­ten aus­zu­set­zen, die eine Schlap­pe der preus­si­schen Trup­pen zur Fol­ge ha­ben muss, statt in eine je­ner klei­nen Ge­fäl­lig­kei­ten ein­zu­wil­li­gen, die Sie doch sonst im Le­ben so oft ge­währt ha­ben?«

      Fett-Kloss ant­wor­te­te nichts.

      Jetzt fass­te er sie bei ih­rer Gut­her­zig­keit, bei ih­rer Ver­nunft, bei ih­rem wei­chen Ge­müt an. Er selbst wis­se recht gut, stets der »Herr Graf« zu blei­ben und doch da­bei höf­lich, ent­ge­gen­kom­mend und lie­bens­wür­dig zu sein, wenn es er­for­der­lich wäre. Er pries den Dienst, den sie ih­nen leis­ten wür­de, und sprach von ih­rer Er­kennt­lich­keit. »Und dann weißt Du, mein Kind,« fuhr er sie plötz­lich du­zend fort, »er dürf­te sich rüh­men, ein Mäd­chen be­ses­sen zu ha­ben, wie er sie bei sich zu Hau­se wohl sel­ten fin­den wird.«

      Fett-Kloss ant­wor­te­te wie­der nichts und eil­te der Ge­sell­schaft nach.

      So­bald sie wie­der zu Hau­se ka­men, flüch­te­te sie auf ihr Zim­mer und kam nicht wie­der zum Vor­schein. Un­ten war man in der höchs­ten Auf­re­gung«. Was wür­de sie be­gin­nen? Welch ein Miss­ge­schick, wenn sie sich end­gül­tig wei­gern wür­de.

      Zu Di­ner-Stun­de er­war­te­te man sie ver­geb­lich. Herr Fol­len­vie er­schi­en und ver­kün­de­te, dass Fräu­lein Rous­set sich un­wohl füh­le und man sich nur zu Ti­sche set­zen möch­te. Al­les spitz­te die Ohren. »Ist es so weit?« frag­te der Graf den Wirt ganz lei­se. »Ja­wohl.« Er hü­te­te sich sei­nen Ge­fähr­ten laut et­was zu sa­gen; aber er mach­te ih­nen ein leich­tes Zei­chen mit dem Kop­fe. Ein Seuf­zer der Er­leich­te­rung ent­stieg je­der Brust; alle Ge­sich­ter hell­ten sich auf. »Sap­per­lot!« schrie Loi­seau »ich gebe Sekt, wenn es hier wel­chen gibt,« Ma­da­me Loi­seau fiel vor Schreck fast auf den Rücken, als gleich dar­auf der Wirt mit vier Fla­schen un­term Arm zu­rück­kam. Je­der war jetzt lus­tig und mit­teil­sam ge­wor­den; eine aus­ge­las­se­ne Freu­de be­weg­te al­ler Her­zen. Dem Gra­fen er­schi­en jetzt plötz­lich Frau Carré-La­ma­don rei­zend und der Fa­bri­kant sag­te der Grä­fin al­ler­lei Ar­tig­kei­ten. Die Un­ter­hal­tung wur­de leb­haft und mit al­ler­lei Scher­zen ge­würzt.

      »Still!« rief plötz­lich Loi­seau mit ängst­li­cher Mie­ne die Hän­de auf­he­bend. Al­les schwieg über­rascht, bei­na­he er­schreckt. Dann spitz­te er die Ohren mach­te »Pst« mit bei­den Hän­den, hob die Au­gen zur De­cke em­por, lausch­te noch­mals und sag­te dann sei­ne ge­wöhn­li­che Mie­ne wie­der an­neh­mend: »Be­ru­hi­gen Sie sich; es geht al­les gut.«

      Man ver­stand ihn zu­erst nicht; aber dann fing al­les an zu la­chen.

      Nach ei­ner hal­b­en Stun­de wie­der­hol­te er den­sel­ben Witz und so mehr­mals noch im Ver­lau­fe des Abends. Er tat als ob er je­mand im obe­ren Stock an­rie­fe, ihm zwei­deu­ti­ge gute Ratschlä­ge gebe, wie sie in sei­nem Wein­rei­sen­den-Ge­hirn ent­stan­den. Zu­wei­len mur­mel­te er auch ein »Ar­mes Mäd­chen!« zwi­schen den Zäh­nen, oder er rief: »In­fa­mer Preus­se, pack Dich.« Hin und wie­der, wenn nie­mand dar­an dach­te, rief er mit zit­tern­der Stim­me: »Ge­nug, ge­nug!«

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